Italien:Überspannte Idee

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Das Parlament in Rom hat den Bau der Hängebrücke nach Sizilien gestoppt - zum Ärger des Berlusconi-Lagers und der Mafia.

Für die einen ist er Ausdruck pharaonischen Größenwahns, für die anderen das achte Weltwunder - der Brückenschlag über die Meerenge von Sizilien. Seit der Antike haben die Mächtigen in Rom davon geträumt, seit Jahrzehnten daran geplant und vor genau einem Jahr den Bauauftrag erteilt. Ein internationales Konsortium unter Führung der italienischen Gesellschaft Impregilo sollte in den kommenden sechs Jahren mit Zehntausenden Menschen und für vier Milliarden Euro die gigantische Konstruktion errichten.

Mit einer Spannweite von 3,3 Kilometern würde die Hängebrücke fast doppelt so lang werden wie die japanische Akashi-Brücke, die bislang den Weltrekord hält. Sollte, würde... Das italienische Abgeordnetenhaus beschloss jetzt mit den Stimmen des regierenden Linksbündnisses: Das Wunderwerk wird nicht gebaut.

Symbol des größenfreudigen "Berlusconismus"

Zwar heißt es in der Resolution lediglich, das Projekt sei nicht mehr vordringlich; angesichts der Kassenlage Italiens dürfte das jedoch auf lange Sicht das Aus bedeuten. Das eingesparte Geld soll in die zerbröselnde Autobahn A 3 durch Kalabrien sowie in Straßen- und Eisenbahnverbindungen auf Sizilien fließen. Politiker der Linken, die das Brücken-Projekt immer für überspannt hielten, bejubeln nun einen "Triumph der Vernunft". Oppositionsvertreter kritisieren, die Entscheidung zeuge von einem "bornierten Zentralismus", der das rückständige Sizilien weiter vom modernen Italien isoliere.

Die für stündlich 6000 Autos und täglich 200 Züge konzipierte Brücke galt als eines der wichtigsten Vorhaben der im Frühjahr abgewählten Regierung Berlusconi, ja als Symbol des größenfreudigen "Berlusconismus" schlechthin. Die Befürworter versprachen sich von der Brücke einen Aufschwung für die armen süditalienischen Regionen Kalabrien und Sizilien.

Zugleich sollte der elegant-kühne Bau ein Signal für die Modernisierung des ganzen Landes setzen. Sogar die Unterwelt zeigte sich begeistert: Die sizilianische Cosa Nostra und die kalabrische "Ndrangheta konzentrieren seit Jahren ihre Bau- und Tarnfirmen um die Meerenge, um den gewaltigen Geldfluss abzuschöpfen.

Kritiker betonen daher, das Projekt nütze vor allem der Mafia. Sie halten den Bau zudem für zu teuer, für umweltschädlich und - wegen der Erdbebengefahr in der Region - für riskant. Wie es aussieht, haben sich diese Kräfte durchgesetzt. Zwar meinen einige Regierungspolitiker, aufgeschoben sei ja nicht aufgehoben.

Die Mehrheit im linken Lager will aber für immer vom Brückenbau Abstand nehmen. Toto Cuffaro, der unter Mafiaverdacht geratene christdemokratische Präsident Siziliens, hält dagegen an den Plänen fest. Er kündigte nach der Parlamentsentscheidung an, das Werk nun eben über die EU und den freien Kapitalmarkt zu finanzieren. Allerdings wird Brüssel kaum gegen den Willen der Regierung in Rom in das Milliardenprojekt investieren.

Sizilien wird daher weiterhin nur per Schiff und Flugzeug zu erreichen sein - oder auch schwimmend. Der zehn Jahre alte Giuseppe Mangano aus Messina möchte am Sonntag als bislang jüngster Schwimmer die gefährlichen, weil strömungsreichen 5,5 Kilometer nach Kalabrien durchqueren. Wenn schon aus der längsten Hängebrücke nichts wird, bekommt Italien so wenigstens einen anderen Weltrekord. Stefan Ulrich

© Süddeutsche Zeitung vom 13. Oktober 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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