Italien:Reine Glaubenssache

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Wie Don Camillo und Peppone: Ein Atheist will mit einem Pfarrer vor Gericht darüber streiten, ob Jesus wirklich gelebt hat.

Stefan Ulrich

Luigi Cascioli steht vor dem Justizpalast von Viterbo und genießt die Aufmerksamkeit, die ihm entgegenschlägt. Der amerikanische Sender Fox News ist gekommen, das französische Fernsehen und sogar der arabische Kanal Al-Arabija. Dessen Reporter kann nicht fassen, was der 72 Jahre alte Cascioli hier, im Zentrum des katholischen Italiens, so von sich gibt.

"Warum glauben Sie nicht an Christus?", fragt er, und Cascioli antwortet trocken: "Hier geht es nicht ums Glauben, sondern um die Tatsache, dass es Christus nie gab." "Aber haben Sie denn keine Angst vor dem Vatikan oder vor Gott?", will der Al-Arabija-Mann wissen. "Gewiss, zu Zeiten der Inquisition wäre ich verbrannt worden", sagt Cascioli. "Aber was will der Vatikan heute tun? Und Gott? Ein Nichts kann auch nichts machen."

Der Atheist zeigte den Jugendfreund an

Man ahnt es: Luigi Cascioli ist Atheist - und nicht bloß irgendeiner. Der pensionierte Agraringenieur hat den Kampf gegen die Kirche zu seiner Mission gemacht. Und wenn er so dasteht, der große Mann mit den vom Wind zerzausten Haaren, dem wettergegerbten Gesicht und dem kämpferischen Blick, dann wirkt er wie ein Sheriff aus einem alten Western, der sich mit Mut, Sturheit und Charme auf die Jagd nach Unholden macht.

Casciolis Unhold ist sein alter Schulkamerad Enrico Righi, der später Pfarrer geworden ist. Beide sind sie in dem Städtchen Bagnoregio nahe des Bolsena-Sees aufgewachsen, beide gingen einige Jahre in eine kirchliche Schule. "Wir sahen uns jeden Tag, aßen zusammen und schliefen im gleichen Saal", erinnert sich Cascioli. "Noch heute schätze ich Don Enrico sehr, weil er ein guter, sympathischer Mensch ist. Doch unsere Beziehung ist gestört."

Das hat Gründe. Der Atheist Cascioli hat den Jugendfreund bei der Justiz angezeigt, wegen Missbrauchs der Leichtgläubigkeit des Volkes. Darauf kann Gefängnis stehen. Casciolis Vorwurf: Don Enrico, der Pfarrer von Bagnoregio, habe in einem Pfarrbrief behauptet, Jesus habe tatsächlich gelebt. Damit beteilige sich der Geistliche am Komplott der Kirche, das Volk mit dieser Legende hereinzulegen, um sich an Spenden oder Steuern zu bereichern. Das Christentum lebe von der Behauptung, dass es Jesus gegeben habe, argumentiert der ungläubige Luigi. Werde dies widerlegt, breche die Kirche zusammen.

Halb genervt, halb amüsiert

"Schade nur, dass ich so spät mit diesem Kampf angefangen habe", sagt er. "Nun bleibt mir nicht mehr viel Zeit." Doch der Streit beschäftigt die Justiz immerhin schon einige Jahre. Beobachter fühlen sich an Don Camillo und Peppone erinnert. Zunächst hatte Cascioli alle Priester, Bischöfe und Kardinäle angezeigt, nur nicht den Papst, weil der immun sei. Das Verfahren wurde eingestellt. Dann beschränkte er sich auf Don Enrico. Auch dieses Verfahren legte ein Richter in Viterbo als "offensichtlich unbegründet" zu den Akten. Cascioli appellierte an die nächste Instanz in Perugia. Von dort wurde das Verfahren zurückverwiesen. Zwischendurch kam noch die Justiz in Rom ins Spiel, weil Cascioli einen Richter als befangen ablehnte.

Der Beschuldigte ließ sich am Freitag nicht blicken. Auf Rat seines Anwalts blieb er in seiner Pfarrei. Dort wollte ihn das Team von Fox News filmen. Der Pfarrer lockte es, listig wie Don Camillo, in die Kirche - und machte sich derweil aus dem Staub.

Sein Verteidiger Bruno Severo nahm im Justizpalast Stellung. Halb genervt, halb amüsiert erklärte er, in seiner Aktentasche ein Dutzend wissenschaftlicher Theorien über die historische Figur Jesus zu haben. Jeder müsse dazu sagen dürfen, was er denke. "Ich glaube, auch das Gericht wird das so sehen." Das Gericht sah aber zunächst nur, dass es Zeit zum Nachdenken braucht: Nach einer ersten Anhörung vertagte es das Verfahren auf unbestimmte Zeit. Sollte es die Klage am Ende abweisen, wäre damit der italienische Rechtsweg allerdings noch längst nicht ausgeschöpft.

Notfalls bis nach Straßburg

Schon jetzt scheint der Pfarrer der Erschöpfung nahe zu sein. Als die Kampagne seines Schulkameraden begann, versuchte er noch, die Sache mit Humor zu nehmen. "Wenn Cascioli die Sonne am Mittagshimmel nicht sieht, so kann er doch nicht mich anklagen, nur weil ich sie sehe", schrieb er an seine Gemeinde. Doch dann begann seine Klage ein bisschen zu klingen wie die des biblischen Hiob: "Welchen Anteil habe ich denn am Werk Christi? Wäre ich nie geboren worden, so wäre heute auch nichts anders. Nach 50 Jahren Arbeit als Priester hätte ich mir etwas Ruhe gewünscht. Stattdessen finde ich mich im Zentrum dieses lächerlichen Streits wieder."

Der Kummer Don Enricos scheint sogar Cascioli zu erweichen. Er bot an, die Klage zurückzunehmen, wenn der Pfarrer Beweise für die einstige Existenz Jesu vorlege. Nun hat zwar die Forschung viele Indizien dazu zusammengetragen, zu einem gerichtsfesten Beweis aber fügen sie sich kaum. Dennoch glaubt selbst Cascioli nicht, bei der italienischen Justiz Erfolg zu haben. Da müsse schon die Jungfrau Maria ein Wunder bewirken, und das sei unwahrscheinlich. Sollte er in Italien scheitern, will er zwar nicht bis zum Jüngsten Gericht gehen, aber wenigstens bis nach Straßburg. Zum Europäischen Menschenrechts-Tribunal.

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