Kaderschwund in China:Die nackte Elite

Lesezeit: 3 min

"Liebling, ich komme nach": Weil sich immer mehr chinesische Beamte ins Ausland absetzen, ziehen die Behörden nun ihre Pässe ein.

Henrik Bork

Die "nackten Beamten" sorgen derzeit in China für eine erregte Debatte. Dabei handelt es sich jedoch nicht um unzulänglich bekleidete Staatsdiener. Das Wort "nackt" ist hier sprichwörtlich zu verstehen. Mit "luoti zuoguan", also nackt ein Amt ausüben, meint der Volksmund eine neue Spielart der Korruption. Es sind Kader, die ihre Schmiergelder, ihre Ehefrauen, Kinder und oft sogar ihre Geliebten ins sichere Ausland schaffen, während sie selbst ganz allein - also "nackt" - weiter dem gefährlichen Geschäft des Geldscheffelns nachgehen.

Wer gut geschmiert ist, der kann natürlich auch in China ordentlich Geld verzocken. Zum Beispiel in den Casino-Séparées der Hotels von Macau (Foto). Doch einigen chinesischen Beamten reicht das nicht. Sie geben ihre Schmiergelder lieber im Ausland aus - und tauchen dort für immer unter. (Foto: Foto: AP)

Yang Xianghong war so ein "nackter Beamter". Als Parteisekretär des Bezirks Lucheng in der Boomstadt Wenzhou war er für Immobiliengeschäfte im Stadtzentrum verantwortlich. Er verkaufte, so der Verdacht, den öffentlichen Grund und Boden sehr billig an staatliche Baufirmen. Dafür wurde er privat reichlich geschmiert. Als die Disziplinarkommission mit Nachforschungen begann, verschwand der Funktionär während einer Dienstreise nach Paris aus seinem Hotel. Er sei krank und könne nicht zurück nach China fliegen, ließ er noch ausrichten.

"Gestern saß er hier noch im Café", zitiert die Zeitung Südliches Wochenende einen anderen Teilnehmer der Kadertruppe. "Ich weiß genau, dass der nicht krank ist." Später wurde bekannt, dass Yang seine Flucht offenbar lange vorbereitet hatte. Seine Frau hielt sich bereits die meiste Zeit in Frankreich auf, seine Tochter hatte einen Franzosen geheiratet. Nun ist die ganze Familie untergetaucht.

Es ist ein Muster, das sich in letzter Zeit häufig wiederholt. Korrupte Beamte in China kaufen zunächst Wohnungen oder Häuser im Ausland. Dann schicken sie möglichst unauffällig ihre Kinder zum Studium hinterher, später die Ehefrau, alles schön schrittweise. Erst dann hauen sie selbst ab. Eine Statistik des chinesischen Handelsministeriums spreche von 4000 korrupten Beamten, die sich mit "mehr als 50 Milliarden US-Dollar" ins Ausland abgesetzt haben, schreibt die Zeitung Südliches Wochenende. Und diese Zahl stammt aus dem Jahr 2005, also noch vor dem olympischen Immobilienboom der letzten Jahre.

Besonders beliebt bei den "nackten Beamten" sind Länder wie Kanada, die keinen Auslieferungsvertrag mit der Volksrepublik China haben. Aber auch sonnige Ziele wie Südfrankreich und die Südstaaten der USA sind sehr gefragt. In den dortigen Villenvierteln finden sich nicht selten die korrupten Beamten und die betrügerischen Geschäftsleute, die sich gegenseitig reich gemacht haben, als Nachbarn wieder. "Wenn ein japanischer Geschäftsmann pleite geht, geht er ins Badezimmer und hängt sich auf. Wenn ein Chinese pleitegeht - voilà -, dann ist er sofort in Florida", sagt Andy Xie, bis vor kurzem Chefökonom bei Morgan Stanley Asien/Pazifik.

Liebling, ich komme nach

Der in Paris getürmte Yang ist keinesfalls ein Einzelfall, doch ihm ist nun eine besondere Ehre widerfahren. Ein unbekannter Autor hat im Internet einen Roman veröffentlicht, dessen fiktiver Held "Laufweg Yang" erkennbar dem echten Beamten Yang aus Wenzhou und dessen stadtbekannten Gaunereien ähnelt. Die Wut vieler Bürger über die nackten Beamten ist inzwischen so verbreitet, dass selbst die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua eine satirische Zeichnung zu dem Thema veröffentlichte. Ein Mann wirft darin seiner Frau, die gerade ein Flugzeug besteigt, einen Sack Geld zu. "Liebling, ich komme nach, wenn ich hier genug verdient habe", ruft ihr der Mann hinterher.

Auch die Kollegen des Kaders Xin Weiming aus Shanghai merkten erst beim Frühstück, dass er fehlte. Als sie schließlich sein Hotelzimmer aufbrachen, war er bereits mit seinem gesamten Gepäck verschwunden. Jetzt, da die Finanzkrise und hausgemachte Wirtschaftsprobleme in China die Aktien- und Immobilienpreise purzeln lassen, hat eine regelrechte Massenflucht eingesetzt. "Seit kurzem passiert es einfach zu häufig, dass sich Beamte ins Ausland absetzen", schreibt ein Chinese in dem Online-Diskussionsforum Jiufang. Und der Kolumnist Guo Songmin des bekannten Online-Nachrichtendienstes Sohu.com warnt bereits vor einem gesellschaftlichen Trend, der schlimmste Folgen haben könnte. "Die nackten Beamten sind eine Gefahr für unsere nationale Politik, unsere Wirtschaft und unsere Armee", schreibt Guo.

Seltene Kontrollen für hohe Kader

In Küstenstädten wie Wenzhou, deren Bewohner traditionell viele Kontakte im Ausland haben, greifen die Behörden nun zu drastischen Maßnahmen. "Beamte ab dem Rang des Abteilungsleiters aufwärts müssen ihre Reisepässe bei der Regierung abgeben", wird ein Disziplinarbeamter zitiert. Staatsdiener, die ins Ausland reisen wollen, müssen dies künftig genau begründen. Doch Kader höheren Ranges finden trotz solcher Anstrengungen immer wieder Mittel und Wege, sich mit ihrem ergaunerten Geld elegant ins Ausland abzusetzen.

Je höher die Position, desto seltener wird man im kommunistischen China kontrolliert. So hatte Pang Jiayu, der korrupte Vizepräsident der Politischen Konsultativkonferenz der Provinz Shanxi, zunächst seine Frau und viel Bargeld nach Kanada geschickt. Er selbst wurde schließlich zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, aber seine Familie hat nun ausgesorgt. "Dass er nackt sein Amt ausübte, war ein Hinweis auf seine Korruption", wundert sich die Nachrichtenagentur Xinhua. "Und doch hat es sechs Jahre gedauert, bis er als korrupter Beamter enttarnt wurde. Es ist eine Schande."

© SZ vom 29.10.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: