Katastrophe in den USA:Senator rechnet mit mehr als 10.000 Toten

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Trotz pausenloser Evakuierungen warten im Dreck versinkenden New Orleans weiter Zehntausende auf Rettung. US-Präsident Bush bereist inzwischen die Region, versprach Hilfe und versuchte, die Wut über die unzureichenden Hilfsmaßnahmen zu beschwichtigen. Derweil rechnen Analysten mit einem Gesamtschaden, der so hoch ist wie ein Drittel des Haushaltes der Bundesrepublik Deutschland.

Nach Tagen von Chaos und Gewalt ist ein Konvoi der US-Nationalgarde in New Orleans eingetroffen und hat den verzweifelten Bürgern Trinkwasser und Nahrungsmitteln gebracht. Die Soldaten sollen außerdem die Gesetzlosigkeit, Plünderungen und Schießereien von Straßenbanden beenden.

Trotz pausenloser Evakuierungen warten in der im Dreck versinkenden Südstaatenmetropole weiter Zehntausende auf Rettung. Bürgermeister Ray Nagin ließ seinem Ärger über das Krisenmanagement freien Lauf und forderte die Regierungsbeamten auf, "ihre Hintern zu bewegen" und rasch mehr Hilfe, Soldaten und Busse zu schicken.

Während eines Besuches in der Katastrophenregion beschwichtige US-Präsident George W. Bush und sagte, dass Millionen Tonnen Hilfsgüter auf dem Weg seien. Dennoch sei das Ergebnis der Hilfsaktionen bislang "inakzeptabel".

Bush besuchte unter anderem die zerstörte Stadt Biloxi im Bundesstaat Mississippi, begleitet wurde er von ausgesuchten Journalisten. Nach Angaben der ARD rückten erst unmittelbar vor der Ankunft des Präsidenten Räum- und Hilfstrupps in die Stadt ein, die deutsche Korrespondentin sprach davon, dass für diese Medienvertreter und Fotografen nach Leichen mit Hunden gesucht wurden. Bush sprach in Biloxi auch mit einigen von Hurrikan "Katrina" betroffenen Bürgern.

Trotz der Defizite bei den Bergungseinsätzen in den Hurrikan-Regionen im Süden der USA will US-Präsident George W. Bush keine Soldaten aus dem Irak in die Katastrophengebiete abkommandieren. "Wir haben genügend Ressourcen, um beides zu machen", sagte Bush. Die USA besäßen die nötigen Mittel, um das Land "vor den Terroristen zu schützen" und gleichzeitig "diesen Teil der Welt wieder aufzubauen".

Nach den Worten von Bush sieht die gesamte Küste am Golf von Mexiko aus, als ob sie von der schlimmsten vorstellbaren Waffe getroffen worden sei. Mindestens 350.000 Häuser seien zerstört worden und bis zu einer Million Menschen benötigten ein neues Zuhause, sagte der Chef der US-Behörde für Katastrophenmanagement (FEMA), Michael Brown.

Louisianas Senator David Vitter sagte, nach seiner Vermutung seien mindestens 10.000 Menschen ums Leben gekommen. Dies sei "aber nur eine Schätzung", schränkte er ein. Seine Äußerung basiere nicht auf einer offiziellen Statistik oder Leichenzählung, betonte der Senator. Offizielle Opferzahlen gab es auch fünf Tagen nach dem Sturm nicht.

Die Gesamtschäden durch den Hurrikan könnten 100 Milliarden Dollar (80 Milliarden Euro) überschreiten, teilte die auf Risikoanalysen spezialisierte US-Firma Risk Management Solutions (RMS) mit. Das wäre fast ein Drittel des Haushaltes der Bundesrepublik Deutschland.

In New Orleans wurde die Situation am Freitag immer explosiver und die Verzweiflung der Menschen schlug in Empörung und Wut um. Im Footballstadion und im Kongresszentrum wateten Tausende durch Abfall und Fäkalien, in Hauseingängen lagen verwesende Leichen.

Die Armee warf von Helikoptern aus Mahlzeiten und Wasserflaschen ab. Polizisten standen mit Gewehren im Anschlag auf Hausdächern, um marodierende Banden in Schach zu halten. Nach einem Brand stürzte ein Haus in der Innenstadt ein.

Touristen flehen um Hilfe

Hunderte Touristen haben sich in den höheren Etagen von Hotels verbarrikadiert und flehten per Telefon um Hilfe. "Ich weiß nicht, ob jemand sich im Klaren ist, dass wir noch hier sind", sagte Phyllis Petrich. Eine Abgeordnete des Parlaments von Louisiana bat die Öffentlichkeit per Telefon aus New Orleans um Hilfe an: "Schickt Busse! Ihr könnt tausende Leben retten!"

Die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, drohte Plünderern und anderen Gesetzesbrechern im Katastrophengebiet mit Waffengewalt. Zusätzliche Soldaten seien in New Orleans eingetroffen, sagte sie dem US-Nachrichtensender CNN. "Diese Soldaten wissen, wie man schießt und tötet."

Spezialisten des Pionier-Korps arbeiteten mit Hochdruck an der Reparatur der gebrochenen Dämme. General Karl Strock äußerte Sorge, dass neue Stürme aus der Karibik heranziehen könnten, ehe die Dämme wieder hergestellt seien. Die Hurrikan-Saison dauert bis Ende November. Nach letzten Angaben fließt das Wasser sehr langsam aus der Stadt ab und nur noch 53 Prozent der Fläche sind geflutet.

Der Senat verabschiedete in der Nacht zum Freitag in Washington ein Soforthilfepaket im Umfang von 10,5 Milliarden Dollar (8,4 Milliarden Euro). Das Abgeordnetenhaus wollte am Freitag zustimmen.

Schröder: "Die Bilder sind kaum zu ertragen"

Es handele sich um eine erste Tranche, sagte Senatsmehrheitsführer Bill Frist. Über weitere Gelder werde später entschieden. FEMA-Direktor Michael Brown wehrte sich gegen den Vorwurf unzureichender Planung. "Dies ist schlimmer als jedes andere Desaster, das die USA je getroffen hat", sagte er.

Das Sportstadion Astrodome in Houston im Nachbarstaat Texas, zu dem die Menschen mit Bussen aus dem 500 Kilometer entfernten New Orleans gebracht worden waren, musste am Freitag seine Türen wegen Überfüllung schließen. Ankömmlinge wurden nach achtstündiger Busfahrt abgewiesen. Einige mussten weitere 300 Kilometer Fahrt nach San Antonio auf sich nehmen.

Aus aller Welt rollte eine beispiellose Hilfsaktion für die USA an. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bot neben Medikamenten und Bergungsspezialisten die Lazarettmaschine "Medevac" der Bundeswehr sowie Flugzeuge für Evakuierungen und Transporte an. "Die Bilder sind kaum zu ertragen", sagte Schröder. Der russische Zivilschutz machte zwei schwere Transportflugzeuge Iljuschin-76 für einen Kriseneinsatz startklar. Die Maschinen sollten leichte Such-und Rettungshubschrauber nach Amerika fliegen.

Auch Frankreich, Italien, Österreich, Schweden und Australien bereiteten Flüge mit Hilfsgütern vor. Sri Lanka, im vergangenen Dezember durch einen Tsunami selbst zum Opfer einer Naturkatastrophe geworden, sprach der USA seine Sympathie aus und bot finanzielle Hilfe in Höhe von 25.000 Dollar (rund 20.000 Euro) für die Flutopfer an.

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