Interview:Katharina Schüttler über Kindsein

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Zwischen kindlich intonierter Alltagssprache und Übungssprache, zwischen Jugend und Erwachsensein - die Schauspielerin wandelt gerne zwischen den Welten.

Christopher Keil

SZ am Wochenende: Frau Schüttler, können wir mit Ihrer Stimme anfangen? Katharina Schüttler: Sicher.

Katharina Schüttler und die "Mädchenrollen": Hier in "Lolita" am Schauspielhaus Hannover. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Als ich neulich nur Ihre Mailbox erreichte, fiel mir auf: Ihre Stimme ist auch für eine Schauspielerin außergewöhnlich. KS: Wählen Sie noch mal, da klingt jetzt eine andere Stimme. ...Und? SZ:Gedämpfter. Kontrollierter. KS: Kontrollierter? SZ: Nicht mehr so in Micky-Maus-Tonlage. KS: Ja?

SZ: Sie gelten als die neue große Schauspielhoffnung Deutschlands. Und Sie können sehr viel machen mit Ihrer Stimme. Werden Stimmen unterschätzt? KS: Das deutsche Wort "Person" kommt aus dem Lateinischen "personare - hindurchtönen". Das finde ich einen interessanten Gedanken, dass die Person sich durch Klang offenbart. Und das funktioniert über die Stimme. Du kannst von der Stimme alles ableiten. Ob's dir gut oder schlecht geht, wie wach oder müde du bist, ob du verängstigt oder bei dir und selbstbewusst bist, ob du gestresst bist oder nicht.

SZ: Ist Ihnen bewusst, dass Sie besonders klingen? KS: Nein. Mir ist das in Porträts und Kritiken aufgefallen. Da wurde oft über meine Stimme geschrieben, sie sei "blechern" oder was auch immer. Ich kann da gar nicht wirklich mitreden, weil sich meine Stimme von innen ganz anders anhört - so nah am eigenen Ohr.

SZ: Sie hören sich ja in Ihren Filmen. KS: Im Film ist es so, dass man sich mehr sieht als hört. Man achtet nicht mehr so extrem auf die eigene Stimme, wie wenn man sie zum Beispiel im Radio, losgelöst vom Optischen, hört.

SZ: Ist Ihre Stimme von heute das Resultat langjähriger Theaterarbeit? KS: Ich hatte das Glück, in Hannover am Schauspielhaus einer sehr guten Stimmbildnerin zu begegnen, die auch an der Schaubühne in Berlin unterrichtet, wo ich jetzt spiele. Sie hat mich irgendwann gefragt: "Merkst du eigentlich, wie du redest?" Und nach den Übungen hat sie immer gefragt: "Hörst du das? Hörst du den Unterschied?" Und ich habe immer geantwortet: "Nein, höre ich nicht." Aber ich bin immer wieder zu ihr hin. Es hat über zwei Jahre gedauert, bis ich sagen konnte: "Ich fange an, das zu hören."

SZ: Den Unterschied zwischen Ihrer kindlich intonierten Alltagssprache und der Übungssprache? KS: Ja. Es ist gar nicht so einfach, die Grenzen zu verschieben, an die man in der Auseinandersetzung mit sich selbst zwangsläufig stößt. Man kann nicht einfach entscheiden, anders zu sprechen, weil der Klang der Stimme eng mit der eigenen Persönlichkeit verbunden ist. Und wenn man mit einem Mal ein Bewusstsein dafür bekommt, wie man spricht, wird einem auch gleichzeitig eine Menge über sich selbst klar. Man begreift, dass man auch was anderes sein kann.

SZ: Auf der Bühne oder im Leben? KS: Sowohl als auch. Im Theater hatte ich bis dahin immer nur Kinder gespielt. "Lolita" war ein Kind. "Die Jungfrau von Orleans" war bei uns keine große Kriegerin, sondern ein kleines Mädchen, das zum König kommt und in aller Naivität sagt: Hör mal König, ich weiß wie es geht! Und meine Stimmbildnerin hat mir klargemacht, dass die Kinderstimme ein Mittel ist, das ich bewusst einsetzen kann. Dass ich aber begreifen muss, dass ich auch anders, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin, sondern es nur spiele. Plötzlich habe ich erkannt, dass es eine Masche von mir war, das kleine Kind zu spielen. Damit war ich immer am besten durchgekommen. Zum einen habe ich mich darin wiedererkannt, zum anderen war es das, was man von mir erwartete. Auf kindliche Art durchs Theater zu hüpfen, verschafft einen unglaublichen Bonus und damit einen Freiraum. Die Leute mögen dich und wollen dich beschützen. Alles wird einfacher.

SZ: Und Sie erlagen sich selbst. KS: Und zwar so lange, bis ich erkannte: Ich bin 24 und kann nicht immer spielen, dass ich 15 bin. Das Selbstbewusstsein muss sich ändern. Ich kann zwar immer noch Kinder spielen, aber mir muss klar sein, dass es eine Rolle ist. Daraus auszubrechen erfordert eine Menge Mut. Plötzlich war ich auf mich allein gestellt, weil der Sympathiebonus des Kindlichen wegfällt. Das ist gleichzeitig eine Chance. Man muss lernen, seine Meinung zu äußern und dazu zu stehen. Wenn ein Gegenüber damit ein Problem hat, ist es sein Problem.

SZ: Es fiele einem der Spruch ein: Der Ton macht die Musik. KS: Absolut.

SZ: Also hat eine handwerkliche Erkenntnis Ihre Persönlichkeit verändert? KS: In gewisser Weise: ja. Aber der Lernprozess war nicht einfach. Denn indem man sich darauf einlässt, verleugnet man erst mal seine Persönlichkeit oder das, was man bisher dafür gehalten hat. Wenn ich so bin, wie ich rede, stellt sich die spannende Frage, wie verändere ich mich, wenn ich anders rede? Es hat mit Identität zu tun und worauf sich Selbstverständnis gründet.

SZ: Bei Ihnen betont das Aussehen die Kindlichkeit noch zusätzlich. KS: Das hängt natürlich alles zusammen. Wenn du aussiehst wie ein Kind, erwarten auch alle von dir, dass du dich verhältst wie ein Kind. Ich habe die Rolle angenommen, die man mir zugewiesen hat und mich darin eingerichtet. Ich musste in der vierten Klasse immer noch beweisen, dass ich überhaupt schon in die Schule gehe. Trotzdem hat es mir keiner geglaubt. In der ersten Klasse hing mir mein Scoutranzen in den Kniekehlen. Die Leute dachten, ich bin drei. Ich habe 17 Kilo gewogen, wurde immer von den Mitschülern rumgetragen, war aber Klassensprecherin. Das Jüngergeschätztwerden hat sich dann lange als Phänomen durch mein Leben gezogen, und natürlich habe ich dementsprechend meistens sehr viel jüngere Rollen gespielt.

SZ: Mehr als die 1,60 Meter werden es wohl nicht mehr werden. KS: Das ist schwer anzunehmen. Ich hatte einen Schauspiellehrer in Hannover. Der sagte: "Katharina, schau, dass du einmal im Jahr eine Frau spielst. Nicht dass du in die Situation kommst, dass du plötzlich zu alt bist, um Kinder zu spielen, aber noch nie Erwachsene gespielt hast. So kennt man dich. Das ist dann dein Label. Und dann besetzt dich keiner mehr, und wenn du Pech hast, kriegst du auch noch im normalen Leben einen Schaden." Auf der Bühne erwachsen zu werden ist genauso schwer wie im echten Leben. Mit Hedda Gabler habe ich zum ersten Mal eine Frauenrolle im Theater gespielt und zuvor schon in "Sehnsucht" im Fernsehen. Dass das funktioniert hat, fand ich erstaunlich und spannend.

SZ: Warum gibt es für Frauen ab einem gewissen Alter kaum noch Rollen? KS: Keine Ahnung, aber es fällt auf. Vielleicht, weil die meisten Stücke und Drehbücher von Männern geschrieben werden. Weil die Programmchefs Männer sind.

SZ: Das wäre ein bisschen zu einfach. KS: Ich habe es oft erlebt, dass die Schauspielerin, die im Film meine Mutter spielt, keine zehn Jahre älter ist als ich. Die älteren Frauen, die besetzt werden, sind meistens Frauen, die über Schönheit definiert werden. Denn die Geschichten, die erzählt werden, sind oft die von Frauen, die für ihr Alter immer noch ungewöhnlich gut aussehen und - zum Beispiel in einer turbulenten Komödie - mit einem 30-Jährigen im Bett landen, und dann steht die ganze Familie Kopf.

SZ: Völlig zu Recht, wahrscheinlich. KS: Aber normale Geschichten von normalen Frauen über 40 werden ausgespart. Als wäre eine Frau nur interessant aufgrund ihres Aussehens und ihrer erotischen Anziehungskraft auf Männer. Dabei ist Alter ein Bestandteil unseres Lebens, der viele Probleme und Ängste mit sich bringt. Das ist doch absolut erzählenswert.

SZ: In Ihrem neuen Film "Wahrheit oder Pflicht" spielen Sie allerdings wieder eine Schülerin, die das Abi nicht packt. Normaler geht's kaum. Muss man sich Sorgen machen? KS: Warum, weil es so harmlos ist?

SZ: Weil Ihre Figuren sonst eher zwischen Wahnsinn und Wahrheit pendeln. KS: Ich fand die Geschichte schön, außerdem kannte ich die Produzenten gut.

SZ: Ist ja vielleicht ganz erholsam, so eine einfache Story: Teenager flieht vor einem Konflikt mit den Eltern. KS: Ganz so einfach finde ich die Geschichte nicht. Annika hat ein großes Problem. Sie schämt sich, durchgefallen zu sein und hat Angst, es ihren Eltern zu sagen. Aus dieser Scham heraus bringen sich jedes Jahr Kinder um. Erholsam war, dass wir in diesem Jahrhundertsommer 2003 gedreht und alle in so einem heruntergekommenen Schloss in Sachsen gewohnt haben.

SZ: Was war das für ein Schloss? KS: Wir haben es "Pornoschloss" genannt, weil dort eben auch Pornos gedreht wurden.

SZ: Oh je. KS: Natürlich bevor wir kamen. Aber die Jugendlichen aus dem Dorf haben uns immer ziemlich komisch angeguckt. Die Atmosphäre dort war merkwürdig. Es gab Räume, die waren voll mit Stalinbüsten und anderen kommunistischen Devotionalien. Es gab einen Raum voll mit alten Radios. Einer war gefüllt mit Klos, im nächsten waren nur Heizungen. Der Tonmann war in einem Lack-und-Leder-Zimmer untergebracht. Auch war es ein ewiges Kommen und Gehen, manchmal tauchten unvermittelt irgendwelche Freunde des Schlossbesitzers auf und quartierten sich in einem der Räume ein. Irgendwann kam jemand zu unserem Filmgeschäftsführer und fragte: Arbeiten Sie hier? Er hielt ihn für einen Angestellten des Schlossbesitzers und schob ihm eine DVD zu mit dem Titel: "Die siebte Sünde". Auf dem Cover saßen drei nackte Frauen im Kaisersaal des Schlosses vor dem Kamin. Die DVD war schnell verschwunden.

SZ: Kurz vorher waren Sie das erste Mal in Cannes bei den Filmfestspielen gewesen. Hat Sie die große Filmwelt dort sehr beeindruckt? KS: Der Empfang der dänischen Filmindustrie war beeindruckend.

SZ: Inwiefern? KS: Bei den Deutschen beispielsweise, in so einer riesigen Halle, gab es schlechte Häppchen, und es war todlangweilig. Die Dänen dagegen empfingen auf einer Hotelterrasse am Strand. Es gab nur Bier. Alle waren in Jeans und T-Shirt. Gespielt hat eine Rockband, über die in dem Jahr eine dänische Dokumentation gemacht worden ist. Und dann wurde ich dem Oberchef der dänischen Filmindustrie vorgestellt. Auch der trug Jeans und T-Shirt. Er hatte seine beiden Kinder auf dem Arm, schaute der Rockband zu, trank Bier. Das war nett. Einfach unprätentiös. Die nehmen sich nicht so übermäßig wichtig. Und - das ist das Interessante - machen dabei grandiose Filme. In Deutschland denke ich oft: Hey, da stirbt jetzt keiner, wir bleiben alle am Leben! Man braucht diesen Übereifer nicht. Ein bisschen Leichtigkeit, ohne dabei oberflächlich zu werden, täte dem deutschen Film gut.

SZ: Wie viel Einfluss nehmen Sie auf die Gestaltung der Filme oder Theaterstücke, an denen Sie mitwirken? KS: Ich hätte mich mehr einbringen können, zum Beispiel bei "Sophiiiie!". Ich hatte nicht das Gefühl, dass es nötig war.

SZ: Brauchen Sie Führung? KS: Ja.

SZ: Wird am Theater mehr geführt? KS: Schon, doch was heißt das, Führung brauchen? Man kommt auch ohne durch. Aber ich finde, dass das ein spannender Teil der Arbeit ist. Dass man sagt: Ich will nicht alleine arbeiten, sondern es gibt jemanden, der von außen einen Draufblick auf mich und die Geschichte hat. Ich bin bestimmt kein unmündiges Wesen, das sagt: Ich bin deine Puppe, mach was du willst mit mir. Aber ich komme immer so neutral wie möglich ans Set oder zur Probe. Es gibt ja Schauspieler, die sind so wahnsinnige Diskutierer. Das finde ich unerträglich.

SZ: Sie diskutieren nicht? KS: Ich bin erst einmal bereit, alles auszuprobieren. Wenn ich dann merke, dass ich damit nichts anfangen kann, dann sage ich das auch. Oder ich ändere es einfach beim nächsten Mal wieder. Ich finde es einen grundsätzlichen Bestandteil der Arbeit, sich erst mal auf alles einzulassen. Das hat mit Vertrauen zu tun. Deswegen ist es so wichtig, mit wem man arbeitet, an wen man sich abgibt.

SZ: Gibt man sich am Theater anders ab? KS: Schon. Arbeiten am Theater hat auch damit zu tun, Dinge zu erarbeiten, die dich möglicherweise in eine Sackgasse oder weit weg führen, so dass man nach Riesenumwegen da landet, wo man normalerweise nie hingekommen wäre. Und für so was ist beim Filmedrehen keine Zeit.

SZ: Sind Sie eine Theaterschauspielerin, die Filme dreht oder eine Filmschauspielerin, die Theater spielt? KS: Einfach nur: Schauspielerin.

Katharina Schüttler wuchs in Köln auf und wurde an der Hochschule für Musik und Theater zur Schauspielerin ausgebildet. Der Regisseur Christian Petzold besetzte sie 2000 für seine herausragende Produktion "Die innere Sicherheit". Für ihre radikale Darstellung einer jungen Frau ("Sophiiiie"), die sich in der Nacht, bevor sie abtreiben lässt, in die Menschen wirft wie in viele Messer, wurde sie 2003 mit dem Förderpreis des Deutschen Films ausgezeichnet. Katharina Schüttler, inzwischen 26 Jahre alt, zählt zu den so genannten neuen Gesichtern, die nicht zufällig zuerst am Theater bekannt wurden. Derzeit spielt sie in den Thomas-Ostermeier-Inszenierungen "Hedda Gabler", "Trauer muss Elektra" tragen und "Zerbombt" an der Berliner Schaubühne. Nebenher dreht sie mit Götz George eine neue "Schimanski"-Folge, außerdem läuft am 1. Juni das Teenagerdrama "Wahrheit oder Pflicht" an, mit ihr in der Hauptrolle.

© SZ vom 27.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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