Kandel:Ein Urteil, das keinen Frieden bringt

Lesezeit: 3 min

Abdul D. ersticht seine Ex-Freundin Mia in einem Drogeriemarkt in Kandel. Das Urteil: achteinhalb Jahre Haft. In dem Städtchen wird noch lange keine Ruhe einkehren.

Von Susanne Höll

Natürlich hätte man gern genauer gewusst, was Abdul D. angetrieben hat an jenem Tag kurz nach Weihnachten im pfälzischen Kandel. Jenem 27. Dezember, als er in einem Drogeriemarkt seiner 15 Jahre alten Ex-Freundin Mia auflauerte und sieben Mal zustach. Aber der Prozess gegen den jungen Flüchtling, dessen Tat ganz Deutschland bewegte, fand entsprechend den Prozessregeln hinter verschlossenen Türen statt. Lediglich das Urteil wurde vom Landgericht Landau bekannt gegeben: achteinhalb Jahre Haft wegen Mordes und Körperverletzung.

Zwar weiß man bis heute nicht, wie alt Abdul D. zum Tatzeitpunkt genau war. Doch sicher nicht 21 Jahre, vermutlich nicht einmal 18, sagen die Experten. Für Minderjährige gelten geringere Strafmaße, das gelte unabhängig von der Nationalität für jeden jungen Menschen, der in Deutschland vor Gericht komme, hieß es vom Gericht. Acht Monate hat Abdul D. verbüßt. Er sitzt seit der Tat in Haft.

An jenem Tag hatte sich Mia mit Freunden verabredet, man bummelte durch Geschäfte. Abdul B. lauerte ihnen auf, gut möglich, dass er wütend war und eifersüchtig. Denn er und Mia waren bis Anfang Dezember für etwa ein Jahr ein Paar gewesen. Dann trennte sich die Schülerin. Der junge Flüchtling, der 2016 allein nach Deutschland gekommen war und nach einem erfolglosen Asylantrag bis zur Volljährigkeit geduldet werden sollte, wollte das offenkundig nicht hinnehmen. Er drohte und schimpfte, Mias Familie erstattete Anzeige. Die Betreuer des Flüchtlings wurden informiert, die Polizei redete ihm ins Gewissen. Am 27. Dezember kaufte er zwei Messer, folgte Mia in den Drogeriemarkt und stach auf die Schülerin ein. Sie starb wenig später im Krankenhaus, ihre Eltern verloren ihr einziges Kind. Zum Prozessauftakt bekundete der Angeklagte über seinen Verteidiger Reue. Am Montag, nach der Urteilsverkündung, sagte sein Anwalt, er akzeptiere den Schuldspruch. Die Staatsanwaltschaft prüft Revision.

Warum Mia sterben musste, diese Frage bleibt auch nach dem Urteil offen. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Die Tat in den Weihnachtsferien hatte die Debatte über den Umgang mit gewalttätigen Flüchtlingen neu angefacht. Die deutsche Politik diskutierte, ob und wie man das Alter junger Flüchtlinge feststellen kann. Ein Jahr zuvor, im Oktober 2016, hatte in Freiburg der aus Afghanistan geflüchtete Hussein K. die Studentin Maria L. ermordet. Auch in diesem Fall war lange über das wahre Alter des Angeklagten gemutmaßt worden. Der Prozess wurde vor der Jugendkammer geführt, Gutachter kamen letztlich aber zu dem Schluss, dass Hussein K. über 21 Jahre alt sein musste. Er wurde nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. In Kandel kaperten Rechtspopulisten die Debatte. Seit Jahresanfang ruft ein angebliches Frauenbündnis immer wieder zu Demonstrationen auf, zu denen zwischenzeitlich auch gewaltbereite Rechtsextremisten kamen. Gegendemonstranten protestierten, es wurde hitzig. Solche Szenen kannte man bislang nicht im beschaulichen Städtchen in der Südpfalz. Inzwischen ziehen die fremdenfeindlichen Marschierer nur noch einmal im Monat auf, zuletzt am vergangenen Samstag. Sie stammen zumeist nicht aus Kandel. Und die Einwohner sind ihrer längst überdrüssig.

Verbandsgemeinde-Bürgermeister Volker Poß hat, wie viele Bewohner, schwere Zeiten hinter sich. Der Sozialdemokrat hatte nach der Tat zu Besonnenheit aufgerufen, wurde deshalb massiv beschimpft und bedroht. Er sagt, er hoffe nach dem Urteil auf mehr Ruhe für die Stadt: "Die Leute haben die Nase voll von diesen Samstagsdemos." Aber Kandel wird, das weiß auch der Bürgermeister, diese Aufmärsche notgedrungen weiter aushalten müssen. Die Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut, sagt er. Er sagt, er verfolge mit Entsetzen im Fernsehen die Gewalt in Chemnitz, an deren Anfang auch eine Bluttat stand, verdächtig sind zwei Flüchtlinge. Wird es brenzliger in Deutschland? "Es sieht so aus. Manchmal frage ich mich, wohin das alles noch führen soll", sagt Poß.

Großer Andrang vor dem Landgericht in Landau: Der Anwalt des Verurteilten, Maximilian Endler, äußert sich zum Prozessausgang. (Foto: Andreas Arnold/AFP)

Die anonymen Drohungen gegen ihn seien weniger geworden, erzählt der Bürgermeister. Einträge auf seiner Facebook-Seite liest er aber bis heute nicht mehr. Er hat auch viel Zuspruch erhalten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing ihn im Mai in Berlin. Das habe ihm gutgetan, sagt Poß. Einschüchtern ließ er sich nicht, er geht, wie gewohnt, zu Fuß ins Büro, redet mit den Leuten, die immer noch nicht verstehen können, warum ausgerechnet in ihrem Ort ein solches Verbrechen geschehen konnte.

Denn mit den Flüchtlingen in Kandel kam und kommt man gut aus, Ehrenamtliche bemühen sich um die Zuzügler. Bürgermeister Poß sagt, inzwischen lasse das Engagement ein wenig nach. Die Leute seien wahrscheinlich nach drei Jahren Arbeit etwas müde geworden.

Fürs Erste wird in Kandel auch nach dem Urteil gegen Abdul D. keine Ruhe einkehren. Die Rechtspopulisten haben weitere Demonstrationen angekündigt.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: