Italien:"Die Schlüsselfigur der Cosa Nostra"

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Leoluca Orlando ist einer der prominentesten Mafia-Gegner und langjähriger Gegenspieler Bernardo Provenzanos - er selbst musste jahrelang mit seiner Familie untertauchen. Nach der Verhaftung seines schlimmsten Gegners fühlt er Genugtuung, Illusionen gibt er sich allerdings nicht hin.

Ein Interview von Marten Rolff

Als Bürgermeister von Palermo (1985-1990 und 1993-2000) gelang es Leoluca Orlando, 58, die Mafia erstmals weitgehend aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben der Stadt zu verdrängen.

Bernardo Provenzano rechts bei seiner Verhaftung in Palermo. Das linke Bild zeigt ein computergeneriertes Fahndungsfoto. (Foto: Foto: AP)

Heute leitet der Jurist das kulturpolitische "Istituto per il Rinascimento Siciliano". Orlando engagierte sich zudem in der Europapolitik und kämpfte für einen Wahlsieg des Olivenbaum-Bündnisses von Romano Prodi.

SZ: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Verhaftung Provenzanos erfuhren?

Orlando: Es ist ein wirklich großer Tag für Italien. Der Regierungswechsel ist geschafft, und Provenzano ist gefasst, wir sprechen hier sicher von der wichtigsten Verhaftung in der Geschichte des organisierten Verbrechens in Italien.

SZ: Provenzano hat viele Leute ermorden lassen, die Ihnen persönlich nahe standen. Sie selbst mussten auf der Flucht vor der Mafia jahrelang mit Ihrer Familie untertauchen.

Orlando: Sicherlich ist die Verhaftung auch Anlass für eine gewisse Genugtuung. Denn es zeigt auch, dass es sich lohnt, Opfer gebracht zu haben.

SZ: Was machte Provenzano so ungeheuer mächtig?

Orlando: Provenzano ist der Brückenschlag zwischen der alten und der neuen Mafia-Generation gelungen. Er wurde nach den blutigen Clankriegen der frühen achtziger Jahre, die die Mafia stark geschwächt hatten, zur rechten Hand des neuen Bosses Toto Riina. Und nachdem Riina 1993 verhaftet worden war, konnte Provenzano ihn nahtlos ersetzen und zur absoluten Schlüsselfigur der Cosa Nostra aufsteigen. Anschließend gelang es ihm, die Strukturen des organisierten Verbrechens zu modernisieren und neue Geschäftsfelder zu erobern.

SZ: Mehr als hundert Ermittler waren auf Provenzano angesetzt. Er galt als einer der meistgesuchten Männer der Welt. Wie war es ihm möglich, für mehr als 40 Jahre unterzutauchen?

Orlando: Das ist in der Tat schwer zu erklären und mit Sicherheit auch eine Schande für Italien. Die Polizei stand mehrmals kurz davor, Provenzano zu fassen. Aber jedesmal wurde er im allerletzten Moment gewarnt und konnte rechtzeitig entkommen. Die Mafia funktioniert nach einem diktatorischen System, dessen Loyalitäten bis ins kleinste Glied funktionieren. Provenzano hatte immer wieder genug Leute, die ihn deckten. Ganze Gemeinden standen hinter ihm. Und offenbar auch Leute außerhalb seiner Organisation.

SZ: Man sagt, er habe auf Verbündete in der römischen Politik zählen können. Wer hatte Interesse, ihn zu schützen?

Orlando: Kein Mensch kann sich mehr als 40 Jahre lang ohne Verbündete verstecken. Doch zu sagen, wer das genau ist, wäre wohl etwas kühn.

SZ: Wird Provenzano jetzt auspacken?

Orlando: Abwarten! Sollte er aussagen, könnte das Einblicke ermöglichen, die das ganze Land betreffen. Es wäre wünschenswert, dass er redet, ich persönlich glaube aber nicht so recht daran.

SZ: Ist mit der Festsetzung Provenzanos ein wirklicher Schlag gegen das organisierte Verbrechen geglückt?

Orlando: Er ist inzwischen sehr alt. Und man darf nicht glauben, dass die Mafia nun am Ende wäre. Das organisierte Verbrechen ist äußerst flexibel und passt sich rasant neuen Entwicklungen an. Provenzano ist alles andere als unersetzlich. Die Organisation ist längst eng mit den internationalen Finanzmärkten verwoben. Sie wird zudem immer anonymer. Und damit schwerer zu durchdringen.

© SZ vom 12.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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