Karneval: Millionen in Köln, Düsseldorf und Mainz:Bewaffnete Mullahs und ein entblößter Hitler

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Die Rosenmontagszüge in den deutschen Karnevalshochburgen zogen Millionen Schaulustige an. Die provozierendsten Wagen fuhren durch Düsseldorf.

Der Düsseldorfer Rosenmontagszug machte sienem Ruf, die provozierendsten Wagen zu haben, dieses Jahr wieder alle Ehre. Selbst vor dem heiklen Thema Islamismus machten die Düsseldorfer nicht Halt: So zeigte ein Wagen zwei bis an die Zähne bewaffnete Mullahs. Beide sahen genau gleich aus, nur vor einem stand "Klischee", vor dem anderen "Wirklichkeit".

Aiman A. Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), kritisierte diese Darstellung: "Mit Humor hat das nichts zu tun. Ich lese die Message so: Wir lieben unsere Vorurteile, wir verteidigen unsere Vorurteile - notfalls mit platten Lügen", sagte er. Mazyek schob allerdings verständnisvoll hinterher: "Als geborener Rheinländer sehe ich das gelassen. Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit der Jecken nicht dafür ist, dass ein islamverachtender Zynismus salonfähig gemacht wird."

Auf einem anderen Wagen fuhr Adolf Hitler mit heruntergelassener Hose mit und schied die NPD als stinkende Nachgeburt aus. Zugleiter Hermann Schmitz ließ die provokante Figur aus Angst vor Störungen durch Neonazis erst 20 Minuten vor dem Start des Zuges enthüllen.

Auch auf anderen Wagen zeigten die Düsseldorfer Biss. Um den Hals von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte sich der Bart des unter falschem Terrorverdacht im US-Gefangenenlager Guantánamo inhaftierten Murat Kurnaz als Schlinge zusammengezogen. Zwei wilde CSU-Jäger hatten unterdessen Edmund Stoiber zur Stecke gebracht: Nackt und ausgezehrt an einer Stange hängend wird der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef von den beiden aus der politischen Arena getragen.

Auf einem weiteren Wagen roch US- Präsident George W. Bush beim iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad an der "Achsel des Bösen".

Der 5,5 Kilometer lange Umzug startete um 13:44 Uhr. Mehr als eine Million Zuschauer feierten mit den mehr als 5500 Narren, die mit 70 Wagen durch die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt zogen.

Bereits um elf Minuten vor elf starteten 10.100 Teilnehmer den Kölner Rosenmontagsumzug. Dessen Strecke windet sich 6,5 Kilometer durch die Kölner Innenstadt. Das Motto lautet "Mir all sin Kölle" - wir alle sind Köln.

Auch in Köln jubeltenmehr als eine Million Jecken und Schaulustige den Karnevalisten und ihren Motivwagen zu. Diese nahmen in diesem Jahr vor allem den Kölschen Klüngel und die Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf aufs Korn.

Die konkurrierenden Karnevalshochburgen Aachen, Mainz und Düsseldorf wurden auf einem Persiflagewagen als magersüchtige Models vorgeführt, während sich die "Colonia" als dralle Miss Universum präsentierte.

Auch die Große Koalition wurde thematisiert. Als Bademeisterin im schwarz-rot-goldenen Badeanzug musste Angela Merkel in Köln Mehrwertsteuerhai, Abgabekrokodil und Reformkrake bändigen.

Auf einem der Wagen fuhren auch die beiden Handball-Weltmeister Florian Kehrmann und Carsten Lichtlein mit. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) brachte im barocken Brokat-Kostüm Kamelle unters Volk.

Der Rosenmontag begann in Köln mit echten roten Nasen - der Kälte wegen. Darum hieß es in der Domstadt schon früh: "Wir schunkeln schon!" Denn anders konnte man den Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt kaum trotzen. Viele hatten zu leichte Kostüme an, weil sie sich auf den optimistischen Wetterbericht verlassen hatten.

Statt am Morgen sofort die besten Stellen am Zugweg anzusteuern, suchten Tausende Rosenmontagstouristen erst einmal Zuflucht im Dom, der aber auch nicht beheizt wird. Gegen 9 Uhr beförderten die "Domschweizer" genannten Kirchenwächter in ihren roten Uniformen - keine Verkleidung! - alle Narren hinaus und schließen die schweren Portale ab: "Zum Abendjebet können Se wiederkommen!"

Doch richtige Jecken klagen nicht. "Ich habe obenrum sechs Lagen an", sagte Jörg Wiesendal, naturalisierter Kölner. "Auch meine Zöpfchenperücke ist ziemlich warm."

Andere hielten sich mit Würstchen warm oder einem Gläschen Schnaps. Neben den Zigtausende Schaulustige warteten in Köln und Mainz seit dem Morgen auf den Beginn der Rosenmontagszüge, mit denen der Karneval in den rheinischen Hochburgen heute seinen Höhepunkt erreicht.

In Mainz war der närrische Lindwurm mit rund 9350 Teilnehmern und etwa 150 Wagen aller Art ebenfalls etwa 7 Kilometer lang sein. Dort kamen rund 500.000 Schaulustige.

Unter dem Motto "Wir sind frei für die Narretei" hat sich auch im westfälischen Münster ein kilometerlanger Rosenmontagszug durch die engen Gassen der Innenstadt geschlängelt. Mehr als 200.000 Närrinnen und Narren säumten die Straßen und fingen eifrig Bonbons und andere Leckereien auf.

Mit 118 Mottowagen und Fußgruppen - darunter auch Gäste aus den Niederlanden - war Münsters Rosenmontagszug der größte in Westfalen. Die Jecken nahmen vor allem das lokale Geschehen des Jahres 2006 auf die Schippe.

Der Rummel um die schwarze Schwänin "Petra" mit ihrer Liebe zu einem Tretboot war ebenso Thema wie die aus Sparzwang trocken gelegte Bäderlandschaft.

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