Interview mit Stadtplaner Albert Speer:"Man muss bei null anfangen"

Lesezeit: 2 min

Die Katastrophe von New Orleans legt für Stadtplaner Albert Speer ein Grundproblem amerikanischer Infrastruktur offen - ihre Primitivität.

SZ: Herr Professor Speer, Hurrikan "Katrina" war die wohl schlimmste Naturkatastrophe der USA. Liegt New Orleans stadtplanerisch falsch?

Der renommierte Städteplaner Albert Speer ordnet im Interview die Lage in New Orleans ein. (Foto: Foto: dpa)

Speer: Bestimmt nicht, New Orleans ist eine der ältesten Städte der USA, eine bedeutende historische dazu. Sie liegt bestimmt nicht falsch, aber die Veränderungen in den Stärken der Tropenstürme trifft sie besonders hart.

SZ: Das heißt, es ist kein Problem, dass eine Küstenstadt unter dem Meeresspiegel liegt in einem Gebiet, das regelmäßig von Hurrikanen heimgesucht wird?

Speer: Das ist ein Problem, aber es ist ja nicht nur New Orleans betroffen. Die Katastrophe hängt zusammen mit dem Grundproblem amerikanischer Infrastruktur. Ihre Qualität ist bedeutend niedriger als in Europa oder Deutschland. Alle Elektroleitungen hängen, auch in großen Städten, nach wie vor an Masten, die Vorsorge ist weitaus primitiver als hier, und die Häuser sind viel leichter gebaut, das sind überwiegend Holzkonstruktionen. Deshalb kann ein Wirbelsturm auch so katastrophale Zustände anrichten.

SZ: Wie beurteilen Sie die Situation?

Speer: Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen. Aber wirklich beurteilen kann ich die Katastrophe von hier aus nicht.

SZ: Was würden Sie nun machen? Die Stadt, die angeblich zu 80 Prozent unter Wasser steht, aufgeben? Womöglich an anderer Stelle neu bauen?

Speer: Nein, das wird man bestimmt nicht tun. Aber es wird notwendig sein, bei null anzufangen. Erst muss man alle Leute rauskriegen, dann eine Bestandsaufnahme machen, was erhaltenswert ist, und schließlich - neu aufbauen. Man muss die Stadt viel besser schützen. Vor allem geht es um einen Damm, der dem Hurrikan gewachsen ist.

SZ:Es gibt bei uns zum Glück keine Hurrikane, aber gewaltige Stürme über der Nordsee, ein Drittel der Niederlande liegen unter dem Meeresspiegel. Sind wir denn auf so etwas vorbereitet?

Speer: Ich glaube, dass wir - zumindest in Nordeuropa - auf schwere und schwerste Stürme sehr viel besser vorbereitet sind. Die Technologie ist einfach weiter entwickelt.

SZ: Können Stadtplaner solche Katastrophen überhaupt antizipieren?

Speer: Überhaupt nicht. Das ist auch weniger eine stadtplanerische Frage als eine ingenieurstechnologische. Ob ein Damm hält oder nicht, kann ein Stadtplaner nicht beurteilen.

SZ: Ein Kollege von Ihnen sah sich an den "Day After Tomorrow" von Roland Emmerich erinnert. Ist Wasser nicht das Riesenproblem des modernen Städtebaus? Entweder zu viel oder zu wenig, in diesem Fall viel zu viel.

Speer: Das ist von Stadt zu Stadt völlig verschieden. Wir arbeiten in China, da gibt es ja auch Taifune und Überschwemmungen. Dort haben die Chinesen versucht - auch das ist umstritten -, mit dem Fünf-Schluchten-Damm das Problem schon am Oberlauf zu kontrollieren, um regelmäßige Überschwemmungen zu verhindern. Das Problem ist eines, das man nicht lokal lösen kann, sondern das gerade bei großen Flüssen den gesamten Flusslauf betrifft. Da muss man schon an ganz anderer Stelle Rückhalteflächen schaffen. Wie beim Hochwasser in Oberbayern. Es gab Pläne, doch die Retentionsflächen waren nicht genügend ausgebaut.

SZ: Also planerische Fehler?

Speer: Die größten Fehler machen die Menschen selber, wenn beispielsweise Bebauungen zu nah an möglichen Hochwassergebieten liegen. Die Fehler sind in der Vergangenheit auch gemacht worden, weil wir keinen Blick mehr hatten für das Risiko. Und das steigt, weil die Extreme des Wetters immer größer werden durch die Klimaveränderung. Die Folgen: Starkregenfälle in Europa und in anderen Gebieten Hurrikane.

SZ: Was heißt das nun konkret für New Orleans?

Speer: Es kommt darauf an, die Geschichte zu erhalten. Abgesehen davon, muss man einen Megaschritt in die Zukunft tun, in andere Technologien und eine andere Infrastruktur investieren. Der Eindruck, der aus der Berichterstattung entstand: Das war alles vorsintflutlich. Aber Gefahr gibt es immer. Die Natur ist Chaos, und wir versuchen sie zu zähmen. Das gelingt nur in einem gewissen Umfang. Naturkatastrophen wird es immer wieder geben.

Interview: Oliver Herwig

© SZ vom 1.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: