"Irma":Hurrikan ändert seine Bahn

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Statt mit voller Wucht Miami an der Ostküste (im Bild) zu erreichen, wie angenommen, traf der Hurrikan am Sonntagmorgen (Ortszeit) die Wesküste des Bundesstaates Florida besonders hart. (Foto: Carlos Barria/Reuters)

Erste Ausläufer erreichen die Florida Keys, aber weil der Wirbelsturm nun einen anderen Weg nimmt, werden die Vorbereitungen auf den Hurrikan an der Westküste von Florida zum Wettlauf mit der Zeit.

Die Warnungen hätten nicht dramatischer ausfallen können. "Wir können Ihr Haus wieder aufbauen, aber Ihnen nicht Ihr Leben zurückgeben", warnte bereits Mitte vergangener Woche Floridas Gouverneur Rick Scott. Eine eindringliche Warnung an die Bewohner, sich vor Hurrikan "Irma" in Sicherheit zu bringen - möglicherweise sogar in einem anderen Bundesstaat wie dem nördlich angrenzenden Georgia. Am Samstag sagte Scott dann: "Wenn der Sturm einmal begonnen hat, können die Behörden Sie nicht mehr retten." Eine Kapitulation vor den herannahenden Naturgewalten.

In der Nacht zu Sonntag erreichen dann die Vorboten von "Irma" die Florida Keys. Heftige Sturmböen fegen über die Inselkette hinweg. Der nationale Wetterdienst berichtet von Windstärken bis zu 119 Kilometern pro Stunde, die am Leuchtturm "Smith Shoal" gemessen worden seien. Zuvor hatte das US-Hurrikanzentrum gemeldet, die Ausläufer des Sturms hätten in Fort Lauderdale einen Tornado erzeugt.

Das Zentrum von "Irma" könnte nach Vorhersagen am frühen Sonntagmorgen Ortszeit (Sonntagmittag mitteleuropäischer Zeit) auf die Florida Keys treffen, bevor der Hurrikane weiter in Richtung Festland zieht.

Nicht umsonst bezeichnen US-Medien "Irma" als "Monster-Sturm", als Unwetterlage, die Zerstörungen hinterlassen könnte, wie sie seit Generationen nicht beobachtet wurden. Experten befürchten, dass die Keys - etwa 200 Koralleninseln, die Florida vorgelagert sind - nicht mehr dieselben sein werden, wenn "Irma" einmal weitergezogen ist. Dass manche Inseln einfach von den Sturmfluten verschluckt werden könnten. Dass die Windböen von bis zu 200 km/h nicht viel übrig lassen von Natur und Bebauung. Gouverneur Scott hatte gewarnt, "Irma" werde schlimmer sein als Hurrikan "Andrew", bei dem 1992 insgesamt 65 Menschen ums Leben gekommen waren. Ob diese Befürchtungen zutreffen, ist zur Stunde noch nicht absehbar.

6,3 Millionen Menschen wurden in Florida zum Verlassen ihrer Häuser aufgerufen - fast ein Drittel der Bevölkerung.

Während aus den ersten Städten im Süden schon starker Regen und Stromausfälle gemeldet werden, nutzen die Behörden und Einwohner einige hundert Kilometer nordwestlich die letzten Stunden vor Ankunft des Sturms, um sich auf "Irma" vorzubereiten. Die Städte Naples, Fort Myers, St. Petersburg und Tampa wurden kurzfristig in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Denn der Hurrikan, der einen Durchmesser von 700 Kilometern hat (allein das Auge ist so groß wie Berlin), hatte seine Bahn geändert: Statt mit voller Wucht auf Miami zu treffen, sind nun die genannten Städte an der Westküste von Florida in größter Gefahr. Randall Henderson, Bürgermeister von Fort Meyers, spricht von einem "Worst-Case-Szenario" für seine Stadt.

Die Gegend mit ihren drei Millionen Einwohnern wurde seit fast einem Jahrhundert nicht mehr direkt von einem großen Hurrikan getroffen. Nur wenige hatten am Samstag in St. Petersburg ihre Fensterfronten verbarrikadiert. "Fünf Tage lang sagen sie uns, dass er an der Ostküste sein wird, und jetzt, 24 Stunden, bevor er uns trifft, wird uns gesagt, er kommt die Westküste rauf", sagt der 52-jährige Jeff Beerbohm. Er ist verärgert über die Prognosen.

Bis zur letzten Minute werden Schulen und andere befestigte Gebäude in Notunterkünfte umgewandelt. Die Washington Postberichtet von überfüllten Einrichtungen, teilweise fahren die Menschen in die nächste Stadt, um dort Unterschlupf zu finden. Die 68-jährige Betty Sellers aus Naples steht vor einer Notunterkunft im eine halbe Autostunde entfernten Estero an - in der Hoffnung, dort unterzukommen. Sie stützt sich auf einen Gehstock, an ihrer Seite ist ihr Sohn. Ob sie wirklich reinkommen, wissen sie nicht - vor ihnen sind noch etwa hundert Menschen. Nur eine von unzähligen Geschichten des Hoffens und Bangens in diesen Tagen.

Insgesamt waren in Florida 6,3 Millionen Menschen zum Verlassen ihrer Häuser aufgerufen - fast ein Drittel der Bevölkerung. Mehr als 54 000 Menschen haben in Notunterkünften Zuflucht gefunden. Miami Beach mit seinen normalerweise 100 000 Einwohnern gleicht zuletzt einer "Geisterstadt", wie es Bürgermeister Phil Levine beschreibt. Und Floridas Gouverneur Rick Scott mahnt evakuierte Küstenbewohner schon jetzt zu Geduld. Sie sollten nicht sofort in ihre Heimat zurückkehren, wenn "Irma" vorbeigezogen sei, so Scott. Es sei wichtig auf die Genehmigung der Behörden vor Ort zu warten, weil das Ausmaß der Schäden vermutlich sehr groß sein werde.

Das US-Militär hat in Erwartung des Hurrikans Tausende Soldaten mobilisiert. Dem Verteidigungsministerium zufolge sind insgesamt fast 14 000 Angehörige der Nationalgarde in Alarmbereitschaft. Damit sollen Such- und Rettungsmissionen sowie Evakuierungen unterstützt werden. Mehrere große Marineschiffe bereiten sich außerdem auf Hilfseinsätze vor.

Das US-Hurrikan-Zentrum hatte den Wirbelsturm am Samstag zunächst auf Kategorie drei heruntergestuft, warnte aber, dass er wieder an Stärke zunehmen werde, bevor er auf Florida trifft. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 256 Stundenkilometern war "Irma" zuvor über Kuba hinweggefegt. Der Hurrikan verursachte dort Überschwemmungen, schwere Schäden und Stromausfälle. Angaben über Opfer lagen vorerst noch nicht vor. Auf seinem Weg durch die Karibik hatte "Irma" mindestens 25 Menschen den Tod gebracht. In Kuba waren nach Behördenangaben vorsorglich mehr als eine Million Menschen in Sicherheit gebracht worden.

© SZ vom 09.09.2017 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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