Interview:"Kleine Wesen erzählten mir, ich sei schon tot"

Lesezeit: 6 min

Der Milliardär Steve Fossett versucht, die Erde allein im Flugzeug zu umrunden - Dick Rutan kennt die Gefahren eines solchen Unternehmens.

Interview: Philip Wolff

Die Erde ist klein für Männer wie sie. Einer von ihnen, Steve Fossett, möchte das vom heutigen Dienstag an mit einem neuen Rekord beweisen: Von den frühen Morgenstunden an wartet der 60 Jahre alte Abenteurer und Milliardär am Salina Municipal Airport in Kansas auf günstiges Wetter: um abzuheben zur ersten Umrundung der Erde in einem Ein-Mann-Flugzeug ohne Zwischenstopp.

Der Abenteurer und Geschäftsmann Steve Fossett vor einem Testflug mit dem Globalflyer. (Foto: Foto: AP)

Globalflyer heißt seine voll getankte Spezialmaschine, gebaut vom Luft- und Raumfahrt-Konstrukteur Burt Rutan. Ein anderer Mann dagegen bleibt am Boden: Er heißt Dick Rutan, ist 66 Jahre alt, der Bruder des Konstrukteurs und der einzige Pilot auf der Welt, der bislang einen ähnlichen Flug absolviert hat.

Allerdings war Dick Rutan dabei nicht allein, sondern wurde von einer Copilotin begleitet. Das war 1986, die Maschine hieß Voyager und brauchte neun Tage für den Flug um die Erde. Weil Dick Rutan weiß, was Fossett bevorsteht, ist sein Rat zurzeit gefragt. Das schafft Terminstress. Erst kurz vor dem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung landet er - um Stunden verspätet - mit einer Linienmaschine von Dallas kommend in Los Angeles.

SZ: Guten Morgen. Wie war Ihr Flug? Dick Rutan: Furchtbar. Wissen Sie, die zivilen Flugsysteme, die wir heute haben, taugen gar nichts. Die Fluggesellschaften sollten sich schämen. Meine Sekretärin sagte: Man kann vielleicht um die Welt fliegen, Dick, aber nicht von Dallas nach Hause. Wie die mit Passagieren umspringen, welche geringe Funktionssicherheit sie bieten und dann diese antiquierte Flugverkehrskontrolle! Man muss sich mal vorstellen: Noch heute wird dazu Funk benutzt - die menschliche Stimme, im 21. Jahrhundert! Die Stimme ist das unsicherste Instrument, das es gibt, um zu kommunizieren. Das könnten längst Computer und Autopiloten erledigen. Aber immer noch erzählen Leute einem Flugzeugführer, dass er steigen oder sinken soll. Würden wir Computer benutzen, könnten wir hundertmal so viele Maschinen im Einsatz haben. Dann hätte ich heute morgen auch einen früheren Flieger in Dallas bekommen.

SZ: Ausgerechnet Sie, der Rekord-Pilot, wollen den Menschen am Steuerknüppel abschaffen? Braucht der Fortschritt nicht Leute wie Sie im Cockpit? Rutan: Ja, oder Männer wie Fossett. Aber nicht in Verkehrsmaschinen.

SZ: Mit welchem Rat wollen Sie Fossett auf sein Abenteuer vorbereiten? Rutan: Er hat eine tolle Maschine, aber ich würde ihm raten, auf die Details zu achten. Es ist ein langer Flug, und alles muss exakt geplant sein. Wir hatten 1986 mit der Voyager schon beim Start die erste Panne. Die Flügel wurden beschädigt, weil die vollen Tanks die Tragflächen bis auf die Rollbahn gedrückt hatten. Aber das war letztlich nicht so schlimm. Viel wichtiger und schwieriger ist es, die psychologische und körperliche Verfassung im Griff zu haben, die einen um die Welt trägt - und natürlich das Wetter. Es ist nicht die Aufregung, es sind Langeweile und Ermüdung, die gefährlich werden können.

SZ: Wie sind Sie damit umgegangen? Rutan: Ich war schon während der ersten drei Tage froh, dass ich einen Autopiloten und die Copilotin Jeane Yeager hatte und zwischendurch ein kurzes Nickerchen halten konnte. Eine Viertelstunde Schlaf reicht für drei Tage übrigens völlig aus. Bei mir jedenfalls. Und Fossett wird ja voraussichtlich nicht länger unterwegs sein, denn er fliegt dreimal so schnell wie wir damals und kann auch zwischendurch auf Autopilot umstellen.

SZ: Und er fliegt viermal so hoch - in mehr als 14.000 Metern Höhe. Kameras werden Livebilder aus seinem Cockpit senden. Sind Sie ein wenig neidisch? Wären Sie gern selbst geflogen? Rutan: Ja, wäre ich, aber ich hatte nicht das Geld, meinen Bruder mit dem Bau eines solchen Flugzeugs zu beauftragen. Ich schätze mal, das hat etwa drei Millionen Dollar gekostet. Neidisch bin ich trotzdem nicht. Gemessen am technischen Fortschritt, habe ich 1986 einen ebenbürtigen Beitrag geleistet. Man muss sehen: Globalflyer steht für zwanzig Jahre technische Weiterentwicklung nach Voyager - ein Fortschritt, der vieles einfacher gemacht hat. Globalflyer hat zum Beispiel eine Druckkabine. Deshalb kann diese Maschine so hoch in dünner Luft fliegen. Das macht sie so schnell.

SZ: Spielt da oben eigentlich das Wetter noch eine Rolle? Rutan: In der Stratosphäre, durch die Fossett fliegen wird, gibt es kaum noch bedenkliche Wettereinflüsse. Wir dagegen mussten damals mit Voyager durch jede verdammte Schlechtwetterzone dieser Welt mittendurch. Der Schlüssel zu unserem Erfolg war vor allem ein perfekter Wetterdienst. Den wird Fossett zusätzlich haben: Er wird in Dauerkontakt zu Wetter-Kontrolleuren am Boden stehen. Alles, was ihm passieren kann, sind ein paar Turbulenzen aus dem Jet-Strom, der in extremen Höhen bläst.

SZ: Wie reagieren Maschinen wie Globalflyer und Voyager eigentlich auf Turbulenzen? Sind sie schwerer zu steuern als normale Flugzeuge? Rutan: Voyager vielleicht, der moderne Globalflyer nicht. Mein Flugzeug war sehr dünn und leicht und dadurch wirklich gefährdet. Zwar haben beide Maschinen eine hohe Tragflächenbelastung, also wenig Auftrieb im Verhältnis zu ihrem Gewicht, und sind damit relativ unempfindlich für Turbulenzen. Aber wir sind damals mit Voyager durchaus in Situationen geraten, die großes fliegerisches Können erfordert haben.

SZ: Welchen Moment werden Sie nie vergessen? Rutan: Eine ganze Reihe von Momenten, die den Flug leicht hätten beenden können. Gewitterstürme über Zentralafrika etwa. Und über dem Atlantik sind wir in ein Gewitter geraten, das uns fast auf den Kopf gedreht hätte. Wir standen schon vertikal in der Luft: Der eine Flügel war in einen Fallwind, der andere in einen gewaltigen Aufwind geraten. Glücklicherweise war es ein kleines Gewitter, das uns nach wenigen Sekunden wieder ausgespuckt hat in die klare Luft. Aber dann hat, acht Stunden vor der Landung, plötzlich eine Treibstoffpumpe versagt. Die Triebwerke fielen aus. Wir mussten alles in der Luft reparieren. Das war die größte Schwierigkeit, die wir hatten. Gott sei Dank war Voyager so gebaut, dass man alles vom Cockpit aus reparieren konnte.

SZ: Sie waren zu zweit. Fossett wird allein im Zwei-Meter-Cockpit sitzen... Rutan: Ich hoffe, er wird trotzdem Reparaturen vornehmen können, wenn nötig. Er hat immerhin zwei Autopilot-Systeme - falls eines mal ausfällt.

SZ: Zu welchem technischen Ziel soll die Rekordjagd mit solchen Flugzeugen eigentlich führen? Zum Bau besonders sparsamer Flugzeuge? Rutan: Unter anderem. Globalflyer ist ja schon unglaublich effizient. Und in zwanzig Jahren werden Flugzeuge noch effizienter sein. Das Wichtigste im Moment aber ist die hohe Sicherheit der Maschine. Man muss kein so exzellenter Testpilot wie im Fall unserer Voyager mehr sein, um einen modernen Globalflyer zu fliegen. Das heißt: Man kann jetzt in Wettbewerb treten mit allen möglichen Konstrukteuren und Piloten. Deshalb wünsche ich mir sehr, dass Fossett Erfolg hat. Gelingt ihm der Flug, dann gründe ich eine Organisation: die Transglobal Air Race Association. Wir werden ein Netzwerk bilden für Flugzeugbauer und Sponsoren und werden Teams gegeneinander antreten lassen. In einem solchen Wettbewerb wird die Entwicklung sicherer, effizienterer, stärkerer Maschinen rasend schnell vonstatten gehen im Vergleich zu den langen Jahren nach meinem Flug mit der Voyager.

SZ: Dann muss nur noch der Mensch als Pilot den Fortschritt mitvollziehen und seine körperliche Verfassung optimieren. Sie zum Beispiel sollen Halluzinationen beim Voyager-Flug gehabt haben. Stimmt das? Rutan: Oh ja, die gab es. Neun Tage ist eine lange Zeit, und die Müdigkeit ist irgendwann überwältigend. Außerdem hatten wir manchmal Sauerstoff-Probleme - etwa, als wir über Afrika in 7620 Meter Höhe steigen mussten, um Unwettern auszuweichen. Und über dem Pazifik bin ich so müde geworden, dass ich zwar mit offenen Augen dasaß, aber keine Ahnung mehr hatte, was zu tun war. Da hat meine Copilotin Jeane Yeager mich aus dem Sitz geholt und auf den Boden gelegt. Es gibt allerdings noch schlimmere Erfahrungen: Bei einem langen Testflug 1979, als ich ganz allein über dem Atlantik herumflog, habe ich Töne gehört wie gewaltige Orgelmusik, und ich habe tatsächlich kleine Wesen gesehen. Mit denen habe ich mich sogar unterhalten. Es war grauenvoll. Sie wollten mir erzählen, dass ich schon tot sei. Ich solle mich entspannen, loslassen und mitgehen. Aber ich habe mich gewehrt auf Teufel komm raus. Aus ähnlichen Erfahrungen muss die griechische Mythologie entstanden sein. Ich weiß heute viel darüber, was mit dem menschlichen Gehirn passiert, wenn es den Betrieb einstellen will.

SZ: Sind diese Vorstellungen schlimmer als Probleme mit einer Maschine? Rutan: Natürlich. Technische Probleme kann man mit Verstand lösen und hat das trainiert. Aber wie soll man mit sich selbst umgehen?

SZ: Und? Wie muss man? Was sollte Fossett tun, außer viel Wasser zu trinken? Etwas Bestimmtes essen? Rutan: Keine Ahnung, was Fossett isst. Aber das mit dem Wasser ist tatsächlich verdammt wichtig. Gerade in großer Höhe. Er darf auf keinen Fall dehydrieren. Das ist genauso wichtig wie die Kraftstoff-Zufuhr für die Maschine. Beide Versorgungswege sind die kritischen Glieder in der Kette eines solchen Unterfangens. Fällt eines aus, ist der Flug vorbei.

© SZ vom 08.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: