Kälte in Deutschland:Die Unverfrorenen

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Kälte? Welche Kälte? Es gibt Menschen, die gehen immer raus, bei jedem Wetter und nahezu jeder Temperatur. Manche, weil sie müssen - andere sogar freiwillig. Die SZ hat mit acht von ihnen gesprochen.

Protokolle von Anna Feininger und Helena Ott

Der Standhafte

(Foto: Helena Ott)

Bekim Ukelli, 44, Verkäufer am Viktualienmarkt (Pilze & Dekoartikel): "Die meisten Kollegen mit frei stehenden Ständen haben heute nicht geöffnet. Bei uns geht das nicht, wir wollen unsere Stammkunden nicht verärgern. Wenn ich die Kartons mit neuer Ware aufschneide, kann ich keine Handschuhe tragen, da spüre ich meine Finger kaum noch. Aber sonst geht es, ich bin viel in Bewegung. Um sieben Uhr morgens fange ich an, den Stand aufzubauen und alle Artikel in die Körbe zu legen. Eine Erkältung hatte ich dieses Jahr noch nicht. Ich bin körperlich sehr stark - vielleicht, weil ich bei dem Wetter auch laufen gehe. Um 15 Uhr mache ich Feierabend, heute werde ich mich dann zuerst in die heiße Badewanne legen."

Der Batterie-Wiederbeleber

Karlheinz Böringer, 48, Pannenhelfer: "Gerade bei dem Wetter sind wir sehr gefragt und viel unterwegs. Meistens macht die Batterie schlapp. Das sind dann zum Glück nur kurze Einsätze in der Kälte: Pro Fahrzeug brauche ich etwa 20 Minuten, dann kann ich mich wieder im Auto aufwärmen, bis ich beim nächsten Einsatz bin. Die Eiseskälte ist angenehmer zu ertragen als Regen. Gegen die Kälte kann ich mir Wärmeres anziehen, gegen Nässe hilft nichts so recht. Ohne Thermokleidung wäre es hier im Schwarzwald aber auch sehr kalt, besonders nachts. Damit wir anständig arbeiten können, haben wir verschieden warme Schutzhandschuhe. Irgendwann verliert man trotzdem das Gefühl in den Fingern. Ich bin gerne Pannenhelfer, mache das seit 28 Jahren und habe gelernt: Das A und O ist cremen, cremen, cremen!"

Die Rutschfeste

(Foto: Helena Ott)

Sabine Ghivizzani, 53, Briefträgerin: "Meine Schicht in der Münchner Innenstadt hat um 5.30 Uhr angefangen. Da hatte es minus elf Grad, die Sonne ging erst eine Stunde später auf. Mich friert nicht, ich habe fünf Schichten an und trage Skihandschuhe. Die Post muss bei jedem Wetter raus. Es ist nur schade, dass so viele Verkaufsstände auf dem Viktualienmarkt wegen der Kälte geschlossen haben. Sonst bin ich zu Mittag eine größere Auswahl gewohnt. Ein Gemüsehändler schenkt mir in jeder Mittagspause einen heißen Saft, heute Apfel Aronia. Das hilft. Ich bin froh, dass das Trike, mein dreirädriges Postfahrrad, bei der Glätte nicht so leicht wegrutscht. Ich mache das jetzt schon zwölf Jahre, da hat man auch mit der Kälte Routine."

Der Überzeugungstäter

(Foto: Helena Ott)

Paul Kratt, 70, Diplomingenieur im Ruhestand: "Das Ehrenamt als Schulweghelfer mache ich, weil ich an unsere Kleinen denke. Seit es die Lotsen gibt, passieren deutlich weniger Unfälle an Kreuzungen. Die Minusgrade halten mich nicht ab, dazu ist die Überzeugung zu groß. Ich ziehe eine lange Unterhose drunter und diesen Mantel an, dann geht das. Hier am Leuchtenbergring in München ist der eisige Wind das größte Problem. Aber dafür ist meine Wohnung gleich gegenüber, da kann ich mich in der Mittagspause bei einer heißen Tasse Kaffee wärmen. Nach der Schicht wird mir schnell warm, ich pflege eine 91-jährige Dame, die früher in meiner Nachbarschaft gewohnt hat, und besuche meine Frau im Krankenhaus."

Der Eiskletterer

(Foto: privat)

Henry Kalendruschat, 36, Offshore-Industriekletterer: "Bis Sonntag war ich noch für Reparaturarbeiten bei den Windkraftwerken in der Ostsee. Das Schiff fährt uns morgens um halb sieben aufs Meer und holt uns abends wieder ab. Aufwärmen können wir uns nur im Maschinenraum, wenn die Maschinen laufen: Zurzeit also nicht. Warme Kleidung, viele Schichten und Tücher im Gesicht schützen vor der Kälte und dem Wind. Zu dick dürfen die Sachen aus Sicherheitsgründen aber auch nicht sein. Mittlerweile sind die Plattformen zugefroren, und das Werkzeug ist vereist, es hat heute minus 15 Grad an der Boje draußen. Darum können wir nicht mehr raus. Im Winter ist es sehr hart, ja, aber es ist mein Traumjob."

Der Schlitterbahn-Bauer

Kai Balzer, 57, Erzieher im Waldkindergarten: "Normalerweise sind wir fast die ganze Zeit draußen, inzwischen ist es zu kalt: Wir essen sogar im Bauwagen. Zum Glück ist der sogar beheizt, falls es jemandem doch mal zu kalt wird. Das kommt aber selten vor: Die Kinder spielen Fangen und toben viel. Sie merken gar nicht, dass es so kalt ist. Natürlich ist der Winter noch toller für die Kinder, wenn Schnee liegt. Sie können dann Schneemänner bauen oder Schlitten fahren. Wenn sie den Berg so häufig hochlaufen, vergessen sie sehr schnell, dass es kalt ist. Wir Erzieher kommen da auch gut ins Schwitzen. Gerade fehlt uns der Schnee hier in Köln. Stattdessen spielen wir viel mit Wasser. Heute haben wir zum Beispiel eine Schlitterbahn angelegt und hoffen, dass sie bis morgen einfriert. Die Kinder freuen sich schon."

Der Strafzettelschreiber

(Foto: privat)

Carsten Schulze, 36, Politeur: "Ich schreibe überall in Hamburg Strafzettel, 100 bis 120 pro Tag. Bei Glätte können es weniger sein; wir haben keinen Zeitdruck und müssen gut aufpassen, nicht zu stürzen. Wenn es so kalt ist wie jetzt, ist das Problem, dass wir durch zugefrorene oder verschneite Scheiben nicht sehen können, ob da ein Parkschein liegt. Es ist nicht unsere Aufgabe, die freizuräumen. Die Autofahrer haben dann Glück - außer sie stehen im Halteverbot. Die Temperaturen sind für mich kein Problem. Wir haben Thermostiefel, die halten Kälte bis zu minus 40 Grad ab. Bei den Handschuhen habe ich die Finger abgeschnitten, sodass ich die Ordnungswidrigkeiten in das Smartphone tippen kann."

Der Berufene

(Foto: Helena Ott)

Frank Pusch, 55, Kranmonteur: "Das sind die Extreme, mit denen wir auf dem Bau leben müssen; den Kran heute errichten wir, damit ein Altbau in München saniert werden kann. Der Beruf ist für mich eine Art Bestimmung. Ich habe da reingerochen und konnte mir nie wieder vorstellen, etwas anderes zu machen. Bei der Kälte muss man seine Gedanken beisammen haben; muss gucken, dass das Gehirn nicht einfriert. Sonst wird es gefährlich mit der Glätte. Heute Abend wärme ich mich mit Schweinshaxn und Weißbier. Für mich ist das was Besonderes: Ich komme aus Brandenburg."

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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