Hurrikan-Katastrophe:Bush räumt schwaches Krisenmanagement ein

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US-Präsident Bush hat erstmals eingestanden, dass die Bundeshilfe für die Opfer des Hurrikans "Katrina" bislang nur unzureichend angelaufen ist. Zuvor war der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, im Radio ausfällig geworden.

Die Ergebnisse seien "nicht akzeptabel", sagte Bush am Freitag vor einem Besuch in den US-Staaten Louisiana, Alabama und Mississippi. Er sagte er den Katastrophengebieten weitere Unterstützung zu. "Wir werden den Menschen helfen, die Hilfe brauchen", versicherte er.

Nach einer Explosion brennt es im Osten von New Orleans. Die Feuerwehr hat beschlossen, das Feuer "ausbrennen" zu lassen. (Foto: Foto: AP)

Umfassende Lebensmittellieferungen seien bereits unterwegs. Außerdem würden immer mehr Flüchtlinge aus dem überfüllten Footballstadion Superdome in New Orleans evakuiert.

Zusammen mit Heimatschutzminister Michael Chertoff wollte Bush am Freitag in die Katastrophengebiete fliegen. Bereits am Mittwoch hatte Bush die Gegend während seiner vorzeitigen Rückkehr aus dem Urlaub eine gute halbe Stunde lange überflogen.

Bürgermeister massiv verärgert

Angesichts von unvorstellbarem Chaos und Elend in New Orleans hatte Bürgermeister Ray Nagin seinem Ärger über die schleppende Hilfe am Freitag Luft gemacht.

"Ich brauche Polizeiverstärkung, ich brauche Truppen, ich brauche Busse", sagte Nagin in einem Interview mit dem Radiosender WWL. Da werde lange über den möglichen Einsatz von Schulbussen diskutiert, dabei müssten angesichts des Ausmaßes des Desasters sämtliche Busse im ganzen Land auf der Stelle bereitgestellt werden. "Bringt sie zum Teufel hier runter!", schimpfte Nagin.

In der Stadt waren am Freitag noch zehntausende Menschen, die händeringend auf Rettung warteten. Die Leute haben seit Tagen nichts mehr zu Essen und zu Trinken, in den Straßen stapelt sich Müll, Urin und Fäkalien fließen im Rinnstein.

"Da sind tausende gestorben und jeden Tag sterben weitere tausende und wir können es nicht auf die Reihe bekommen, die Hilfe zu organisieren? Jemand muss sich verdammt nochmal ins Flugzeug setzen und herkommen und diese Fragen auf der Stelle lösen!", sagte Nagin.

Explosion im französischen Viertel

Am frühen Morgen war es in New Orleans im französischen Viertel zu einer heftigen Detonation gekommen, ein Eisenbahndepot stand in Flammen.

Die Ursache der Explosion war zunächst unklar. Mindestens zwei Polizeiboote waren vor Ort. Bei der ersten Explosion schossen Flammen in den noch dämmrigen Himmel. Eine Serie kleinerer Detonationen folgten, dann stieg eine schwarze Rauchwolke auf. Die Erschütterung war bis in die Innenstadt zu spüren.

Der Fernsehsender ABC berichtete, die Explosionen hätten sich in einer Chemiefabrik am Mississippi-Ufer ereignet. Unter Berufung auf den Bürgermeister der Stadt hieß es, der entstandene Rauch sei nicht giftig. Der Fernsehsender CNN berichtete, Spezialeinheiten für Gefahrgüter seien auf dem Weg zur Explosionsstelle. Angaben über Verletzte gab es zunächst nicht.

"Shoot to kill"

Auf Grund der anhaltenden Plünderungen und Gewaltverbrechen griff Louisianas Gouverneurin Kathleen Blanco unterdessen zu drastischen Maßnahmen und ließ 300 weitere Irak-Veteranen einfliegen: "Sie wissen, wie man tötet und sind dazu bereit." Die neu ins Katastrophengebiet eingeflogenen Nationalgardisten hätten Maschinengewehre, "und sie sind geladen", sagte Blanco. Die Soldaten hätten den Befehl "Shoot to kill".

Die Reservisten, zum Teil erst vor kurzem aus dem Irak zurückgekehrt, "wissen wie man schießt und tötet, sie sind mehr als bereit, das zu tun, und ich denke, dass werden sie auch."

Soldaten und Polizisten haben in New Orleans ab sofort das Recht zu töten. (Foto: Foto: AP)

Neben den Irak-Veteranen hatte Blanco 40.000 Nationalgardisten angefordert. Bis Freitag sollen 12.000 davon in New Orleans im Einsatz sein. Dort spielten sich am Donnerstag erschreckende Szenen ab: Vor dem Kongresszentrum stürzten sich tausende ausgelaugte Flüchtlinge auf fünf Busse.

Der Polizeichef von New Orleans, Eddie Compass, berichtete, neben Raubüberfällen und Schlägereien sei es auch zu Vergewaltigungen gekommen.

"Bewaffnete junge Burschen"

Auch ein Augenzeuge berichtete dem Nachrichtensender CNN von Vergewaltigungen im Superdome in New Orleans, wo noch immer zahlreiche Flüchtlinge bei katastrophalen sanitären Verhältnissen ausharren. "Hier laufen bewaffnete junge Burschen herum und vergewaltigen Mädchen." Die Situation im Superdome eskaliere, Leichen würden einfach in eine Ecke geschoben.

Der Chef der Polizei von ganz Louisiana, Henry Whitehorn, sagte, er habe gehört, dass mehrere Beamte in New Orleans ihre Dienstmarke abgegeben hätten. "Sie sagten, sie hätten alles verloren und wollten jetzt nicht zurückgehen, um sich von Plünderern erschießen zu lassen", sagte Whitehorn.

Unterdessen wird die Evakuierung der Hurrikan-Opfer immer schwieriger. Eine der wichtigsten Notunterkünfte in Texas, das Astrodome in Houston, ist bereits überfüllt. Das teilte das Rote Kreuz am Abend mit. 11.000 Menschen seien in dem Stadion untergebracht, für weitere gebe es keinen Platz, sagte eine Sprecherin.

"Wir bitten um Geduld"

Die Busse, die weiterhin das Stadion anfahren, müssen zu anderen Notunterkünften umgeleitet werden. Die liegen teils mehrere Stunden entfernt liegen. "Wir bitten die Betroffenen um Geduld", sagte Dana Allen vom Roten Kreuz. "Letztendlich werden alle versorgt." Die Behörden hatten ursprünglich geplant, 23.000 Menschen im Astrodome unterzubringen.

Nun bereitet sich die Stadt San Antonio (Texas), etwa 800 Kilometer von New Orleans entfernt, auf zehntausende Flüchtlinge vor.

In den verwüsteten Regionen in den Bundesstaaten Louisiana, Mississippi und Alabama fehlen weiter vor allem Nahrungsmittel, sauberes Trinkwasser, Medikamente und Transportmittel zur Evakuierung von zehntausenden von Menschen. Leichen verwesen in den Straßen oder stapelten sich an bestimmten Punkten, berichtete der Nachrichtensender CNN.

"Die Hilfe kommt"

Entkräfte Menschen lägen auf den Straßen. Die Zahl der Toten wird mittlerweile auf mehrere tausend geschätzt. Große Probleme sind zudem ausufernde Gewalt, die die Rettungsoperationen behinderten, und Plünderungen. Der Direktor der Behörde für Katastrophenmanagement (FEMA), Michael Brown, sagte nach CNN-Angaben, seine Behörde versuche in New Orleans unter Kriegsbedingungen zu arbeiten.

In New Orleans, wo viele Gestrandete seit fast vier Tagen vergeblich auf Hilfe warten, brach Chaos und Anarchie aus. An der Küste von Mississippi durchsuchten verzweifelte Kinder Abfalltüten nach Essensresten. Die Behörden verteidigten sich gegen den Vorwurf unzureichender Planung. "Dies ist anders als jedes andere Desaster, das die USA je getroffen hat", sagte Brown. "Die Hilfe kommt."

"Verzweifelter SOS-Ruf"

"Jedes Mal, wenn wir Leute rausholen, kommen neue hinzu", sagte FEMA- Direktor Brown. Am späten Nachmittag waren auf der einzigen noch befahrbaren großen Zugangsstraße nach New Orleans Bus-Konvois zu sehen.

Der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, sandte einen "verzweifelten SOS-Ruf" aus. Für 15 000 bis 20 000 Menschen am Kongresszentrum gebe es keine Vorräte mehr. Aus Hotels flehten gestrandete Touristen Fernsehstationen um Hilfe an, ebenso ein Arzt aus dem Charity-Krankenhaus, der für seine 250 Patienten kein Wasser und kein Essen mehr hatte.

In New Orleans waren Banden unterwegs, die Geschäfte plünderten und Menschen bedrohten. Aus Hotels, in denen noch hunderte Touristen festsitzen, traue sich niemand auf die Straße, berichtete eine Touristin. Die Angestellten bewachten das Gebäude mit gezogenen Pistolen. Präsident Bush kündigte "Null Toleranz" gegenüber Plünderern an.

Bush besucht Krisenregionen

Auf dem Flughafen in New Orleans kamen unterdessen in strömendem Regen Patienten an, die die Armee mit Hubschraubern aus Krankenhäusern geholt hatte. Notdürftig mit Decken geschützt wurden sie zur Notversorgung in einen Hangar gebracht. Sie sollten später ausgeflogen werden.

Das Katastrophengebiet erstreckt sich nach Angaben von Heimatschutzminister Michael Chertoff über 233 000 Quadratkilometer, ein Gebiet fast so groß wie Großbritannien. Der Kongress wurde aus der Sommerpause zurückgerufen. Er wollte noch am Freitag das Zehn-Milliarden-Dollar-Hilfspaket verabschieden.

Präsident Bush will sich heute zuerst von einem Helikopter aus ein Bild von der Lage in Mississippi und Alabama verschaffen und dann nach New Orleans weiterfliegen, wie der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, am Donnerstag mitteilte. Danach will der Präsident auch einige Orte zu Fuß aufsuchen.

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