Japan:Tod eines Avatars

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In Japan ist eine Frau in Haft, weil sie ihren virtuellen Mann gemeuchelt hat. Er wollte die Scheidung.

Christoph Neidhart

Eine 43-jährige Klavierlehrerin aus Japan hat ihren Mann umgebracht, weil er die Beziehung plötzlich beenden wollte. Das war im Mai. Vorige Woche wurde die Frau verhaftet und auf die Nordinsel Hokkaido gebracht, wo sie jetzt in Untersuchungshaft sitzt.

Das virtuelle Leben wurde eine Japanerin im wahren Leben zum Verhängnis. (Foto: Foto: AP)

Bis hierher klingt die Meldung nach einem tödlichen Beziehungsdrama, wie es sich schon viele Male abgespielt hat. Das Besondere an diesem Fall: Der Mord geschah nur virtuell - im Internet. Auch geheiratet haben die beiden "Eheleute" im Web, in der Realität sind sich Täter und Opfer nie begegnet. Nur ihre digitalen Alter Egos hatten sich auf der interaktiven Game-Website Maple-Story kennengelernt, eine in Japan populäre Spielplattform ähnlich wie das im Westen bekanntere Second Life.

Als Teilnehmer solcher Websites erschafft man sich eine Online-Persönlichkeit, einen sogenannten Avatar. Ein Märchen-Ich mit einem Traumkörper, einer perfekten Frisur, Seidenwäsche und eleganten Klamotten.

Man lädt einen andern Online-Spieler auf ein Sofa ein, räkelt sich mit ihm oder ihr, flirtet, steigt in eine Badewanne und hat schließlich in bester Computer-Grafik virtuellen Sex - ohne den Schreibtischstuhl je zu verlassen. Einzige Vorbedingung für die virtuelle Leidenschaft ist ein Computer mit hoher Grafik-Kapazität und eine schnelle Internet-Verbindung. Wer will, kann auf Maple Story sogar heiraten, wie es die japanische Klavierlehrerin und ihr Online-Freund getan haben.

Er wollte die Scheidung

Experten schätzen, dass weltweit etwa 100 Millionen Menschen eine solche virtuelle Identität unterhalten. Manche Spieler werden süchtig, andere leiden unter Vereinzelung. Sie fliehen in die sichere Unverbindlichkeit dieser Phantasiewelten. Die Begegnungen in Second Life oder Maple Story bleiben virtuell, aber die Gefühle werden leicht echt. Und sogar stürmisch.

Die Klavierlehrerin aus Myazaki heiratete ihren Cyberprinz aus Sapporo auf Maple Story. In ihrem virtuellen Leben waren die beiden fortan ein glückliches Paar. So glücklich, dass der 33-jährige Mann seiner Cyber-Liebe das Passwort zu seinem Avatar verriet.

Bis der virtuelle Gatte nicht mehr spielen mochte und sich plötzlich "scheiden" ließ. "Völlig überraschend", wie die enttäuschte "Ehefrau" am Freitag in Sapporo im Verhör sagte. Sie sei so wütend geworden, dass sie sich mit seinem Passwort in den Maple-Story-Server einloggte und den Avatar löschte - also, aufs wirkliche Leben übertragen, ihren Gatten mordete.

Das mochte der reale Computer-Nutzer hinter dem virtuellen Ehemann nicht hinnehmen. Er zeigte die Frau an: Die Staatsanwaltschaft Sapporo wirft ihr freilich nicht den virtuellen Mord aus enttäuschter Liebe vor, sondern das Cyber-Verbrechen, sich unbefugt in einen Rechner einzuloggen und Daten zu manipulieren.

Das gilt als Hacken. Dafür drohen der Klavierlehrerin nun bis zu fünf Jahren Gefängnis. Ob sie, weil sie aus Leidenschaft handelte, mit mildernden Umständen rechnen kann, weiß niemand, es gibt bisher keine Präzedenzfälle. Sollte es jedoch zum Prozess kommen, dürften sich Opfer und Täter des virtuellen Beziehungsdramas immerhin erstmals treffen: im Gerichtssaal.

© SZ vom 28.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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