Klage gegen "Borat":Wer den Schaden hat

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Nicolae Todorache kam in dem Klamauk zu seiner Rolle als "Dorfvergewaltiger", weil ihm eine Hand fehlt. Die Filmleute montierten an seinen Armstumpf einen Plastikdildo. Nun klagt er und ein anderer Bewohner des rumänischen Dorfes Glod auf Millionenentschädigung.

Kathrin Lauer

Die Sonne scheint warm an diesem Samstag im November, sie scheint auf den Bauch einer mächtigen Sau, an dem sich jetzt zehn hungrige Ferkel drängen. Direkt dahinter ragen ein Dutzend schlichte Holzkreuze in das grüne Dickicht. Die Szene spielt sich am Friedhof von Glod ab, und wo auch immer ein Dokumentarfilmer in dem rumänischen Roma-Dorf in den Südkarpaten seine Kamera aufstellen würde, er hätte sicher schnell spannende Armutsbilder im Kasten, die wohl auch aus Kasachstan stammen könnten.

Im Film spielt sie Borats Mutter: die 72 Jahre alte Paraschiva Stoian aus dem Dorf Glod (Foto: Foto: AFP)

Glod stellt im aktuellen Kinofilm des britischen Komikers Sascha Baron Cohen das armselige Heimatdorf des kasachischen Reporters Borat dar. Doch schon bald könnte im Ödnismodell Glod der Reichtum ausbrechen, denn das Anwalts-Duo Michael Witti aus München und Ed Fagan aus New York, das vor Gericht bereits den Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter durchboxte, will für das Roma-Dorf von der 20th Century Fox 30 Millionen Dollar einklagen, weil sie die Dörfler für den "Borat"-Dreh irregeführt und verunglimpft haben soll.

Zehn Euro für jeden

In Glod wird sich wohl lange niemand mehr mit einer Kamera sehen lassen können. Gerade hat die aufgebrachte Menge ein russisches TV-Team vertrieben. Die Leute sind empört darüber, dass sie in Cohens Film als Dummköpfe, Diebe, Vergewaltiger und Rassisten dargestellt werden. So haben ihnen zahlreiche Journalisten und Anwälte, die "Borat" gesehen haben, ihren Auftritt im Film jedenfalls geschildert. Denn in Glod gibt es kein Kino.

Zudem kannte man hier bisher weder Michael Witti noch Ed Fagan. Erst vergangenen Sonntag hat Witti ihnen eine CD-Rom des Films mitgebracht. Die Anwälte haben im Namen zweier Laiendarsteller aus Glod die 20th Century Fox und 15 weitere "Beschuldigte und Komplizen" verklagt - Produktionsfirmen, Produzenten und Drehbuchautoren.

Ihnen wird neben Betrug und Irreführung vor allem die Diskriminierung einer international geschützten Gruppe - der Roma - vorgeworfen. Man soll den Dörflern vorgegaukelt haben, sie würden als Statisten für einen Dokumentarfilm gebraucht - unter Ausnutzung des niedrigen Bildungsstands in Glod. Umgerechnet etwa zehn Euro soll jeder für sein Mitwirken erhalten haben.

Eine lapidare Antwort

Welche Informationen die Menschen über das "Borat"-Projekt tatsächlich bekamen, will bislang auch die rumänische Produktionsfirma Castelfilm nicht darlegen. Die mitangeklagte Castelfilm hat für "Borat" Drehorte und Statisten besorgt.

Auf SZ-Anfrage mailte der Geschäftsführer Bogdan Moncea lapidar, in Dokumentarfilmen gebe es grundsätzlich keine Statisten. Was Moncea nicht schrieb, aber ganz offensichtlich meinte, war, dass die Roma daraus hätten schließen müssen, dass es sich um einen Spielfilm handle.

Die beiden Kläger sind Spiridon Ciorobea, 68, von Beruf Schweißer und Nicolae Todorache , 57, von Beruf Wächter bei einem Lagerhaus. Sie sind zwar nur kurz im Film zu sehen und haben auch keinen Text, aber sie sind zentrale Figuren, die Borats Dorf charakterisieren.

Ciorobea wird im Film als "Schweißer und Abtreibungsgynäkologe" vorgestellt. Und Todorache kam zu seiner Rolle als "Dorfvergewaltiger", weil ihm eine Hand fehlt. Die Filmleute hatten an seinen Armstumpf einen Plastikdildo montiert. Todorache will erst jetzt erfahren haben, was das Objekt an seinem Arm darstellte.

Sascha Baron Cohen als "Borat" (Foto: Foto: dpa)

Eine Kopie der etwa 30-seitigen Anklageschrift, die Witti und Fagan am 20. November beim New York Federal Court eingereicht haben, liegt jetzt in einer Schublade bei Ion Ciorobea, dem Sohn des Klägers Spiridon. Ion freut sich am meisten über den möglichen Geldsegen, obwohl er gar nicht der Kläger ist. Aber er ist der Ansprechpartner der Anwälte, allein, weil er seinen skeptischen Vater zum Prozess erst überreden musste.

Rachegelüste an der Castingfrau

Spiridon Ciorobea selbst wäre es am wichtigsten, sich an der Casting-Frau von Castelfilm zu rächen. "Wenn ich die erwische, sie hat mich im Dorf zum Gespött gemacht", poltert er. Im Esszimmer über seinem Gemischtwarenladen mit Bar sitzt Spiridons Sohn Ion an diesem Sonntag mit Michael Witti zum Mandantengespräch am Tisch. Ion ist das, was man im Dorf reich nennen kann, obwohl das Interieur seiner schummrigen Bar nicht danach aussieht.

Alte Resopaltische stehen in dem Raum, einziger Schmuck ist die Fotografie eines Schweins mit offenem Maul, das aussieht, als würde es lachen. Ions Frau Cristina führt im Laden penibel Buch über etwa 500 Kunden, die bei ihr in der Kreide stehen. Wenn der Geldsegen kommt, sagt Ion, würde er als Erstes das Schuldner-Buch wegwerfen und dann die Kirche fertigbauen lassen, die aus Geldmangel halbfertig dasteht.

Auch bräuchte man eine Brücke über den Bach Ialomita, die zum Friedhof führen würde. Neulich wäre die Leiche von Ions Onkel beinahe ins Wasser gefallen, als man sie mit einem Pferdekarren durch das jetzt knöcheltiefe Wasser zum Grab bringen wollte. Und der Friedhof bräuchte einen stabileren Zaun, wegen der Schweine und der Kühe.

Hoffnungen aufs große Geld

Es gibt in Glod weder einen Gasan-schluss, noch fließendes Wasser und Kanalisation. Das Geld von der Filmgesellschaft, wenn es denn käme, wäre bitter nötig. Das ist es, was die Initiative der Anwälte, die Leute zum Prozess zu überreden, weniger fragwürdig macht - zumal die ärmeren Leute im baldigen EU-Land Rumänien, wo es kaum Rechtsstaats-Traditionen gibt, den Umgang mit der Justiz nicht gewöhnt sind.

Die Leute leben vom verbotenen Einsammeln der dicken Kieselsteine aus der Ialomita, mit denen reiche Rumänen Sockel verzieren und Gartenwege pflastern. Ein kümmerliches Zubrot bringen Heidelbeeren und Pilze im Sommer und jetzt Adventskränze.

Wird das Geld der 20th Century Fox kommen? Michael Witti, der schon zum zweiten Mal auf Dienstreise in Glod ist, scheint ein bisschen mulmig zumute zu sein. "Das Vertrauen der Leute ist schon gewaltig, ich hoffe, dass ich sie nicht enttäuschen werde", sagt der Anwalt nach dem Gespräch. Er hat angekündigt, die Klage auf das gesamte Dorf auszuweiten.

© Süddeutsche Zeitung vom 28. November 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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