Kevin Russell: Verkehrsunfall:Fluch und Flucht

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Der Ex-Sänger der "Böhsen Onkelz" soll einen Unfall versacht haben, bei dem zwei Männer beinahe starben. Es wäre nicht der erste schwere Rückschlag im Leben des Musikers.

Marc Widmann

Es wird noch ein paar Tage dauern, bis Gewissheit herrscht. Bis das hessische Landeskriminalamt die DNS-Spuren ausgewertet hat, die auf dem Airbag des Unfallwagens klebten. Nächste Woche kann es so weit sein, vielleicht auch erst übernächste.

Immer wieder litt Sänger Kevin Russell unter schweren persönlichen Rückschlägen. Nun soll er einen Autounfall verursacht haben. (Foto: Foto: AP)

Aber die Fans der Böhsen Onkelz befürchten bereits Schlimmstes für Kevin Russell, einst Sänger der mittlerweile aufgelösten Heavy-Metal-Band. "Oh oh oh", schreibt einer im Onkelz-Forum im Internet, "das wird ja immer enger". Und eine Emsi bangt: "Ich hoffe von ganzem Herzen, dass er nicht total zugrunde geht."

Zwei Männer wären fast gestorben

Der Verdacht lautet auf Fahrerflucht. Am Silvesterabend gegen halb neun war ein PS-starker Audi R8 über die Autobahn zwischen Frankfurt und Wiesbaden gerast, beim Spurwechsel rammte er einen Opel. Beide Autos schleuderten gegen die Leitplanke, und in dem kleinen Astra wären zwei junge Männer fast gestorben, hätten nicht andere Autofahrer sie aus dem brennenden Wrack gezogen.

Der Fahrer des Audis aber machte sich nach Süden hin davon, er floh zu Fuß über die Felder und hinterließ im Wagen jede Menge Spuren. Viele davon deuten darauf hin, dass das Leben von Kevin Russell nun um eine tragische Episode reicher sein dürfte.

Neben dem Gaspedal fanden sich künstliche Zähne von Russell. Eine Kamera filmte ihn kurz vor der Tatzeit an einer Esso-Tankstelle kurz vor dem Tatort. Und der Besitzer des Audis gab an, ihm den Wagen ausgeliehen zu haben. Nach all diesen Indizien nahmen ihn am Neujahrstag mehrere Polizisten in einem Hotel im nahen Taunus fest.

Angeblich soll der Sänger Verletzungen im Gesicht gehabt haben. Erst gegen eine Kaution von 50000 Euro durfte er wieder gehen. Es hilft Russell wenig, dass sich am Tag nach dem Unfall ein junger Mann bei der Polizei stellte und etwas nebulös angab, er habe mit dem Unfall etwas zu tun. An seinen Aussagen gebe es "berechtigte Zweifel", heißt es bei der Polizei.

Russell gilt als Sorgenkind der Band

Kevin Russell war vom Leben alles andere als bevorzugt, als er 1980 nahe Aschaffenburg mit zwei Freunden die Böhsen Onkelz gründete, im Alter von 16 Jahren. Weil die Band mit der Skinhead-Vergangenheit zu den umstrittensten in Deutschland gehört, hat sie auf ihrer Homepage ihre Geschichte bemerkenswert offen geschildert. Russell kommt dort immer wieder vor - als Sorgenkind der Gruppe.

Schon was da über seine Kindheit zu lesen ist, klingt betrüblich: Der Vater ein Lufthansa-Pilot mit englischer Abstammung und meist unterwegs, die Mutter eine Hausfrau mit Alkoholsucht. Die Familie zerbricht bald. "Kevin leidet bereits in früheren Kindesjahren unter Abweisungerlebnissen und entwickelt schnell ein Isolationstrauma", schreibt die Band, "was sich später in unreflektierten Gewaltausbrüchen und Autoaggression ausdrücken wird."

Die Geschichte des Aufstiegs der Böhsen Onkelz - mit am Ende sechs Millionen verkauften Platten - ist auch die Geschichte von Russells Abstieg. Schon 1986, als die Band sich gerade erst von der rechten Szene losgesagt hat, fällt Russel bei einem Benefizkonzert betrunken ins Schlagzeug und kann alleine nicht mehr aufstehen.

"Kevin scheint verloren"

Drei Jahre später ist er "außer Rand und Band", schreibt die Band. "Die Schlägereien in seinem Leben hören nicht auf." Der völlige Absturz in den Drogensumpf folgt 1990, nachdem der beste Freund der Band in einer Frankfurter Kneipe erstochen wird. Er stirbt in Russells Armen. Zwei Jahre später trinkt der Sänger täglich zwei Liter Jägermeister und nimmt mehrere Gramm Heroin. Die Überschrift in der Band-Chronologie dazu heißt: "Kevin scheint verloren."

Es ist der Bandleader und Bassist Stephan Weidner, der seinen Sänger schließlich zu sich nach Hause holt, im Keller einquartiert und entzieht. Aber ohne nachhaltigen Erfolg. Vor vier Jahren findet er Russell im Hotelzimmer, wieder voller Drogen. Die Ärzte versetzen den Sänger in ein künstliches Koma, ob er überhaupt wieder aufwacht, konnte lange niemand sagen.

Jetzt, am Tag nach dem Unfall, fanden die Ermittler wieder Drogen in Russells Blut. Einen gültigen Führerschein besitzt er nicht mehr, er verlor ihn nach einer Trunkenheitsfahrt.

Die Band fühlte sich unverstanden

Gewöhnlich waren die Onkelz nie. Manche vergötterten sie und beklebten Autoscheiben mit ihrem Schriftzug. Andere hassten sie regelrecht. Denn zu Beginn ihrer Karriere schrieben sie rechtsextreme Lieder; Texte wie "Deutschland den Deutschen".

Als sie sich einige Jahre später davon lossagten, fühlten sie sich fortan unverstanden von der Presse, aber auch von anderen Musikern, die immer wieder an ihre braune Vergangenheit erinnern. Obwohl sie grölende Neonazis aus den Konzerten werfen ließen oder einmal gar mit der Gitarre auf einen einschlugen, der den Hitlergruß zeigte.

Die Onkelz sahen sich als Außenseiter und wurden bis zu ihrer Auflösung im Juni 2005 zur Kultband der Underdogs. In ihren düsteren Songs gaben sie sich heroisch. "Ich will lieber stehend sterben als knieend leben", lautet ein Titel. Gesungen hat ihn Kevin Russell.

© SZ vom 09.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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