Kinderschänderprozess:45 Opfer im Alter von sechs Monaten bis 12 Jahren

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66 Angeklagte müssen sich ab heute vor dem Geschworenengericht in der westfranzösischen Stadt Angers wegen Vergewaltigung von Minderjährigen, Kindesmissbrauchs sowie Beihilfe dazu verantworten. Die Kinder wurden nicht nur von Fremden, sondern auch von den eigenen Eltern vergewaltigt.

39 Personen sind wegen Vergewaltigung von Minderjährigen unter 15 Jahren und schwerer Zuhälterei angeklagt. Ihnen drohen 30 Jahre Haft.

27 weitere anderen stehen unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Mitwisserschaft vor Gericht. Darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft. Die meisten Beschuldigten sind geständig.

Die Staatsanwaltschaft zählte 45 Opfer, die zur Tatzeit zwischen sechs Monate und zwölf Jahre alt waren. Die Verbrechen trugen sich von Juni 1999 bis Februar 2002 zu.

"Meines Wissens gab es in Frankreich noch niemals einen Kriminalfall von diesem Ausmaß", sagte sogar einer der Verteidiger, Pascal Rouiller.

Der Mammut-Prozess, an dem mehr als 60 Verteidiger mitwirken, ist auf vier Monate angesetzt. Zum Auftakt der Hauptverhandlung sollen neun Geschworene und acht Ersatzleute bestimmt werden. Eigens für das spektakuläre Verfahren hatten die Justizbehörden 35 mögliche Geschworene vorbereitet.

Die Opfer wurden von ihren eigenen Eltern missbraucht oder Fremden gegen Zahlung kleiner Geldbeträge, Lebensmittelpakete oder Zigarettenstangen angeboten. Die Kinder mussten Gruppenvergewaltigungen und unerträgliche Übergriffe erleiden. Nach Angaben von Psychologen sind sie "seelisch zerstört".

Aus schlechten sozialen Verhältnissen

Fast alle Angeklagten kommen aus schlechten sozialen Verhältnissen und lebten von Sozialhilfe. "Meine Mandanten stammen aus einem sehr benachteiligten Milieu, die meisten können nicht lesen, und es ist sehr schwer, sie dazu zu bringen, auf ihre Akte zu reagieren", sagte Anwalt Rouiller.

Alle Angeklagten und Opfer wurden von Sozialdiensten betreut. Im Raum steht daher auch die Frage nach deren Versagen. Er verstehe nicht, wie es sein könne, dass keinem Mitarbeiter der medizinisch-sozialen Dienste etwas aufgefallen sei, sagte der Anwalt.

Ins Rollen gebracht hatte die Ermittlungen eine 16-Jährige, die im November 2000 den Freund ihrer Mutter und dessen Bruder wegen Vergewaltigung anzeigte. Beide Männer waren bereits einschlägig vorbestraft. Bei ihren Nachforschungen stießen die Ermittler auf ein umfangreiches Netz von Kinderprostitution und Pädophilie.

Für den auf vier Monate angelegten Prozess wurde im Justizpalast von Angers eigens ein 760 Quadratmeter großer Saal angebaut. Die Geschworenen werden während des Verfahrens psychologisch betreut.

Staatsanwaltschaft und Verteidigung glauben, dass einige während der Tat maskierte Mittäter noch nicht gefasst wurden. So hätten Opfer von einer tätowierten Frau berichtet, die nicht unter den Angeklagten sei.

Kinder müssen nicht vor Gericht erscheinen

Ob Öffentlichkeit und Presse ganz oder teilweise von dem Prozess ausgeschlossen werden, wollte das Gericht zu Beginn der Anhörungen entscheiden. Den Kindern bleibt ein Auftritt im Gerichtssaal erspart. Ihre Aussagen wurden im Zuge der Ermittlungen von der Polizei gefilmt, sie werden auf einem Bildschirm vorgeführt.

Einig sind sich Anklage und Verteidigung darin, dass der Prozess gut vorbereitet wurde. "Die Beweisaufnahme wurde gut durchgeführt", sagte Anwalt Rouiller. Das Verfahren habe nichts mit dem von Ermittlungspannen überschatteten Kinderschänderprozess von Outreau gemein.

Der Prozess dort war im vergangenen Jahr in ein Justiz-Fiasko gemündet. Damals hatten sich in Saint-Omer 13 Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von 17 Kindern verantworten müssen.

Sieben von ihnen, die von Anfang an ihre Unschuld beteuert, aber bis zu drei Jahren in Untersuchungshaft gesessen hatten, wurden schließlich mangels Beweisen freigesprochen. Sie erhielten Schadensersatz vom Staat.

Die übrigen wurden zu Haftstrafen zwischen 18 Monaten und 20 Jahren verurteilt.

Die Justiz in Angers wies Parallelen mit jenem Prozess um die Kinderschänder von Outreau zurück. Insbesondere wurden die Ermittlungen diesmal von zwei Untersuchungsrichtern vorgenommen - und nicht nur von einem einzelnen, offenbar überforderten Beamten.

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