Knigge:Wer sagt es? 

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Trump stieg mit Toilettenpapier am Schuh in einen Flieger. Der Knigge-Experte Clemens Graf von Hoyos klärt über das richtige Verhalten in solch peinlichen Situation auf.

Interview von  Violetta Simon 

Donald Trump besteigt die Air Force One mit Toilettenpapier am Fuß. (Foto: Screenshot Youtube)

Nach einer flammenden Wahlkampfrede in Minnesota vor 10.000 Anhängern schreitet der Präsident der Vereinigten Staaten vor laufender Kamera die Gangway zur Air Force One empor. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich jedoch auf Donald Trumps Schuhsohle, an der ein Stück Papier hängt. Alle haben es gesehen, gesagt hat niemand etwas. Dafür sind die darauffolgenden Kommentare in Medien und Social-Media-Plattformen umso ausführlicher - und schadenfroher. Clemens Graf von Hoyos ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft. Im Gespräch mit der SZ erklärt er, warum jemand das hätte verhindern müssen.

Süddeutsche Zeitung: Der Präsident der Vereinigten Staaten trägt Verantwortung für ein ganzes Land und fällt Entscheidungen von weltweiter Bedeutung. Kann so jemand nicht auf sich selbst achten?

Offenbar nicht. Gerade jemand, der im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, muss permanent aufpassen, was er tut. Womöglich war Trump in dem Moment besonders darauf konzentriert, nicht zu stolpern. Weil ihm bewusst ist, wie peinlich das wäre. Und dass ihm viele Personen genau das wünschen. So hat er das mit dem Papier übersehen.

Hätte ihm nicht jemand zurufen müssen: "Hey, Mister Präsident, Sie haben da was am Schuh"?

Vielleicht nicht unbedingt in der Art. Aber es hätte zumindest jemand an ihn herantreten können. Trump ist umgeben von einer Gefolgschaft an Sicherheitsleuten und Beratern, die ihn Tag und Nacht bewacht. Da muss sich jemand finden, der sich sofort darum kümmert und den Mangel beseitigt. Es könnten zwei Leibwächter hinter ihn treten und ihn so vor den Blicken abschirmen, während einer das Papier entfernt. Da würden alle schreiben, was für top ausgebildete Kräfte der Präsident hat. So aber stürzen sich alle auf den Slapstick-Moment.

Im Alltag geht es uns ja oft ähnlich: Jemand steht mit offener Hose da oder hat Petersilie zwischen den Zähnen. Wer sagt es?

Kommt darauf an. Ob man zum Beispiel einen Erziehungsauftrag hat, etwa als Eltern oder Lehrer. Ob man dem Menschen nahesteht. Ob man sich aus einer wirtschaftlichen Abhängigkeit heraus verpflichtet fühlt. Oder aus Wertschätzung handelt. Wertschätzung betrifft übrigens die gesamte Gesellschaft, am Wohlergehen des nächsten sollte jeder Interesse haben.

Bei Trump hat sich niemand zuständig gefühlt.

Ja, und man fragt sich im ersten Moment, wie das passieren konnte. Eine Gouvernante hat er ja offensichtlich nicht, aber zumindest die Leibwächter hätten ihm hinterherhechten sollen.

Und warum hat Ihrer Ansicht nach niemand reagiert?

Weil Trump zwar einen Tross an Leuten hat, die er für ihre Dienstleistung und Loyalität bezahlt. Aber niemanden, der genug Sympathie für ihn empfindet, um diese "Zusatzleistung" zu übernehmen.

Die meisten warten womöglich lieber ab, dass sich jemand anderes meldet.

Das nennt man den Zuschauereffekt: Jeder zählt auf den nächsten. Genau wie bei einem Unfall, an dem alle vorbeifahren und sich einreden, der hinter mir kann ja helfen. Diesen Effekt kann man auch beobachten, wenn der Chef Petersilie zwischen den Zähnen hat und im Meeting keiner etwas sagt.

Und alle tun, als hätten sie nichts bemerkt. Wovor haben die Menschen Angst?

Clemens Graf von Hoyos, Vorstandsvorsitzender der Deutsche-Knigge-Gesellschaft (Foto: offenblen.de)

Niemand will der Überbinger der vermeintlich peinlichen Botschaft sein. Sie wollen dem anderen die peinliche Berührtheit ersparen, die Sekunde des Erschreckens. Doch es ist eine absolute Misskalkulation, denn statt der einen Sekunde läuft der Chef den ganzen Tage so herum und alle Welt zerreißt sich das Maul.

Der Betroffene wird sich fragen, warum hat mir niemand ein Zeichen gegeben? Ist das nicht eine Art Vertrauensbruch?

Das könnte der Betroffene so auffassen. Doch oft schwingt einfach nur Angst vor möglichen Konsequenzen mit. Gerade Führungspersonen müssen sich dessen bewusst sein, in welchem Verhältnis Mitarbeiter zu ihnen stehen. Wir leben zwar in einer Duz-Kultur, das gilt aber nur äußerlich. Die völlige Distanzlosigkeit existiert schon allein aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht.

Sollte man sich dennoch überwinden?

Seien Sie bitte immer diese Person, die einen anspricht - allerdings so unauffällig wie möglich.

Wie geht das?

Zunächst durch Gesten und Körpersprache. Probieren Sie es aus, meist genügt es, wenn Sie sich in einem Aufzug an den Reißverschluss fassen - die meisten Herren werden sich unauffällig wegdrehen und überprüfen, ob ihr Hosenstall zu ist. Oder wenn man sich einen fiktiven Krümel aus dem Zahn entfernt. Wer einen Funken Empathie in sich trägt, wird das Zeichen verstehen.

Und wenn nicht?

Dann darf er angesprochen werden. In einer geschützten Situation, möglichst unter vier Augen.

Was, wenn der andere doch beleidigt reagiert?

Den anderen auf einen Mangel hinzuweisen, ist eine Form der Wertschätzung und Rücksichtnahme, für die jeder dankbar ist. Früher oder später wird er erkennen, dass Sie ihm geholfen haben. Wenn nicht, ist das sein Problem, nicht ihres.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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