Jasmin Wagner:Versuch der Versuchung

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Ex-Teeniesängerin Blümchen plant unter ihrem bürgerlichen Namen das Comeback in die Musikbranche. Mit unerwartet intellektueller Verstärkung.

Kerstin Weng

Dirk Bach spielt die Hauptrolle bei Steven Spielberg. Tokio Hotel treten als Vorgruppe der Rolling Stones auf. Absurd? Gut, stimmt auch nicht. Aber eine ähnlich unerwartete Kollaboration ist wahr geworden: Das viel gehörte und nie ernst genommene Blümchen, heute wieder Jasmin Wagner, hat mit dem Kritiker-Liebling Bernd Begemann eine Platte gemacht. Sie heißt "Die Versuchung", kommt Mitte April auf den Markt und ist die Symbiose von zwei, eigentlich drei Künstlern, deren Fangemeinschaften weit, weit auseinander klaffen.

Wie es genau dazu kam, erzählt Jasmin Wagner an einem zugigen Tag in München. Sie sitzt auf einem großen Stuhl in einem schicken Hotelzimmer nahe des Hauptbahnhofs. Da wird sie heute den ganzen Tag sitzen, denn die Promo-Tour für "Die Versuchung" hat gerade erst begonnen.

Jasmin Wagner sieht aus wie Blümchen in der abgeschminkten, entzerrten Echtzeit-Version: Wellen statt Locken, Ballerinas statt Plateauschuhen. Tunika mit Sixties-Muster statt bauchfreiem Top. Gar nicht dumm statt doofer Zöpfe. Sie schenkt sich eine Tasse grünen Tee ein und beginnt, von den Anfängen zu erzählen.

Wie sie auf einer Karaokeparty entdeckt wurde. Von ihrem ersten Album "Herzfrequenz", mit dem sie zum Star wurde. Von der Figur des "Technokükens", die man sich für sie ausgedacht hatte. Und von ihrem Erfolg im Ausland als "Blossom". Sie redet schnell, streift sich ab und zu die langen Haare hinters Ohr. Man merkt, dass sie das alles schon viele Mal erzählt hat.

Als Blümchen hatte Jasmin Wagner in den Neunzigern Hits wie "Nur geträumt" oder "Verrückte Jungs"; mit Technobeats aufgemotzte NDW-Schlager. Einfache Texte, bekannte Melodien, wummernde Bässe. Blümchen klang wie ein hochgepitchtes Schlumpfinchen, und schon deshalb war sie damals auf jeder Kindergeburtstagsparty vertreten.

Captain Jack war stärkster Konkurrent

Das Fazit ihrer sechsjährigen Karriere: sieben Alben, zwei davon vergoldet, insgesamt 30 Millionen verkaufte Platten, zwei Echos für die beste nationale Künstlerin, die Goldene Stimmgabel, vier Bravo-Ottos. Ihre stärksten Konkurrenten in den Bravo-Charts waren damals Captain Jack, Fun Factory oder DJ Bobo. Sie wurde Deutschlands erfolgreichste Sängerin der Neunziger.

Während Blümchen Dancefloor-Karriere machte und in neonfarbenen Plüschkostümen und Sonnenblumen im Haar zu 180 Beats pro Minute auf- und abhopste, spielte Bernd Begemann ebenfalls in Hamburg, aber fernab der Top Ten seine Art von Musik: deutschen Pop mit ironischen, poetischen und kritischen Texten.

Der Hamburger gilt als Mitbegründer der "Hamburger Schule", schon seit den Siebzigern macht er Musik, zuerst mit seiner Band Die Antwort, dann allein. Immer glaubwürdig, mit Instrumenten statt mit Background-Tänzerinnen; Musik um der Musik willen. Bei dieser Kooperation trägt er das größere Risiko. Er hat einen Ruf zu verlieren, während das Ex-Blümchen nur gewinnen kann.

Bernd Begemann sieht das anders, natürlich. Die Widersprüche sind für ihn keine. "So sollten mehr Platten entstehen" , sagt er. "So", das ist für ihn ein Zusammenschluss aus unterschiedlichen Teilen: Text von ihm, Stimme von Jasmin, Musik von dem für seine Melodien viel gerühmten Musiker Michel van Dyke. Der stellte auch den Kontakt zwischen Blümchen und Begemann her. "Ich war von Jasmin schon immer begeistert", sagt Begemann. " Sie hat eine tolle Ausstrahlung, sie kann die Leute mitreißen."

Aber aus Sympathie macht man kein Album. Aus Ironie auch nicht.

Im Frühjahr 2001 war Jasmin Wagner auf Abschiedstournee gegangen. "Mit Anfang zwanzig war ich der Rolle des niedlichen Blümchens entwachsen. Sie war nicht mehr glaubwürdig. Aber das Team damals wollte sie beibehalten, obwohl ich immer älter wurde. Hätte ich so weitergemacht, hätte ich mir selbst was vorgelogen."

Sie wollte ab sofort nur noch "Jasmin" genannt werden, zog sich für das Männermagazin FHM aus, belegte Schauspielkurse in Amerika, hatte einen kleinen Part in dem Flop "Driven" mit Sylvester Stallone, moderierte die "Mini PlaybackShow", die "Disney Filmparade" und die Single-Show "Heart Attack".

Für ihre 25 Jahre hat Jasmin Wagner schon jede Menge zu rekapitulieren. Ihr Tee in der weißen Porzellantasse ist mittlerweile kalt.

Dass nicht Moderation oder Schauspielerei, sondern doch die Musik das Richtige für sie sei, merkte sie auf einer Reise. "Ich saß in Bali am Strand und dachte, wenn du noch mal ein Video machst, dann hier. Ich kritzelte Textfragmente in mein Reisetagebuch. Und merkte, dass da noch eine Rechnung offen ist."

"Leute, die mit einem arbeiten wollen"

Zurück in Deutschland ging sie ins Studio, um ein neues Album zu machen. Wie macht man das, als Ex-Blümchen? Es gibt unterschiedliche Arten: "Man kann zu den berühmten Produzenten nach Schweden fahren und die Songs aufnehmen, die Britney damals nicht haben wollte. Dann hat man zwölf Lieder und ein Album. Oder man trifft Leute, die mit einem arbeiten wollen." Schweden schied für Jasmin Wagner aus, statt Britney war das Ex-Spice Girl Mel C die Leitfigur, die Einzige, die es geschafft hatte, sich vom jogginganzugtragenden Hüpfmausi zu einer ernsthaften, vielseitigen Solokünstlerin zu entwickeln.

Deswegen beschloss Jasmin Wagner damals, mit möglichst vielen verschiedenen Leuten ins Studio zu gehen. Mit Inga Humpe von 2raumwohnung zum Beispiel, mit Lukas Hilbert und Uwe Fahrenkrog-Petersen. Der sah im zarten Ex-Blümchen eine wilde Rockröhre, wollte mit ihr "was Gothic-mäßiges" machen, wie mit seiner Eintagsfliegenband Nu Pagadi.

"Alle sahen damals etwas völlig anderes in mir." 2004 startete sie eine Comeback-Tour mit zwanzig Auftritten, zum Beispiel bei den "Happy Family Events" vom Supermarktdiscounter Minimal; sicher nicht die optimale Plattform für die Rückkehr ins Geschäft. Die Singles floppten. Die Veröffentlichung des Albums wurde immer wieder verschoben. Zuletzt sollte es im späten Herbst 2004 auf den Markt kommen.

Tat es aber nicht: "Ich musste die Notbremse ziehen. Dadurch, dass jeder Song mit jemand anderem erarbeitet worden war, war es wie ein Puzzle, das nicht zusammenpasste."Das ganze Album wurde, auch auf ihren Wunsch hin, eingestampft. "Ich dachte eigentlich, dass die Plattenfirma mich daraufhin rauswerfen würde. Aber sie gaben mir noch eine Chance."

Wagner rief ihren Bekannten Michel van Dyke an. Der Begemann anrief. Zu dritt trafen sie sich, und herausgekommen sind elf Lieder. Die Musik ist locker-flockig, schnelle, fröhliche Melodien, nicht so dramatisch wie die von Silbermond, nicht so künstlerisch wie bei Wir sind Helden, aber auch nicht so lolitamäßig wie bei Annette Louisan.

Die Songs handeln von Beziehungen."Ich habe mich oft mit Jasmin hingesetzt, um zu erfahren, worüber sie mit ihren Freundinnen redet", sagt Begemann, "und so die Lieder aus ihrer Sicht geschrieben." Deshalb sieht er auch keine Kontroverse in der Zusammenarbeit; die Lieder sind ja ehrlich. Und Sachen, die aus dem Leben erzählen und auch unterhalten, hat er doch schon immer gemacht.

"In vielen deutschen Popsongs wird eine Tiefe angedeutet, die eigentlich gar nicht da ist. Da erzählt dann jemand was von Ewigkeit, vom Ende der Zeit... so ein Schwachsinn. Alles viel zu düster. Ich will griffige Geschichten erzählen."

Von dem, was mal Blümchen war, ist auf dem Album nichts mehr zu hören. Es klingt sehr leicht. Mit ein bisschen Sechziger-Fluff. "Easy Listening" sagt man dazu auch. Und genau das findet Jasmin Wagner gut. "Bei dem Album, das niemals rauskam, haben viele Leute gesagt ,Super, das klingt wie der oder die'. Dieses Vergleichen ist nervig. Hier will man eine deutsche Shakira, eine deutsche Britney. Aber die gibt es schon, und kopiert man sie, ist man doch automatisch schlechter."

Ehrlichkeit oder Kalkül?

Also steht hinter diesem Produkt der Ehrlichkeit und unkonventionellen Zusammenarbeit doch Kalkül? "Hätte ich mir eine Kommerzsau genommen, wäre mir genauso Kalkül unterstellt worden. Mache ich es nicht, steckt darin Berechnung. Dabei weiß jeder, der Bernd kennt, dass er nie etwas machen würde, hinter dem er nicht voll steht. Auch nicht für viel Geld. Für mich persönlich ist das Album jetzt schon ein großer Erfolg, wie es sich verkauft, ist für mich Nebensache. Wenn es floppen sollte, mach' ich vielleicht mein eigenes Label auf."

Hui. So ein forsches Schlussplädoyer hätte man der stetig lächelnden Jasmin gar nicht zugetraut. Ehemalige Kinderstars müssen vielleicht ein bisschen forscher und unerwarteter sein, um gehört zu werden. Vielleicht ist die Unterstützung der Nicht-Kommerzsau Bernd Begemann genau das Richtige.

Ob die Platte Erfolg haben wird, lässt sich schlecht prognostizieren, es gab in Deutschland noch keine solche Zusammenstellung aus Ex-Dancefloor-Queen, passioniertem Komponisten und bewundertem Texteschreiber. Auf jeden Fall eignet sich das Album zur heiteren Untermalung an düsteren Tagen.

"Die Platte ist ein Vorschlag", sagt Begemann. "Ich mag fröhliche Musik machen und hören. Wir sagen Deutschland: So geht es auch. Wir sagen: Kommt ins Licht, der Spaß ist hier. Wollt ihr ihn? Braucht ihr ihn in eurem Leben? Dann kommt her." Und wenn es für ihn funktioniert hat, dann ja vielleicht auch für den Rest von Deutschland.

© SZ vom 25.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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