Kommentar:Die Queen kommt

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Ein einseitiger Geschichtsunterricht und das Problem mit der Ignoranz: Das schwierige Verhältnis zwischen Briten und Deutschen.

Von Stefan Klein

Der Besucher von der Insel war noch nie zuvor auf dem Kontinent gewesen. Bei der Ankunft in Calais verbarg er seine Nase unter einem Taschentuch und stöhnte: "Was für ein grässlicher Geruch!" Ein Mitreisender, der sich auskannte in der Welt, klärte den Unkundigen auf: "Das ist der Geruch des Kontinents, Sir." So jedenfalls hat die Schriftstellerin Frances Trollope 1836 die Unterhaltung mitbekommen und aufgeschrieben.

Am Dienstag kann der Kontinent riechen wie er will - die Besucherin von der Insel wird kein Wort darüber verlieren und auch ihrer Nase wird sie keine Gewalt antun. Denn die Dame ist von allerhöchstem Adel, und einen Fauxpas hat ihr noch nie einer nachgesagt.

Die Queen kommt. Es ist bereits der vierte Staatsbesuch ihrer Majestät Elizabeth II. in Deutschland, und an ihr hat es denn auch wahrlich nicht gelegen, dass die Freundschaft zwischen beiden Völkern immer noch verbesserungswürdig ist.

Britannien - und Europa

Vor einseitigen Schuldzuweisungen soll man sich hüten, aber dass die Briten ein Problem mit Europa haben, weiß man nicht erst seit jener legendären Schlagzeile, mit der vor Jahren ein Londoner Blatt seinen Wetterbericht überschrieb: "Nebel über dem Kanal - Kontinent abgeschnitten." Europa, das sind aus britischer Sicht stets die anderen - die immerwährenden deutschen Nazis und die Frösche fressenden, alten Erbfeinde in Frankreich.

Gerade erst hat sich der deutsche Außenminister Joschka Fischer aufgeregt über die unzeitgemäße britische Obsession mit dem Dritten Reich. Dabei sitzt die Abneigung gegen die Franzosen ungleich tiefer, sie ist sogar Bestandteil der Sprache geworden. Syphilis wurde auf der Insel zur "French disease", zur französischen Krankheit. Ist einer mit unflätigen Schimpfwörtern ausfällig geworden, sagt er: "Pardon my French", entschuldigen Sie mein Französisch.

So viel Ehre ist den Deutschen nie zuteil geworden, was aber nur ein schwacher Trost ist, wenn man von den Massenblättern immer wieder als "Hun" (Hunne) oder "Kraut" veräppelt wird oder wenn etwa die Sun vor einem Fußballspiel gegen die Deutschen titelt: "Let's blitz Fritz." Der ehemalige deutsche Botschafter in London, Gebhardt von Moltke, hatte irgendwann genug von den braun gefärbten Anspielungen, den Vorurteilen und den ganz direkten Anfeindungen.

Er ging in die Gegenoffensive und erklärte der Sun in einem ausführlichen Interview, dass es sich bei der Bundesrepublik eben nicht um das Vierte Reich handelt. Als er am nächsten Tag die Zeitung aufschlug, da standen seine Ausführungen unter der Rubrik "The Hun talks to the Sun."

Antideutsche Stimmungsmache verkauft sich gut, soviel ist sicher, nur: wieso eigentlich? Wie kann das sein in einem Land, wo nur noch eine Minderheit persönliche Kriegserinnerungen hat? Eine neue Generation, ein Premierminister, der acht Jahre nach Kriegsende geboren wurde, aber Jugendliche, die deutsche Schüler als Nazis beschimpfen oder auch mal handgreiflich werden - wie das? Einen Teil Schuld scheint der Geschichtsunterricht in den Schulen zu haben.

Der hält sich mit den komplexen Veränderungen in der Bonner und Berliner Republik nicht lange auf, sondern konzentriert sich auf das, womit sich die Schüler leicht fesseln lassen, so wie es ein englischer Geschichtslehrer dieser Tage formuliert hat: "Das Problem mit den Nazis ist, dass sie sexy sind. Das Böse fasziniert."

Da muss man sich dann nicht wundern, dass viele Jugendliche, die ja auch dauernd mit alten Kriegsfilmen im Fernsehen gefüttert werden, beim Stichwort deutsch als erstes an Hitler denken und sonst allenfalls noch an Claudia Schiffer.

Doch die allermeisten haben gar keine Meinung, und das ist denn auch das Hauptproblem: Ignoranz. Keine Ahnung von Deutschland, und wie es sich nach der Pest neu erfunden hat. Wie sich das ändern lässt? Sicher nicht durch gelegentliche Ausbrüche von Politikern. Sicher auch nicht dadurch, dass Bild eine unsinnige und von den Chauvinisten hierzulande nur zu gerne angenommene Debatte darüber anzettelt, ob es nicht angebracht wäre für die Queen, sich für die britischen Bomben auf Dresden zu entschuldigen.

Wenn sich wirklich etwas zum Guten wandeln soll, kann die Lösung nur lauten: Mehr Kontakte, und zwar vor allem unter jungen Leuten. Was an Schüleraustausch zwischen beiden Ländern stattfindet, ist kaum der Rede wert - eigentlich gar nicht zu begreifen, wenn man weiß, wie segensreich das Deutsch-Französische Jugendwerk gewirkt und wie sehr es zur Verständigung zweier durch eine unselige Vergangenheit belasteter Völker beigetragen hat.

Aber vielleicht, wer weiß, bringt ja der Besuch der Queen etwas Entsprechendes in Gang, und das wäre dann mal eine Nachricht aus Teutonien, die nicht von Lederhosen tragenden Wurstfressern handelte. Doch vor Hoffnung auf schnelle Verbesserungen sei gewarnt. Schon mal was von Richard Desmond gehört? Der ist Besitzer der Zeitung Daily Express und hält, wie er kürzlich erst erklärt hat, alle Deutschen für Nazis. Eine Außenseitermeinung, gewiss, aber eine, die zeigt, dass es nicht immer nur am Nebel liegt, wenn die Insel vom Rest Europas wie abgeschnitten erscheint.

© SZ vom 2.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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