Hurrikan "Stan" in Mittelamerika:"Ein Friedhof, bedeckt von fünf Metern Schlamm"

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In Guatemala hat "Stan" den gesamten Osten des Landes verwüstet. Im von Mayas bewohnten Hochland begruben meterhohe Schlammlawinen ganze Orte unter sich. Ein lokaler Politiker sagte: "Panabaj und Tzanchaj haben aufgehört zu existieren."

Uschi Treffer und Sebastian Schoepp

"Die beiden Dörfer sind ein Friedhof, bedeckt von fünf Metern Schlamm", sagte Diego Esquina Mendoza, Bürgermeister des 160 Kilometer östlich der Hauptstadt gelegenen Städtchens Santiago am Atitlan-See. Die Region an der Pazifikküste steht unter Wasser.

In der Touristenregion hatte sich am Mittwoch ein von gewaltigen Regenmassen ausgelöste Schlammlawine die Hänge des Vulkans San Lucas herabgewälzt und die Menschen lebendig unter sich begraben. Mehr als 2000 Bewohner der beiden abgelegenen Dörfer werden noch vermisst. Die Behörden haben die Hoffnung aufgegeben, Überlebende zu finden.

Wegen der dichten Wolken und der heftigen Winde können nicht einmal die schweren Black-Hawk-Hubschrauber der US-Armee in dem Katastrophengebiet landen, die Zufahrtswege sind blockiert. Und noch für die gesamte Woche sind schwere Regenfälle angesagt, ein weiterer Tropensturm droht sich dem Land von Süden aus zu nähern.

Mehr als 600 Tote in Mittelamerika und Mexiko

Nach offiziellen Angaben hat "Stan" in Guatemala, Mexiko, Nicaragua und El Salvador mehr als 600 Tote gefordert - die Opfer vom Atitlan-See nicht eingerechnet. Das sind doppelt so viele wie nach dem Hurrikan Mitch, der 1998 über Mittelamerika fegte und von dessen Auswirkungen sich die Region - eine der ärmsten der Welt - bis heute nicht erholt hat. In Salvador kommt zudem der vor einer Woche ausgebrochene Vulkan Santa Ana nicht zur Ruhe. Er stößt heiße Asche aus. Am Freitag wurde das Land auch noch von einem Erdbeben erschüttert.

Nach den Worten des guatemaltekischen Vizepräsidenten Eduardo Stein werden die Aufräumarbeiten nach Stan mindestens ein Jahr dauern. Stein schätzt die Schäden auf mehr als 300 Millionen Dollar. Schon kurz nach der Flut wurde allerdings Kritik an der nationalen Katastrophenhilfe laut. Die Regierung habe die Gefahr unterschätzt und zu langsam reagiert.

Sechs Tage nach dem Wirbelsturm sind allein in Guatemala immer noch mehr als 180 Orte von der Außenwelt abgeschnitten, mehr als 150.000 Menschen sind ohne Wasser, Strom und Lebensmittel. Ungezählte Bürger wurden obdachlos und zum Teil in Notunterkünften untergebracht.

Das schlechte Wetter, die zerstörte Infrastruktur und die choatische Organisation erschweren die Versorgung der Betroffenen mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Vom Atitlan-See wurden Hunderte Touristen in Sicherheit gebracht. Noch immer aber werden auch Urlauber vermisst.

Drittel der Infrastruktur Guatemalas zerstört

Ein Drittel der Infrastruktur Guatemalas ist zerstört. Da der Wirbelsturm die wichtigsten landwirtschaftlichen Anbaugebiete getroffen und etwa ein Drittel der Ernte zerstört hat, befürchtet die Regierung Hungersnöte. Wirtschaftsminister Marcio Cuevas kündigte hartes Durchgreifen gegen Spekulanten an, die aus dem Elend Profit schlagen wollten.

Bereits jetzt sind die Preise für Lebensmittel, Treibstoff sowie im weitgehend privatisierten Transportwesen explodiert. In der Hauptstadt war bereits Ende vergangener Woche kaum mehr Benzin erhältlich. Die seit Jahren im Land marodierenden und bewaffneten Mara-Banden überfallen Hilfstransporte.

Insgesamt sind in Mittelamerika zwei Millionen Menschen von Stan betroffen. Mindestens 80 starben in El Salvador, das nach Guatemala am schlimmsten betroffen ist. Im Süden Mexikos grassiert das Dengue-Fieber.

Auch in Guatemala wird mit dem Ausbruch von Seuchen gerechnet; dort werden Tote inzwischen ohne Identifizierung verbrannt. In der Krisenregion Chiapas beklagten die Menschen, der Staat lasse sie im Stich. In der Grenzstadt Tapachula waren 400.000 Menschen von den Fluten eingeschlossen. Zahlreiche Hilfsorganisationen in Deutschland riefen zum Spenden auf.

© SZ vom 10.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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