Italien:Der penetrante Schmutz der Gosse von Ostia

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Erpressung, Sex, die Mafia und rechte Putschpläne: 30 Jahre nach der Tat wird in Italien wieder im Mordfall Pier Paolo Pasolini ermittelt.

Von Henning Klüver

"Ich weiß. Ich weiß die Namen...", schrieb Pier Paolo Pasolini in einem berühmt gewordenen Artikel des Mailänder Corriere della Sera im November 1974. Neunmal leitete der Schriftsteller, Regisseur und Intellektuelle darin seine Sätze mit der Formel "Ich weiß..." ein. Sie war eine Anspielung auf Zusammenhänge zwischen Politik und Verbrechen, auf drohende Putschversuche und Attentate in Italien. Namen nannte der umstrittene Schriftsteller nicht: "Mir fehlen die Beweise."

Schaulustige umringen den zugedeckten Leichnam Pier Paolo Pasolinis. (Foto: Foto: dpa)

Ein Jahr später war Pasolini tot. Brutal zugerichtet wurde der 53-Jährige im November 1975 unweit der Küste im römischen Vorort Ostia aufgefunden. Sollte es doch Zusammenhänge geben zwischen Pasolinis politischen Andeutungen und seiner Ermordung?

Knapp 30 Jahre später beschäftigt diese Frage nun erneut die italienische Justiz. Denn nach einer Eingabe des Anwalts der Familie Pasolini und nach neuen Zeugenaussagen muss die römische Staatsanwaltschaft jetzt die Umstände überprüfen, die zum gewaltsamen Tod Pasolinis führten.

Nach einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 1976 wurde der Intellektuelle von dem damals minderjährigen Strichjungen Pino Pelosi ermordet. Er hatte zu Pasolini eine Beziehung unterhalten und soll von den sexuellen Praktiken seines Gönners so angewidert gewesen sein, dass er den Schriftsteller erst brutal zusammenschlug und dann mit einem Auto überfuhr.

Pelosi musste für neun Jahre ins Gefängnis; nach seiner vorzeitigen Entlassung erhielt er Mitte der achtziger Jahre wegen eines Raubüberfalls eine erneute Haftstrafe.

Am vergangenen Wochenende nun widerrief der heute 46-jährige Römer vor laufenden Kameras die Aussagen, die zu seiner Verurteilung geführt hatten. Er sei damals nur Zeuge gewesen, Pasolini sei von drei Männern "mit süditalienischem Akzent" überfallen worden. Sie hätten ihn einen "schmutzigen Kommunisten" genannt und brutal zugerichtet.

Pelosi sei mit Pasolinis Wagen geflohen. In seiner Verwirrung habe er dabei wohl den Körper des Autors überfahren.

Warum legt Pelosi erst nach 29 Jahren die Fakten auf den Tisch? Der 46-Jährige sagt, er habe geschwiegen, weil er und seine Eltern Morddrohungen erhalten hätten. Die Eltern sind im vergangenen Jahr gestorben. Und vielleicht sind auch die von ihm angeklagten Täter nicht mehr am Leben.

Doch auch Pino Pelosi nennt keine Namen. Will er sich wichtig machen? Nach einer parlamentarischen Anfrage soll nun geprüft werden, ob er Geld für sein Interview erhalten hat.

Doch so neu sind die Angaben Pelosis nicht. Sergio Citti, Schauspieler und ehemaliger Freund Pasolinis, sagte jetzt in einem Zeitungsinterview, Pelosi sei nur ein Lockvogel gewesen; er wisse, wer Pasolini "hingerichtet" habe.

Citti, der eine Gegenüberstellung mit Pelosi will, deutete an, Pasolini sei erpresst worden. Er habe das geforderte Geld für angeblich gestohlene Filmrollen seines letzten Films "Salò oder die 120 Tage von Sodom" nicht zahlen wollen.

Der Film, in dem der Regisseur Parallelen zwischen den Erziehungsmethoden des Faschismus und Praktiken sexueller Erniedrigung zog, löste in Italien einen Skandal aus. Indes war der Film zum Zeitpunkt des Mordes noch nicht angelaufen. Unklar ist auch, warum Citti erst jetzt aussagen will.

Wer in den Akten des Falles blättert, stößt auf Widersprüche und Merkwürdigkeiten. Es regnete, als die Leiche Pasolinis gefunden wurde. Doch gegen alle Vorschriften fuhren Polizeiwagen auf den Tatort. Beamte liefen umher, und verlässliche Spuren konnten später kaum gesichert werden.

Als Pelosi wenig später im verwirrten Zustand festgenommen wurde, wies seine Kleidung kaum Schmutzspuren auf. Zeugen sagten aus, Pasolini sei in der fraglichen Nacht von einem Auto mit einem Kennzeichen der Stadt Catania verfolgt worden. Das Kennzeichen wurde jedoch nie überprüft und nicht zu den Akten genommen.

Ein Carabinieri-Offizier, der von mehreren Tätern ausging und offenbar zu gründlich vorging, wurde befördert - und versetzt. In den Notizen eines weiteren Polizisten hieß es, drei Mafiosi hätten sich zu der Tat bekannt. Angeblich haben sie widerrufen.

Widerwillig und durch die Eingabe des Rechtsanwaltes der Pasolini-Familie gezwungen, hat die Staatsanwaltschaft am Montag den Fall nun wieder aufgenommen. Ob sie weitere Untersuchungen anstellt, ist ungewiss. Beobachter glauben auch nicht, dass die juristischen Umstände 30 Jahre nach der Tat noch eindeutig geklärt werden können.

Ausgeleuchtet werden könnte jedoch der politische Hintergrund. Der 1922 in Bologna geborene Pier Paolo Pasolini war einer der großen Intellektuellen Italiens, der mit seinen ständigen Tabubrüchen die politische Klasse des Landes bloßstellte - egal, ob rechte oder linke Strömungen.

Er klagte vor allem faschistische Kreise an, in Zusammenarbeit mit Teilen des Staatsapparates eine "Strategie der Spannungen" zu entwickeln, die zur gesellschaftlichen Radikalisierung führen und in einen Rechtsputsch münden sollte. Heute ist bekannt, dass es solche Machenschaften gab. Wusste Pasolini mehr, als wir heute wissen?

© SZ vom 11.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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