Ins Glück stolpern (III):Kleiner großer Kopf

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Wie stopfen wir das riesige Universum unserer Erfahrung in den relativ kleinen Speicher zwischen unseren Ohren? Indem wir schummeln.

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem Buch "Ins Glück stolpern" wieder, das in den USA ein großer Erfolg war und jetzt in deutscher Sprache erschienen ist.

Daniel Gilbert Ins Glück stolpern - Über die Unvorhersehbarkeit dessen, was wir uns am meisten wünschen Aus dem Englischen von Burkhard Hickisch, Riemann Verlag, 2006, 448 Seiten, 19,00 Euro, ISBN: 3-570-50063-2 (Foto: N/A)

Der Autor zeigt, dass alles, was wir tun und denken, nur eines zum Ziel hat: das Glück zu finden. Doch das Buch ist kein klassischer Ratgeber, wie man den Weg dorthin findet - im Gegenteil: Glück ist nicht planbar. Über Beweise stolpern wir jeden Tag - wir müssen nur mit der Nase darauf gestoßen werden.

In den meisten der frühen Marx-Brothers-Filme gibt es eine großartige Szene, in der Harpo in engelhafter Pantomime tief in die Falten seines Mantels greift und ein Flügelhorn, eine dampfende Tasse Kaffee, eine Spüle oder ein Schaf hervorholt.

Mit spätestens drei Jahren haben die meisten von uns gelernt, dass große Dinge nicht in kleine Dinge passen, und es daher komisch wirkt, wenn jemand Klempnerartikel oder lebendes Inventar aus den Taschen zieht. Wie kann ein Flügelhorn in einen Regenmantel passen? Wie können so viele lustige Clowns in so ein kleines Auto gehen? Wie kann die Assistentin des Zauberers in so einer kleinen Box zusammengefaltet werden? Das alles kann natürlich nicht wirklich funktionieren. Wir wissen das, und daher freuen wir uns über die Illusion, die diese Dinge doch möglich macht.

Das menschliche Gehirn erzeugt eine ähnliche Illusion. Wenn Sie jemals versucht haben, die gesamte Staffel Ihrer Lieblingsshow im Fernsehen auf Ihrem Computer abzuspeichern, dann wissen Sie bereits, dass die getreue Nachbildung von Dingen in der Welt riesige Speichermöglichkeiten erfordert. Und dennoch macht unser Gehirn Millionen Schnappschüsse, nimmt Millionen verschiedener Klänge auf, fügt Gerüche, Geschmäcker, Oberflächenstrukturen, eine dritte Raumdimension, eine zeitliche Abfolge, einen fortlaufenden Kommentar hinzu - und zwar den ganzen Tag lang, jeden Tag.

Jahr um Jahr speichert es Repräsentationen der Welt in eine Datenbank, die niemals voll zu werden scheint und uns dennoch erlaubt, im Bruchteil einer Sekunde an jenen schrecklichen Tag in der sechsten Klasse zu denken, als wir Phil Meyers wegen seiner Zahnspange gehänselt haben und er uns angedroht hat, uns nach der Schule zu verprügeln. Wie stopfen wir das riesige Universum unserer Erfahrung in den relativ kleinen Speicher zwischen unseren Ohren?

Wir machen es wie Harpo: wir schummeln. Wie Sie in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, werden Erfahrungen nicht bis ins letzte Detail in unserer Erinnerung gespeichert. Eine Erfahrung wird vielmehr zuerst komprimiert, indem sie auf ein paar Gedankengänge reduziert wird, wie zum Beispiel auf einen zusammenfassenden Begriff ("Abendessen war enttäuschend") oder eine kleine Abfolge von Schlüsselmerkmalen (zähes Steak, korkiger Wein, arroganter Kellner).

Später, wenn wir uns an unser Erlebnis erinnern wollen, webt unser Gehirn erneut den ganzen Erfahrungsteppich, indem es die Erfahrung erneut aus der Masse der Informationen, die wir als Erinnerung erleben, herstellt, anstatt sie fertig aus irgendeinem Speicher abzurufen. Dieses Herstellen geschieht so schnell und mühelos, dass wir (wie jedes gute Zaubererpublikum) die Illusion haben, dass die gesamte Erinnerung die ganze Zeit über in unserem Kopf war.

Aber das ist sie nicht, und diese Tatsache wurde schon viele Male bewiesen. In einer Studie wurde den Versuchspersonen zum Beispiel eine Abfolge von Dias gezeigt, auf denen ein rotes Auto zu sehen war, das auf das Schild "Vorfahrt gewähren" zufährt, nach rechts abbiegt und einen Fußgänger überfährt. Nachdem sie die Dias gesehen hatten, wurde einigen Versuchspersonen keine Frage gestellt (die Gruppe ohne Frage), während den anderen eine gestellt wurde (die Gruppe mit Frage).

Die Frage, die den Versuchspersonen gestellt wurde, lautete: "Wurde das rote Auto von einem anderen Auto überholt, als es am Stoppschild anhielt?" Als Nächstes wurden den Versuchspersonen zwei Bilder gezeigt - auf einem näherte sich das rote Auto dem Schild "Vorfahrt gewähren" und auf dem anderen einem Stoppschild -, und danach wurden die Versuchsteilnehmer gebeten, auf das Bild zu zeigen, dass sie als Dia gesehen hatten.

Wenn sie nun ihre Erfahrung im Gedächtnis gespeichert hätten, dann hätten sie auf das Bild gezeigt, auf dem das Auto auf das Schild "Vorfahrt gewähren" zufährt, und tatsächlich, über 90 Prozent der Versuchspersonen aus der Gruppe, der keine Frage gestellt worden war, taten genau das.

Aber 80 Prozent der Testpersonen der Gruppe mit Frage zeigten auf das Bild, wo sich das Auto dem Stoppschild näherte. Die Frage hatte bei den Versuchspersonen eindeutig ihre Erinnerung an ihre frühere Erfahrung beeinflusst, und genau das würden wir erwarten, wenn unser Gehirn unsere Erfahrungen wieder zusammensetzt. Wir würden es hingegen nicht erwarten, wenn unser Gehirn die kompletten Erinnerungen einfach aus einem Speicher abrufen würde.

Daniel Gilbert (Foto: Foto: Riemann Verlag)

Diese generelle Entdeckung - dass Informationen, die man nach einem Ereignis erhält, die Erinnerungen an das Ereignis selbst verändern - wurde so oft in so vielen verschiedenen Labors und Freilandversuchen wiederholt, dass die meisten Wissenschaftler von Folgendem überzeugt sind. Erstens, der Akt des Erinnerns umfasst das "Hinzufügen" von Details, die nicht im Gehirn abgespeichert sind. Und zweitens können wir generell nicht sagen, wann wir dies tun, weil das Hinzufügen sehr schnell und unbewusst geschieht.

Dieses Phänomen ist so machtvoll, dass es selbst dann funktioniert, wenn wir wissen, dass uns jemand täuschen will. Lesen Sie sich zum Beispiel die folgende Liste von Wörtern durch. Wenn Sie damit fertig sind, bedecken Sie die Liste mit der Hand. Dann werde ich Ihnen einen Trick zeigen.

Bett Ruhe wach müde Traum aufwachen Nickerchen Bettdecke dösen Schlummer schnarchen dunkel Friede gähnen schläfrig

Hier nun der Trick: Welches der folgenden Wörter war nicht auf der Liste? Bett, dösen, Schlaf oder Benzin? Die richtige Antwort lautet natürlich Benzin. Aber die zweite richtige Antwort ist Schlaf, und wenn Sie mir nicht glauben, dann brauchen Sie nur die Hand hochzunehmen. (Sie sollten es so oder so tun, weil wir wirklich weitermachen wollen.) Wenn Sie wie die meisten Menschen sind, dann haben Sie gewusst, dass das Wort Benzin nicht auf der Liste stand, aber fälschlicherweise haben Sie sich daran erinnert, das Wort Schlaf gelesen zu haben.

Weil sich alle Wörter auf der Liste um das gleiche Thema drehen, speichert Ihr Gehirn nur das Wesentliche von dem, was Sie gelesen haben ("Ein Haufen Wörter, die mit schlafen zu tun haben"), anstatt jedes einzelne Wort abzuspeichern. Normalerweise ist dies eine kluge sowie Platz und Energie sparende Erinnerungsmethode.

Das Wesentliche dient als Anleitung für Ihr Gehirn, den Teppich Ihrer Erfahrung erneut zu weben. Es erlaubt Ihnen, sich an die Wörter zu "erinnern", die Sie gelesen haben. Aber in unserem Fall wurde Ihr Gehirn durch die Tatsache getäuscht, dass das entscheidende Wort - das Schlüsselwort, die wesentliche Mitteilung - gar nicht auf der Liste stand.

Als Ihr Gehirn Ihren Erfahrungsteppich erneut webte, fügte es fälschlicherweise ein Wort der Liste zu, das auch zum Thema gehörte, aber tatsächlich nicht auf der Liste auftauchte (genauso wie die Versuchspersonen in der vorangegangenen Studie fälschlicherweise das Stoppschild - das nur durch die gestellte Frage ins Spiel kam und auf den ursprünglichen Dias nicht zu sehen war - in die Liste der gesehenen Bilder mit aufgenommen hatten.)

Dieses Experiment wurde schon oft wiederholt, mit den verschiedensten Wörterlisten, und die Untersuchungen haben zwei überraschende Dinge zutage gebracht. Erstens, die Versuchspersonen erinnern sich nicht vage daran, das Wort, um das es geht, gesehen zu haben und sie erraten es auch nicht einfach. Nein, sie erinnern sich lebhaft daran, es gesehen zu haben und sind sich absolut sicher, dass es auf der Liste steht.

Zweitens, dieses Phänomen tritt selbst dann auf, wenn die Personen vorher gewarnt werden. Die vorher gegebene Information, dass ein Forscher sie dazu verleiten will, sich fälschlicherweise an das entscheidende Wort zu erinnern, führt nicht dazu, dass die falsche Erinnerung unterbleibt.

© * Daniel Gilbert ist Professor der Psychologie an der Harvard University und Direktor des Social Cognition and Emotion Lab. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht und ist Herausgeber des Handbook of Social Psychology. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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