Kommentar:Die doppelte Katastrophe

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Der Wunsch, für Menschen in Not zu spenden, war wohl noch nie so ausgeprägt wie nach dem verheerenden Tsunami im Indischen Ozean. Doch es ist zu befürchten, dass die Katastrophe den weltweiten Kampf gegen die Armut eher bremsen denn beschleunigen wird.

Von Arne Perras

Eine große Emotion hat die Welt ergriffen. Die Globalisierung des Mitleids und der Hilfsbereitschaft sprengt die kühnsten Erwartungen. Der Wunsch, für Menschen in Not zu spenden, war wohl noch nie so ausgeprägt wie in den Tagen nach dem Tsunami im Indischen Ozean.

Diese Emotion ist einerseits ganz wunderbar, weil sie offenbart, dass die Menschheit mehr sein kann als die Summe von sechseinhalb Milliarden Einzelkämpfern. Andererseits aber ist dieses Gefühl vergänglich - eine momentane Aufwallung und keine dauerhafte Befindlichkeit.

Die Solidarität wird sich früher oder später wieder verflüchtigen, deshalb ist es wichtig zu erkunden, was die große Flut - jenseits aller Emotionen -auslöst. Es ist zu befürchten, dass die Katastrophe den weltweiten Kampf gegen die Armut eher bremsen denn beschleunigen wird.

Das Besondere an diesem Seebeben ist ja, dass es Menschen der Ersten Welt und Menschen der Dritten Welt zugleich ins Unglück gerissen hat. Gemeinsam waren sie den höheren Gewalten der Natur ausgeliefert, schon das alleine schafft eine emotionale Nähe, die es bei früheren Katastrophen in den Tropen nicht gegeben hat.

Unsägliche Not und zaghafte Hilfe

Die Fluten, die nahezu jährlich Bangladesch unter Wasser setzen, bringen unsägliche Not mit sich, aber es folgt meist nur zaghafte Hilfe. Weil dieses Mal so viele Touristen betroffen sind, läuft die Maschinerie der Medien auf hohen Touren.

Ohne die Flut der Bilder, die das Leid bis in jedes Wohnzimmer tragen, ist es für Hilfsorganisationen immer mühsam, Geld für ihre Arbeit einzusammeln - nicht nur bei den Bürgern, sondern auch bei den Regierungen, die auf den Geldtöpfen für die internationale Hilfe sitzen.

Wer den Bundeskanzler in seiner Neujahrsansprache hörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass der Tsunami so etwas wie ein entwicklungspolitisches Schlüsselerlebnis war.

Spendengelder binden die Entwicklungshilfe

Von Patenschaften für die armen Länder hat Gerhard Schröder gesprochen und von der Notwendigkeit, die längerfristige Hilfe für die Elendsregionen zu verstärken. All dies sind gute Vorsätze, aber wie groß sind die Chancen, sie auch in die Tat umzusetzen?

Der Bund muss überall sparen, und nur mit größter Mühe ist es im vergangenen Jahr gelungen, die Entwicklungshilfe ein wenig aufzustocken. Vom international vereinbarten Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Hilfe auszugeben, ist Deutschland weit entfernt - und dabei unter den reichen Staaten nicht alleine.

Der Bundeskanzler hat also Erwartungen geweckt, die angesichts der politischen Zwänge in Deutschland schwer zu erfüllen sind. Die Solidarität mit den Flutopfern mag derzeit gewaltig sein, doch es ist fraglich, ob sich daraus eine grundsätzlich neue Haltung gegenüber den Ärmsten der Welt ableiten lässt. Vielmehr dürfte die große Flut nun so viel Geld binden, dass für andere Notgebiete noch weniger Hilfe bereitsteht als zuvor.

Flut ist doppeltes Desaster

Damit kein Missverständnis aufkommt: Es geht nicht darum, das Leid der einen gegen das der anderen aufzurechnen. Aber die Flut im Indischen Ozean ist ein doppeltes Desaster, weil sie nicht nur Millionen Asiaten in akute Not gestürzt hat, sondern weil dies andernorts zu gefährlichen Engpässen in der Hilfe führen wird, besonders in den Elendsgebieten südlich der Sahara.

Der Beistand für die Flutopfer bindet Milliarden Dollar und viele Experten, die dort nun fehlen. Es gibt Beispiele aus früheren Jahren, die diesen Zusammenhang belegen.

Als sich die Weltgemeinschaft darauf konzentrierte, in Afghanistan einen neuen Staat aufzubauen, fehlte Geld für die Opfer der Kriege in Westafrika. Die Heimkehr von Flüchtlingen geriet ins Stocken, Staaten wie Liberia oder Sierra Leone drohen immer noch ins Chaos zurückzustürzen, wenn sich die Weltgemeinschaft nicht stärker um die Stabilisierung der Region bemüht.

Drohender Krieg im Kongo

Noch größere Düsternis breitet sich über die Wüsten des Sudan und die Wälder des Kongo aus. Die Staatengemeinschaft müsste jetzt dringend Mittel mobilisieren, um Hunderttausende Milizenkämpfer im Kongo zu entwaffnen, damit im Herbst dort Wahlen stattfinden können.

Geschieht dies nicht, werden die Verlierer der Abstimmung erneut zu den Waffen greifen und das Land wieder mit Krieg überziehen. Drei bis fünf Millionen Menschen sind dort in den vergangenen Jahren gestorben.

Auch im Sudan wächst die Not von Monat zu Monat, ohne dass die Welt die Kraft aufbringt, dem Morden der Milizen ein Ende zu setzen. Und über allem liegt die tödliche Geißel der Krankheit und des Hungers: Pro Jahr sterben mehr als eine Million Menschen an Malaria, drei Millionen an Aids, - und 10 Millionen an den Folgen der Unterernährung.

Intensivstation Afrika

Der Tod all dieser Menschen produziert meist keine spektakulären Fernsehbilder, aber es sind die Elendsgebiete Afrikas, in denen sich der Kampf gegen die Armut vor allem entscheiden wird.

Die Selbstheilungskräfte in asiatischen Ländern sind weit größer, und der Tsunami - so schrecklich er auch gewütet hat - wird den langfristigen Aufschwung Indiens, Indonesiens oder Thailands kaum stoppen. Es ist verständlich, wenn die Welt nun auf die Opfer in Asien blickt. Doch die große Intensivstation liegt südlich der Sahara.

© SZ vom 4.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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