Interview mit Solomon Burke:"Wo Leben ist, ist auch Hoffnung''

Lesezeit: 4 min

Soullegende Solomon Burke hat in seinem Leben schon viel erlebt - als Bestatter, Vater von 21 Kindern und beim Ku-Klux-Klan.

Jonathan Fischer

SZ: Mister Burke, sind Sie immer noch im Bestattungsgeschäft tätig?

Einst galt er als King of Rock'n'Soul: Solomon Burke (Foto: Foto: AP)

Burke: Selbstverständlich. Ich bin der Letzte, der dich anschaut und der Erste, der dich wieder aufrichtet. Meine Tochter und mein Sohn sind gelernte Bestatter, sie führen unser Unternehmen.

SZ: Was hat Sie daran fasziniert, sich täglich mit Leichen zu umgeben?

Burke: Ich wollte als Kind Chirurg werden. Als meine Mutter mich eines Tages an einer toten Katze rumschnippeln sah, sagte sie: Solomon, tu' die Katze zurück in die Kiste und beerdige sie. Ich sagte mir, hallo, so kann es funktionieren.

SZ: So früh hat sich das entschieden?

Burke: Nun, meine Onkel waren Leichenbestatter. Sie waren immer fein angezogen, und ich eiferte ihnen nach. Das hat mich ihrem Gewerbe näher gebracht - schließlich ist das ein helfender Beruf. Die Menschen, die jemanden verloren haben, brauchen einen, der sie durch diese Erfahrung hindurchführen kann. Du vergisst dein neues Auto, du vergisst vielleicht dein neues Haus, aber du vergisst niemals Momente des Abschieds. Sie gehören zum Zyklus des Lebens. So wie der Doktor das Baby in die Welt holt, holt der Bestatter die Menschen wieder ab.

SZ: Bevor Sie sich zum Leichenbestatter ausbilden ließen, feierten Sie schon als Popstar Erfolge.

Burke: Ich habe seit dem sechsten Lebensjahr gepredigt, sprach als Bischof meiner 60.000 Menschen zählenden "Temple Of Solomon"-Kirche im Rundfunk. Man nannte mich "The Wonder Boy Preacher". Mit zwanzig dachte ich: Gott hat dir diese Stimme geschenkt. Warum also nicht auch Rhythm'n' Blues singen? "You can run but you can't hide" hieß meine erste Single - ein augenblicklicher Hit. Trotzdem sah ich mich nach einem krisenfesten Beruf um. Ich hatte schon ein halbes Dutzend Kinder zu ernähren. Was lag da näher, als die Familientradition fortzuführen?

SZ: Sie konnten trotz Hits wie "Cry to me" oder "Everybody needs somebody" nicht von Ihren Auftritten leben?

Burke: Heutige Popstars verdienen Millionen, ich musste um jeden Cent aus meinen Songs kämpfen. Trotz meines Titels "King of Soul" habe ich meine Rechnungen nur durch harte Arbeit zahlen können. Mit Schneeschippen. Meinem Popcorn-Versand. Oder einer Drogerie. Aber wenn ein Geschäft nicht lief, dann hat mir Gott jedes Mal eine neue Einkommensquelle eröffnet. So war es auch mit "Don't give up on me", meiner Comeback-Platte im Jahr 2002.

SZ: Als Soulsänger gehören Sie zu den Legenden. Welche Qualitäten zeichnen Sie als Bestatter aus?

Burke: Das Wichtigste ist die Würde der Angehörigen. Zusammen mit meinem Sohn und meiner Tochter versuche ich ihnen das Gefühl zu geben, Teil unserer Familie zu sein. Es gibt keinen Zeitpunkt im Leben, in dem das wichtiger wäre: die Menschen in ihrem Schmerz zu begleiten.

SZ: In den USA tobt gerade eine große Debatte um künstliche Lebensverlängerung. Was halten Sie davon?

Burke: Wo Leben ist, ist auch Hoffnung. Niemals dürfen wir uns oder einen Menschen, den wir lieben, aufgeben. Nur Gott hat die Antwort, wann, wo und wie wir abtreten werden. Wenn er uns aber die Technik und das Wissen gegeben hat, den Herzschlag zu verlängern, dann sollten wir sie auch nutzen.

SZ: Es heißt, Sie hätten Ihren Tourbus früher regelmäßig an Leichenschauhäusern geparkt, um mit Kollegen zu plaudern...

SZ: Nun, das stimmt. Wir haben oft für eine kleine Fachsimpelei angehalten. Ich schaue gerne in fremde Särge. So wie andere Leute für eine gute Tasse Kaffee oder ein Bier anhalten. Das gehört für mich zum Leben.

SZ: Ist es okay, auf einer Beerdigung zu lachen?

Burke: Absolut. Das ist sogar die beste Zeit zum Lachen. Da sollte man sich an die guten und lustigen Erlebnisse erinnern. Das gibt Kraft, den Tod zu ertragen. Ich gebe bei solchen Gelegenheiten gerne kleine, drollige Familiengeheimnisse preis: Das ermöglicht den Überlebenden, diese Geschichten weiterzutragen. Eine Schande, wenn Pfarrer nicht auch Komödianten sein können. Die Angehörigen haben es verdient, auch zu lachen.

SZ: Ist Ihr Beruf nicht seelische Schwerstarbeit?

Burke: Sicher, aber du bist mit dem Tod irgendwann vertraut. Viel schwerer ist oft die körperliche Arbeit: Manchmal musste ich einen korpulenten Verstorbenen die Treppe hinuntertragen und betete zu Gott: Lass mich bitte noch die nächsten zwanzig Stufen schaffen!

SZ: Glauben Sie daran, dass die Geister der Toten noch unter uns sind?

Burke: Ich habe noch keinen zurückkommen sehen, keine Postkarte und keine E-mail empfangen. Wenn Gott dich ruft, dann war es das. Aus. Punkt. Aber du musst vorher leben. Gut leben.

SZ: Sie glauben auch an die Hölle?

Burke: So wie dein Leben jetzt gelebt wird, so wird es auch weitergehen. Und wenn du deine Arbeit auf Erden nicht gemacht hast, kommst du an einen heißen Ort. Ohne Klimaanlage. Und ohne Hühnchen und Limonade.

SZ: Sie sind ja nicht gerade für einen asketischen Lebensstil bekannt.

Burke: Gott hat uns diese Welt geschenkt. Er möchte, dass wir den Duft der Rosen riechen, den Kaffee schlürfen, die Cookies essen, bevor es zu spät ist.

SZ: Wie können wir uns auf den Tod vorbereiten?

Burke: Schauen Sie, ich habe 21 Kinder und 84 Enkel. Die sind schon Garantie für Tragödien genug. Ich kenne Eifersucht, Misstrauen, das vergebliche Warten auf den Anruf der Person, die du liebst. Wenn du diesen Schmerz ausgehalten hast, dann weißt du, dass auch andere Menschen ständig das Gleiche erleben. Das macht dich versöhnlich. Und so wird das Leben plötzlich wertvoller.

SZ: Sie haben auf der Bühne angeblich ein paarmal um ihr Leben fürchten müssen...

Burke: In den sechziger Jahren wurde ich aufgrund meiner Country-Hits oft irrtümlicherweise in weißen Clubs gebucht. Einmal hat der Promoter mich dazu überredet, mir das Gesicht zu bandagieren. Er hatte mich als weißen Sänger angekündigt und wollte eventuellen Ausschreitungen des Publikums vorbeugen. Ein anderes Mal buchte mich der Ku-Klux-Klan auf seine Party. Beide Seiten waren bei dem Zusammentreffen gleichermaßen entgeistert. Meine Band wollte sofort Leine ziehen.

SZ: Und Sie haben keine Todesangst gehabt?

Burke: Doch, natürlich. Aber davor kann ich noch das Beste aus jeder Sekunde meines Lebens herausholen. Dankbar für jeden Atemzug sein. Und singen. So habe ich die Situation schließlich gerettet und die Klan-Typen zum Tanzen gebracht.

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