Japans Thronfolger-Paar:Die stumme Prinzessin

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Weltgewandt, modern, nicht auf den Mund gefallen - so war Masako vor ihrer Hochzeit. Jetzt lebt sie eingesperrt in ihrem Palast, am Ende ihrer Kräfte, in der Obhut ihrer Ärzte.

Von Henrik Bork

Tokio, 7. Juli - Die Aufführung gleicht einem Schattenspiel. Titel: "Japans verstummte Prinzessin." Ganz kurz nur ist ihr Schatten aufgetaucht. Wird nun auf der grell beleuchteten Bühne der Medien hin- und hergewendet.

Japans Thronfolger: Kronprinz Naruhito, seine Frau Masako und ihre Tochter Aiko. (Foto: Foto: AP)

Unglücklich sei sie, heißt es. Eingesperrt in ihrem Palast, abgeschirmt von Efeu-umrankten Mauern. Gepiesackt von Hofschranzen. Gedrängt, im Alter von 40 Jahren endlich einen Sohn zu gebären. Am Ende ihrer Kräfte, in der Obhut ihrer Ärzte. Die Prinzessin selbst aber bleibt im Hintergrund wie eine jener bunten, kostbaren Marionetten, verborgen vor neugierigen Blicken.

Seit Dezember schon ist Japans Kronprinzessin Masako wie vom Erdboden verschluckt. Kein öffentlicher Auftritt, kein Wort an die besorgte Nation. Sie habe an einer Gürtelrose gelitten, ließen die Beamten des Kaiserlichen Haushofamtes streuen, sei deswegen medizinisch behandelt worden. Das ist eine Krankheit, die oft von Stress ausgelöst wird.

Ganz Japan ahnt seitdem, dass die Prinzessin traurig ist. Dennoch spielt sich das Drama vorwiegend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Zwar liegt ihr Togu-Palast, jetzt in der Regenzeit von Polizisten in blauen Regenjacken bewacht, mitten im Zentrum Tokios. Doch vor dem parkähnlichen Areal teilt sich der dichte Berufsverkehr wie ein Fluss vor einer verwunschenen Insel. Was hinter den mit Stacheldraht gekrönten Mauern vor sich geht, weiß außerhalb kaum jemand.

Seit kurzem aber wird das Schattenspiel von gesprochenem Text begleitet. Kronprinz Naruhito selbst ist in die Rolle des Erzählers geschlüpft. Wie ein Puppenspieler, der neben der Leinwand stehend die auf ihr kämpfenden Schatten kommentiert, spricht der 44-Jährige in wohl überlegten, dennoch für Aufruhr sorgenden Sätzen über das Leid seiner Frau.

"Völlig erschöpft" sei sie, ließ er vor einigen Wochen in eine Pressekonferenz im Palast platzen. Erschöpft von der "harten Arbeit, sich der Umgebung des Kaiserlichen Haushaltes anzupassen". Es habe "Entwicklungen" gegeben, die "die Karriere und Persönlichkeit" der Kronprinzessin "negiert" hätten, sagte der Prinz leicht nebulös.

Seine Worte wurden dennoch sofort als Kritik an den Beamten des Kaiserlichen Haushofamtes verstanden, die jeden Schritt, jedes Telefonat des Ehepaars kontrollieren.

Schließlich sind die "Persönlichkeit" der Kronprinzessin und ihr Kontrast zu der strengen Palasttradition seit langem ein Thema.

Zunächst hatte sie schon gezögert, den Heiratsantrag des Thronfolgers anzunehmen. Mehrere Jahre lang hatte sie als junge Frau, damals noch Masako Owada genannt, den etwas hausbacken wirkenden Kronprinz um sich werben lassen, hatte ihm gar zwei Mal höflich einen Korb gegeben.

Das war noch jene Masako Owada, für die schon als Kind das Leben in fernen Ländern eine normale Sache war. Mehrere Jahre hatte sie mit ihren Eltern in New York und Moskau gelebt, bevor sie im Alter von sieben Jahren nach Tokio zurückkehrte. Nach einer behüteten Jugend studierte sie an der elitären Tokio-Universität, später in Harvard und Ende der Achtzigerjahre in Oxford. Angeblich spricht sie fünf Fremdsprachen, darunter auch Deutsch.

Später begann Masako Owada, genau wie ihr Vater im Außenministerium zu arbeiten. Weltgewandt, modern, nicht auf den Mund gefallen - so erlebte Japan die junge Frau kurz vor und nach ihrer Hochzeit im Jahr 1993, zu der sie sich schließlich doch noch überreden ließ - Presseberichten zufolge von ihrem ehrgeizigen Vater, dem Karrierediplomaten Hisashi Owada.

Als das gerade vermählte Paar in einem offenen Rolls Royce durch Tokio rollte, da erfüllte es noch die von ihm erwartete Rolle als Traumpaar der Nation. Und die lächelnde Prinzessin war noch live dabei, nicht bloß ihr Schatten. Ein "frischer Wind" werde nun durch das nicht nur alte, sondern auch altmodisch wirkende Kaiserhaus wehen, prophezeiten da die Journalisten.

Viele fragten die Prinzessin aber schon damals, wie sie sich mit ihrer Biographie jemals in die Kaiserfamilie einleben könne. Ihr Mann habe ihr versprochen, sie "ein Leben lang zu beschützen", antwortete die Prinzessin. Vor den Hofbeamten, hieß es schon damals der Subtext.

Inzwischen ist jedoch klar, dass aus der Sache mit dem "frischen Wind" nichts geworden ist. Stets drei Schritte hinter ihrem Mann hertrippelnd, wie es das Protokoll verlangt, in langweilige Damenkostüme mit dem Flair der Sechzigerjahre gehüllt, hat sich Prinzessin Masako erkennbar dem Stil der Kaiserfamilie angepasst, die Familie jedoch keinen Millimeter weit dem Stil der einstigen Masako Owada. Auf den meisten Photos wirkt das Lächeln der Prinzessin wie gefroren.

Obwohl der Kaiser der japanischen Nachkriegsverfassung zufolge ein "Symbol des Staates und der Einheit des Volkes" ist, dessen Souveränität untergeordnet, lebt wohl kaum ein moderner Monarch so zurückgezogen und fern von seinem Volk wie Kaiser Akihito. Dieses Paradox ist die grundlegende Ursache für das Leid der Prinzessin.

Zwar hatte Kaiser Akihitos Vater, Kaiser Hirohito, kurz nach der japanischen Kapitulation auf Druck der US-Besatzer hin seinen Status als "Gottkaiser" öffentlich widerrufen müssen.

In privater Funktion aber ist der jetzige Monarch noch immer der oberste Shinto-Priester der Nation. Aus diesem Grund sind durchaus nicht alle Japaner mit der Idee einverstanden, dass sich das Kaiserhaus weiter öffnen solle. Vor allem rechte Traditionshüter haben sich nie damit abgefunden, dass der Kaiser kein Gott mehr sein soll.

"Die Funktion des japanischen Tenno ähnelt der des Dalai Lamas", sagt der konservative Hofbeobachter Hideaki Kase. "Als Priester sollte er ein sehr stilles, würdevolles Leben führen, am besten wieder in den alten Kaiserpalast in Kyoto ziehen. Die Übersetzung mit 'Kaiser' ist da irreführend", sagt Kase.

Solches "Noblesse oblige" in japanischer Abwandlung lastet auf der gesamten Familie. Undenkbar sind hier die Fahrradausflüge skandinavischer Hoheiten, undenkbar auch ein medienwirksames Engagement für humanitäre Zwecke, wie es Englands Prinzessin Diana mit ihrem Einsatz für amputierte Minenopfer vorgemacht hatte. Völlig ausgeschlossen sind auch Sonnenbäder auf Segelyachten oder Nachtclubeskapaden.

Stattdessen vergehen am japanischen Kaiserhof die Tage mit ehrwürdigen Shinto-Ritualen und steifen Empfängen. Wenn der Kronprinz Freizeit hat, widmet er sich Studien wie dem der britischen Binnenschifffahrt. Die Kronprinzessin wird höchstens einmal zum Besuch eines Behindertenkindergartens oder einem ähnlich politisch korrekten Ereignis aus ihrem goldenen Käfig geführt.

Die Kaiserfamilie verfügt über kein eigenes Vermögen, von dem private Ausflüge oder Reisen finanziert werden könnten. Nicht einmal Konkubinen gibt es mehr. Noch der Meiji-Kaiser hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts fröhlich die Zeit mit ihnen vertrieben und so gleichzeitig sein Nachfolgeproblem gelöst. Sein Sohn, der Taisho-Kaiser, entstammte einem Verhältnis mit einer Konkubine.

Doch seit Kaiser Hirohito ist diese Sitte abgeschafft. Die heutigen Palastbewohner erdulden alle Bürden des Adels, ohne in den Genuss seiner Privilegien zu kommen.

Das Kaiserliche Haushofamt wacht mit 1081 Beamten darüber, dass jedes Shinto-Gebetsritual, jeder Neujahrsempfang, jede kaiserliche Gartenparty und jedes Harfenkonzert am Hofe genau nach Protokoll veranstaltet wird. 49 der Beamten überwachen allein das Leben des Kronprinzen und der Prinzessin. Sie bestimmen, einfach aufgrund ihrer Position und des Gewichtes uralter Traditionen, einen großen Teil des Tagesablaufs im Palast.

Da gibt es einen Haushofmeister für den Kaiser und einen für den Kronprinzen, Zeremonienmeister und Zeremoniengroßmeister, Erzieher für die Kinder und Aufseher für die Erzieher der Kinder, Hunderte von Kammerdienern, Köchen, Zofen und Mägden.

Die Kaiserfamilie hat einen mit offiziellen Terminen und religiösen Zeremonien überfüllten Kalender. Es gibt Erntedankrituale, Gedichtslesungen und Preisverleihungen an verdiente Akademiker. Es gilt, Besuche zu wichtigen Shinto-Schreinen, Kalligraphie-Stunden und Teezeremonien zu absolvieren.

Rituelle Schwerter müssen überreicht werden, kiloschwere Seidenkimonos an- und wieder abgelegt, ja Seidenraupen für die Seidenkimonos im Palast selbst gezüchtet werden.

Es ist ein Leben, das einem archaischen Rhythmus folgt, der mit dem Pulsschlag der den Palast umgebenden Millionenstadt Tokio nicht viel zu tun hat. Jede Neuerung, jedes Zugeständnis an die Moderne bekämpft das Haushofamt, als gälte es, den Monarchen vor einem Attentat zu bewahren.

Vor allem junge Japaner interessieren sich daher kaum noch für die Kaiserfamilie. Erst der unerwartete verbale Vulkanausbruch des Kronprinzen löste wieder einen Medienwirbel aus. Den Hofberichterstattern, gewöhnt an feingefilterte, artige Wortgeriesel, sprudelte plötzlich ein Schwall emotionaler Superlative entgegen, wie ihn die Palastwände seit den Audienzen des legendären Kaisers Jimmu vor 2600 Jahren nicht gehört haben können.

Für so alt, nebenbei bemerkt, hält sich Japans Kaiserhaus, doch Gelehrte wie der amerikanische Kaiserforscher Kenneth Ruoff ziehen da ganze tausend Jahre ab.

"Außerordentlich bekümmert" sei die Prinzessin, sagte der Kronprinz, dass sie nun schon seit langer Zeit keine Auslandsbesuche mehr machen durfte. Er selbst finde das "sehr bedauernswert". In zehn Jahren durfte die Prinzessin seit ihrer Heirat ganze fünf Mal ins Ausland reisen.

So viel hoheitlicher Kummer ließ ein Raunen durch das Publikum gehen. "Das war wie ein Hilfeschrei des Kronprinzen", sagt Toshiya Matsuzaki, der ein Dutzend Bücher über den Kaiserhof geschrieben hat. "Mehr Freiheit" für das Kronprinzenpaar forderte die Zeitung Asahi Shimbun.

Selbst Ministerpräsident Junichiro Koizumi, derzeit im Wahlkampf, ließ sich diese tolle Gelegenheit für jeden Populisten nicht entgehen und verlor ein paar Worte über das Paar. "Sie sind übermäßig beschäftigt mit ihren offiziellen Pflichten und haben keinerlei Freiheit. Das muss sehr hart sein, und ich bemitleide sie", sagte der Regierungschef. Was alle wissen, aber scheinheilig verschweigen, ist die Tatsache, dass das Haushofamt die Prinzessin nicht reisen lässt, damit sie besser schwanger wird.

Kronprinz Naruhito selbst hatte schon im Februar dieses Jahres den wahren Grund für das Unglücklichsein der Prinzessin angesprochen. Während einer Pressekonferenz anlässlich seines 44. Geburtstages wurde er auf die Krankheit seiner Frau angesprochen. "Ich denke, dass der Druck der Nachfolgefrage, die wieder aufgekommen ist, auch ein wichtiger Faktor war", sagte der Prinz.

Nur ein Mann darf nach jetzigem Recht der übernächste, also 127. Kaiser werden. Prinzessin Masako steht seit ihrer Hochzeit unter ständig wachsenden Druck, einen Thronfolger zu gebären. Lange Jahre war das Paar kinderlos geblieben. 1999 hatte die Prinzessin eine Fehlgeburt.

Als dann im Jahr 2001 endlich ein Kind geboren wurde, war es ein Mädchen. Prinzessin "Aiko", auf Deutsch "Kind der Liebe". Einer der Hofbeamten erklärte später, man hoffe immer noch auf männliche Nachkommenschaft.

Doch auch wenn es niemand ausgesprochen hätte - ganz Japan wartet stumm, ob die Kronprinzessin nun ihre Pflicht zur Sicherung der Dynastie erfüllt oder nicht. Immer wieder wird in der Presse über ihre Fruchtbarkeitsbehandlungen spekuliert.

Wie eine jener bunten Schattenspielpuppen aus durchsichtigem Leder bleibt die Prinzessin zwar im Hintergrund, ist aber gleichzeitig völlig transparent. Die intimsten Funktionen ihres Körpers werden gnadenlos öffentlich debattiert.

Es muss schrecklich sein für die mehrsprachige Prinzessin, dass ständig Artikel über ihre und ihres Mannes Reproduktionsfähigkeit erscheinen. Auch das Magazin der Süddeutschen Zeitung hatte sich mit einem Fehlgriff an dieser Art von Boulevardjournalismus beteiligt und entschuldigte sich. Doch die Spekulationen wollen nicht verstummen, auch in Japan nicht. Immer wieder werden in den Medien intimste Fragen der Thronfolger-Familie behandelt. Auch das macht die Prinzessin unglücklich, wie ihr Ehemann angedeutet hat.

"Die gesamte japanische Nation widmet den Fähigkeiten ihres Unterleibs besondere Aufmerksamkeit", sagt Shin Sugok, eine in Tokio lebende Autorin und Gesellschaftskritikerin koreanischer Abstammung. "Das japanische Kaisersystem betrachtet Frauen als Gebärmaschinen. Das ist diskriminierend." Sie empfiehlt der Kronprinzessin, wenn sie sich schon nicht scheiden lassen wolle, sich wenigstens gemeinsam mit ihrem Mann von der Kaiserfamilie loszusagen. Das aber ist wohl unwahrscheinlich.

Die linke Kritikerin des Kaiserhauses warnt davor, den japanischen Kaiserhof mit dem thailändischen oder mit europäischen Königshöfen gleichzusetzen. Sie erinnert an das große Unrecht, das während des Zweiten Weltkrieges und davor im Namen des Kaisers an vielen Asiaten, auch an in Japan lebenden Koreanern begangen worden sei.

"Nicht alle Japaner empfinden Respekt oder Zuneigung für die Kaiserfamilie", sagt Shin. Doch das von Japans Medien inszenierte Abbild des Kaiserhofes befasst sich nur mit dem Befinden der Prinzessin und der Nachfolgefrage, nicht mit politischen oder historischen Fragen. Auch darin gleicht es einem Schattenspiel.

Viele Japaner, ob Befürworter oder Gegner des Kaiserhauses, empfinden Mitleid mit der Situation der bedrängten Prinzessin. So ist die seit Jahren schwelende Debatte wieder aufgelebt, ob auch eine Frau den "Chrysanthementhron" besteigen können soll. "Früher oder später wird das entsprechende Gesetz wohl geändert werden", sagt Toshiya Matsuzaki, der professionelle Kaiserbeobachter. "Dass nur ein Mann auf dem Thron sitzen darf, widerspricht eigentlich unserer Verfassung, in der Gleichberechtigung versprochen wird."

Die Prinzessin selbst hat keine Stimme. Sie bleibt in ihrem Palast. Nur ihr Schatten flackert hier und da über die hell beleuchtete Leinwand. Kopfschmerzen habe sie, und manchmal sei ihr schwindlig, heißt es in den Zeitungen. Einmal ist sie für kurze Zeit ins Haus ihrer Mutter "entkommen", dann aber in ihren Palast zurückgekehrt. Oft müsse sie sich hinlegen und sich ausruhen. Sehr unglücklich sei sie. Lang und episch ist dieses Schattenspiel und ohne Happy End.

© SZ vom 8.7.2204 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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