Japan nach dem Erdbeben:Leben zwischen tiefen Rissen

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Zwischen eingestürzten Häusern, tiefen Rissen in der Straße, Zelten der Armee, kehrt in Japans Erdbebengebiet langsam eine Art Alltag ein. Die bevorstehenden Wahlen interessieren jedenfalls kaum.

Von Christoph Neidhart

Masamichi Kuroganes Haus ist zusammengebrochen. Der obere Stock ruht auf dem Vordach, zur Straße ist das Erdgeschoss verschwunden. Nur die Rückwand hat dem Erdbeben von Montag vergangener Woche standgehalten.

Durch das Erdbeben ist der Alltag vieler Japaner aus der Bahn geraten. (Foto: Foto: dpa)

Drei Arbeiter und ein Bagger haben nun begonnen, das schöne alte Holzhaus abzureißen. Kurogane, der einen blauen Overall trägt und einen Schutzhelm, schaut zu; von Zeit zu Zeit steigt er übers Vordach durchs Fenster in seine Wohnung, um etwas zu bergen. In zwei Plastikwannen liegen Kleider, Bücher, eine Decke, daneben ein Ventilator.

Auch Kuroganes Frau sieht zu, sie wirkt gefasst, trotz des Schocks, und hält eine Digitalkamera in der Hand. Im Erdgeschoss wohnte eine alte Frau, sie war während des Bebens nicht zu Hause. Auch die Kuroganes nicht, nur ihre 16-jährige Tochter. Die konnte, nach dem Schreck, durchs Fenster übers Vordach auf die Straße rutschen.

Um die Ecke steht das Haus der Kobayashis, an der Tür ein Zettel der Gebäude-Inspektoren: "beschränkt sicher". Das erlaubt den Besitzern, vorsichtig ins Haus zu gehen, um Sachen zu holen. 40 Prozent aller Häuser sind "beschränkt sicher" oder auch "unsicher", was im letzteren Fall nichts anderes heißt als abbruchreif. Nobuko Kobayashis Bruder hatte hier sein Büro, hinter seinem Schreibtisch stand der Stahltresor.

Dieser kippte beim Beben um. "Er wäre tot gewesen", sagt sie. Aber der Tag des Bebens war ein Feiertag. "An einem Arbeitstag hätte es mehr Tote gegeben. Auch während der Nacht." Zwei Verletzte sind in den vergangenen Tagen gestorben, die Zahl der Todesopfer ist damit auf elf gestiegen. Nobuko Kobayashi übernachtet jetzt im Elternhaus. Ihre Mutter erlitt am Morgen nach dem Beben einen Herzinfarkt, der Vater schläft bei ihr im Spital.

Das Radio hat eben neu bekannt gewordene Schäden am Kernkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa gemeldet. Der Decken-Kran, der den Deckel des Reaktors Nummer sechs anheben soll, ist kaputt. Die Betreiberfirma Tepco ist deshalb gar nicht in der Lage, den Reaktor zu überprüfen. Die anderen sechs seien intakt.

"Ich habe keine Angst vor der Kernkraft"

Schon einen Tag zuvor hat Tepco weitere Schäden zugeben müssen: Der Boden neben Reaktor eins hat sich um fast 30 Zentimeter abgesenkt. Dadurch sind elektrische Kabel und eine Wasserleitung der Feuerlöschanlage zerrissen. 2000 Tonnen Wasser traten durch das Kabelloch ins Reaktorgehäuse, im fünften Untergeschoss steht es nun knietief.

Tepco weiß nicht, wie man es hochpumpen kann. Neu veröffentlichte Bilder einer Überwachungskamera zeigen, dass in der Wanne eines anderen Reaktors das Wasser einen Meter hohe Wellen schlug. Die leicht radioaktive Flüssigkeit wurde über die Ränder gespült und trat aus.

"Nein, ich habe keine Angst vor der Kernkraft", sagt Nobuko. "Aber ich bin eine Ausnahme, ich arbeite dort. Das Beben habe ihr Büro beim Kraftwerk verwüstet. "Aber die Reaktoren sind unbeschädigt, die Sicherheit hat funktioniert." Greenpeace hat mit eigenen Messungen bestätigt, bisher sei keine gefährliche Dosis Radioaktivität entwichen.

Alltag zwischen eingestürzten Häusern

Vom Monkoh-ji, einem Tempel aus dem Jahre 1842, ist nur noch das wuchtige Dach zu sehen. Der Kindergarten daneben, erst vor einem Jahr gebaut, hat dagegen keine Schäden. "Natürlich haben wir Angst vor dem Kernkraftwerk", sagt Chizuko Inoue, die Leiterin. "Schon immer, nicht erst jetzt." Und der ganze Strom gehe ja sowieso nach Tokio.

Am Sonntag wählt Japan sein Oberhaus. Werden die Bewohner von Kashiwazaki Premier Shinzo Abe und seiner Partei, die eng mit Tepco verflochten ist, ihr Misstrauen demonstrieren? "Welche Wahlen", fragt eine Kindergärtnerin. "Da geht doch keiner hin." Danach relativiert sie, manche wählten schon. Aber die Menschen haben derzeit andere Probleme.

Zwischen eingestürzten Häusern, tiefen Rissen in der Straße, Zelten der Armee, geht eine Art Alltag weiter; einige Läden haben offen, überall werden Trümmer weggeschafft. Am Bahnhof hat ein Kran den umgestürzten Triebwagen wieder aufgestellt, die Gleise werden repariert.

Daneben entstehen Notunterkünfte. Beim Haus der Kuroganes stehen nun auch Nachbarn, einer versucht einen Scherz. Aber Frau Kurogane nimmt den Blick nicht von ihrem Haus, wo die Arbeiter gerade ein Stück Wand niederreißen.

© SZ vom 27.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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