Karolina-Prozess:Gutachter: Vermindert schuldfähig wegen "schwerer seelischer Abartigkeit"

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Mehmet A. hat die dreijährige Tochter seiner Lebensgefährtin nach Einschätzung eines Gerichtspsychiaters mit "Foltermethoden des 16. Jahrhunderts" zu Tode gequält, weil bei ihm die "Erniedrigung anderer zur Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls" führt.

Der wegen Mordes an der dreijährigen Karolina angeklagte Mehmet A. ist laut einem Gutachter wegen einer Persönlichkeitsstörung vermindert schuldfähig.

Der 31-Jährige weise eine "schwere seelische Abartigkeit" auf, sagte der Gerichtspsychiater Norbert Nedopil vor dem Landgericht Memmingen. Er sei von verschiedenen Drogen abhängig und habe seit seinem 15. Lebensjahr eine mehrfache Persönlichkeitsstörung.

"Es liegt eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit vor", sagte der Experte. Diese Diagnose sei unabhängig von der Drogensucht des Beschuldigten.

Eine "sadistische Komponente" könne nicht ausgeschlossen werden, sagte Nedopil. A. erniedrige andere, um seine eigene Macht zu bestätigen. Er sei sich seiner Taten bewusst gewesen.

"Interesse und Lust an Verletzungen"

Die qualvollen Misshandlungen Karolinas mit 25 Brandwunden seien als "Erniedrigung anderer zur Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls" zu bewerten.

Der Angeklagte habe auch vor Gericht "Interesse und Lust an Verletzungen" gezeigt, als er Fotos von der zu Tode gequälten Karolina minutenlang ohne Regung angeschaut habe.

Er bescheinigte dem 31-Jährigen Impulsivität, Aggressivität und eine geringe Gewaltschwelle. "Er ist geprägt von planloser Impulsivität aus momentaner Kränkung", sagte der Psychiater über den Angeklagten.

A. hatte die Misshandlungen der dreijährigen Karolina als erzieherische Methode gerechtfertigt. Nedopil: "Diese Erziehungsmaßnahmen mit Foltermethoden des 16. Jahrhunderts sind nicht nachzuvollziehen."

A. soll laut Anklage Karolina vier Tage lang so brutal misshandelt haben, bis das Kind starb.

Die Mutter des Kindes, die mitangeklagte Zaneta C., habe die Folterungen mitangesehen, ohne etwas zu unternehmen.

Die beiden Angeklagten sollen das grausam zugerichtete und kahl geschorene Kleinkind schließlich in einer Krankenhaustoilette in Weißenhorn bei Neu-Ulm abgelegt haben, wo die Dreijährige am 5. Januar 2004 entdeckt wurde. Das Kind war wenige Stunden später gestorben, Mutter und Freund in Italien festgenommen und ausgeliefert worden.

Nedopil, Leiter der forensischen Abteilung der Uniklinik München, führte aus, Mehmet A. sei so lange gefährlich, wie die Persönlichkeitsstörung anhalte. Der 31-Jährige handle impulsiv und aggressiv. Er sei "ausgesprochen empfindlich und kränkbar", schon Banalitäten führten zu überschießenden Reaktionen.

Der Angeklagte hatte vor Gericht ausgesagt, er sei ausgeflippt, wenn Karolina nicht gefolgt habe. Aus erzieherischen Gründen habe er sie mit der Hand, mit einem Gürtel oder Stock geschlagen oder ihr erhitzte Verschlüsse von Methadon-Flaschen auf den Körper gedrückt.

Bereits wegen A.s Drogensucht geht die Anklage von verminderter Schuldfähigkeit aus.

Der Gerichtspsychiater sagte, bei A. bestehe Wiederholungsgefahr. Aus medizinischer Sicht ist nach Angaben des Gutachters die Unterbringung des 31-jährigen in der Psychiatrie notwendig.

Eine Behandlungsprognose müsse aber derzeit als ungünstig eingeschätzt werden, da der Angeklagte noch nicht therapiebereit sei. In der Vergangenheit A. bereits zahlreiche Behandlungen abgebrochen. Wegen seiner langjährigen Drogensucht war er bereits 16 Mal im Bezirkskrankenhaus Günzburg.

Für immer die die Psychiatrie?

Nedopil befürwortete deshalb die Unterbringung des Angeklagten für ein bis vier Jahre im Gefängnis, danach in einer psychiatrischen Fachklinik.

Oberstaatsanwalt Johann Kreuzpointner sagte, das Gutachten werde sich schuldmindernd auf die Höhe der Strafe auswirken. Eine lebenslange Verurteilung komme daher wohl nicht mehr in Frage. Ohne Behandlungserfolg werde der Angeklagte aber lebenslang in der Psychiatrie bleiben müssen.

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