Jungendkriminalität in Frankreich:Prinzip Abschreckung

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Frankreich unter Nicolas Sarkozy beantwortet brachiale Gewalt mit brachialer Justiz und nimmt eine namenlose Menge verlorener Jugendlicher in Kauf.

Franziska Brüning

Das Prinzip heißt Abschreckung. Am 10. August 2007 ist in Frankreich ein neues Strafrecht in Kraft getreten, das Mindeststrafen für jugendliche Wiederholungstäter vorsieht und die Verurteilung 16- bis 18-Jähriger nach dem Erwachsenenrecht erlaubt.

Längst brennen nicht mehr nur Autos, mittlerweile richtet sich die Wut direkt gegen Polizisten (Foto: Foto: AFP)

Jugendliche Schwerverbrecher müssen seitdem mit 15 Jahren Freiheitsentzug rechnen, während kleinere Delikte mit einer einjährigen Gefängnisstrafe sanktioniert werden. Grundsätzlich behalten die Richter jedoch die Möglichkeit, von solchen Mindeststrafen abzusehen und Minderjährige weiterhin nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln, wenn sie in ihrem sozialen und beruflichen Umfeld rasch resozialisiert werden können oder noch als zu unreif erscheinen.

Zweifelsohne haben kriminelle Kinder aus bürgerlichen Verhältnissen die besseren Karten, wenn es um den Nachweis eines intakten sozialen Umfeldes geht. Auf sie ist das Gesetz von Justizministerin Rachida Dati allerdings auch nicht zugeschnitten worden.

Schon in seiner Amtszeit als französischer Innenminister hat Präsident Nicolas Sarkozy mit flammender Polemik angekündigt, Frankreich von seinem "Gesindel" befreien zu wollen - und meinte damit jene Gruppe äußerst gewaltbereiter junger Männer aus der französischen Unterschicht, die in den trostlosen französischen Vorstädten nicht nur Katz und Maus mit Polizisten und Lehrern, sondern mit ihren eigenen Nachbarn im Viertel spielt.

Seit den Aufständen im November 2005 haben sie sich trotz zahlloser Bürgerinitiativen und Hilfsprojekte, finanzieller Soforthilfe für die Stadtentwicklung in Millionenhöhe und weiteren 3,7 Milliarden Euro, mit Hilfe derer bis 2010 insgesamt 250.000 Sozialwohnungen abgerissen und neu aufgebaut werden sollen, weiter radikalisiert.

Längst brennen nicht nur mehr Autos und Schulen, mittlerweile richtet sich ihre Wut direkt gegen Polizisten, verbunden mit dem Ziel sie zu verletzen oder gar zu töten. Mädchen und junge Frauen aus der direkten Nachbarschaft werden Opfer gemeinschaftlicher Vergewaltigungen, bewaffnete Raubüberfälle und Drogenhandel diktieren den Alltag.

In einer von Gruppenzwang und Autoritätskrise geprägten Welt des urbanen Horrors, in der Schule und Gesellschaft keinerlei soziale Zukunftsperspektiven und persönliche Erfolge bieten, wird das eigene Strafregister zur Trophäenliste. Womit sonst lässt sich noch vor Freunden prahlen. Nach den neuesten Zahlen des französischen Justizministeriums ist die Anzahl vor Gericht verhandelter jugendlicher Straftaten von 177.010 Fällen im Jahr 2001 auf 193.663 im Jahr 2005 gestiegen.

Die meisten dieser jungen Männer nehmen Schule, Polizei, Justiz und die eigenen Eltern, von denen sie sich im Stich gelassen fühlen, nicht mehr ernst. Der französische Staat glaubt nun mit drakonischen Strafen seine Autorität zurückgewinnen zu können und steht mit dieser Meinung nicht allein auf weiter Flur. Nach einer Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts Ifop vom Oktober 2007 halten selbst 74 Prozent der 18 bis 24-Jährigen das französische Jugendstrafrecht für nicht streng genug.

Brachiale Gewalt mit brachialer Justiz zu beantworten, zeigt, was kaum einer ausspricht. Das enge Geflecht aus Wohnmisere, hoher Arbeitslosigkeit, Autoritätskrise, Gruppendynamik, Opfermentalität, Rassismus und Perspektivlosigkeit, das die kriminellen Vorstadtkinder erst geboren hat, lässt sich nicht innerhalb einer Generation auflösen. Die juristische Axt schlägt die faulen Äpfel einfach ab. Zurück bleibt eine Gesellschaft, in der eine Mehrheit vor einer Minderheit geschützt wird. Resignationsgesättigt nimmt sie aber auch eine namenlose Menge verlorener Jugendlicher in Kauf.

© SZ vom 11.01.2008/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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