Humor-Kongress:"Der Islam ist nicht humorfeindlich"

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Was der eine witzig findet, entlockt dem anderen nur ein müdes Lächeln. Professor Georges Tamer geht bei einem Kongress der Frage nach, worüber in arabischen Ländern gelacht wird.

Silke Lode

Es gibt keinen Menschen, der nicht lacht - davon ist Georges Tamer überzeugt. Aber Menschen lachen über verschiedene Dinge. Der im Libanon geborene Professor sieht im unterschiedlichen Humor einen Grund für Missverständnisse zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen. Deshalb hat er Wissenschaftler aus aller Welt an die Freie Universität Berlin eingeladen, die bis Samstag den Humor in der arabischen Kultur analysieren.

"Kann ich mich für zehn Minuten entschuldigen? Ich will nur rasch entbinden und bin sofort wieder zurück." Viele Karikaturen, wie die des Ägypters Kamal El Sawy, thematisieren das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. (Foto: Grafik: GTZ)

SZ: Herr Tamer, können Europäer und Araber über das Gleiche lachen?

Tamer: Ich will Ihnen einen aktuellen Witz aus Beirut erzählen. Vergangenen Dezember gab es Proteste gegen die Regierung, die Oppositionellen zelteten im Stadtzentrum. Es gibt zwei Witzfiguren, Abu al-Abd und Abu Steif. Sie sind ein Paar, wie Tom und Jerry. Die beiden übernachten nach einem intensiven Protesttag in einem Zelt.

Mitten in der Nacht steht Abu al-Abd auf, rüttelt Abu Steif wach und fragt: "Was siehst du?" Abu Steif antwortet: "Ich sehe Mond, Sterne und Licht, das aus hohen Gebäuden kommt." - "Und was bedeutet das?" - "Das ist ein Zeichen von Freiheit, von Souveränität und Unabhängigkeit!" "Du Idiot, das heißt, dass unser Zelt geklaut worden ist!" Und, können Sie darüber lachen?

SZ: Ja.

Tamer: Das ist nicht selbstverständlich. Zwar lachen alle Menschen, aber worüber - das hängt von politischen, kulturellen, sozialen, religiösen, erzieherischen und anderen Prägungen ab. Humor ist kontextabhängig. Und Humor ist keine Einbahnstraße - es sind immer zwei Seiten beteiligt.

SZ: Gibt es ein spezifisch arabisches Verständnis von Humor?

Tamer: Das wollen wir während der Tagung herausfinden. Pauschalisierend kann man sagen: Araber sind Südländer. Sie sind lockerer als die Deutschen. Man geht in arabischen Gesellschaften zwar ernst mit wichtigen Dingen um, aber man erlaubt sich auch, darüber Witze zu machen. Die Libanesen haben in der Zeit der syrischen Militärpräsenz syrische Soldaten zu Witzfiguren gemacht. Und es gibt viele palästinensische Witze über die Situation der Palästinenser.

SZ: Erzählen Sie bitte einen!

Tamer: Okay, das ist ein alter Witz aus dem Libanon. Ein syrischer Soldat steht an einem Kontrollpunkt und stoppt den Fahrer eines Peugeot 404. Er fragt: "Sie haben zwei Personen dabei - wo sind die anderen?" Der Libanese versteht nicht. "Sie fahren doch einen Peugeot 404 - also haben Sie 404 Personen dabei. Wo sind die anderen?"

Der Libanese erträgt die Schikane nicht und will den diensthabenden Offizier sprechen. "Lassen Sie meinen Offizier in Ruhe", sagt der Soldat. "Der hat einen schwierigeren Fall: Vorher kam ein Mercedes 600 vorbei!" Das können doofe Witze sein - aber die Leute versuchen so, ihren Frust auszusprechen.

SZ: In fast jedem Gespräch unter Arabern hört man die Formel: "Was Gott will." Sie steht auf Lkws, Taxis und Hauswänden. Können Araber besonders gut über widrige Situationen lachen, weil sie diese Formel verinnerlicht haben?

Tamer: Das könnte ein Grund sein. Religion spielt eine große Rolle, man verlässt sich auf Gottes Wille. Wer das tut, kann mit Situationen, die er nicht ändern kann, humorvoll umgehen. In Deutschland tendiert man eher dazu, an solchen Situationen zu verzweifeln, anstatt gelassen zu resignieren.

SZ: In Marokko wurde unlängst das Magazin Nichane wegen einer Titelgeschichte verboten. Sie hieß: Wie Marokkaner über Religion, Sex und Politik lachen. Gibt es Tabus, über die keine Witze gemacht werden dürfen?

Tamer: Wo Diktatur herrscht, kann man keine Witze über den Herrscher machen. Etwa über Assad in Syrien. Wer das trotzdem tut, kann seinen Job verlieren oder ins Gefängnis kommen, wie Driss Ksikes von Nichane. Oder Fares Youwakim. Er hat sich in einem satirischen Theaterstück über Gaddafi lustig gemacht und deshalb Drohungen von der libyschen Botschaft erhalten. Wir haben die beiden und andere Humoropfer eingeladen, um auf der Tagung lebendig diskutieren zu können.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, wie sich der libanesische Humor vom deutschen unterscheidet.

SZ: Sind Muslimen Witze über den Islam erlaubt?

Arabistik-Professor Georges Tamer. (Foto: Foto: oh)

Tamer: In konservativen Kreisen in den muslimisch-arabischen Gesellschaften wird das ungern gesehen. Die Religion hat einen besonderen Stellenwert - auch unter Christen im Orient. Sie würden sich über Jesus, Maria oder den Propheten des Islam nicht lustig machen - einfach aus Respekt vor der Religion und den religiösen Persönlichkeiten.

Das ist in Deutschland lockerer, in einer weiter säkularisierten Gesellschaft kann man mit religiösen Themen humorvoller umgehen.

SZ: War der Streit um die Mohammed-Karikaturen also ein Missverständnis, das auf einer unterschiedlichen Auffassung von Humor beruhte?

Tamer: Man sollte den Karikaturenstreit nicht zu hoch bewerten. Er war ein Politikum und es geht darum, verschiedene Aspekte zu verstehen. Zum einen die Reaktionen: Die waren gut inszeniert. Die Proteste kamen erst drei Monate nachdem die dänische Zeitung die Karikaturen veröffentlich hatte. Es gab Leute, die ein Interesse an den Protesten hatten.

Damit war die politische Botschaft verbunden, dass fundamentalistische Strömungen in den muslimischen Gesellschaften stark sind und Massen mobilisieren können. Es wäre falsch, deshalb zu sagen, die Araber haben kein Humorverständnis. Andererseits ging es den Menschen wirklich darum, dass man ihren Propheten beleidigt und despektierlich behandelt hat. Nicht darum, dass sie Karikaturen hassen.

Das Gesicht von Mohammed wird in orthodoxen Kreisen des Islam nicht dargestellt. Ohne eine gezielte Mobilisierung hätten wir die Reaktionen in dieser Form jedoch nicht gehabt.

SZ: Der Streit wurde also instrumentalisiert?

Tamer: Ja. Der Islam ist nicht humorfeindlich. Ich habe neulich in der Spruchsammlung Mohammeds gelesen, da steht sogar, dass Gott lacht. Aber religiöses Denken ist ernst, das habe ich auch im Christentum entdeckt. Auch Mönche dürfen eigentlich nur lächeln und nicht lachen, und der jüdische Witz ist säkular.

SZ: Sie sind vor fast 20 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Haben Sie den deutschen Humor verstehen gelernt?

Tamer: Ich lache gerne mit meinen deutschen Freunden oder über manche Witze im Fernsehen. Zum Beispiel über Scheibenwischer. Aber neulich habe ich die TV-Show Deutschland lacht gesehen. Das Publikum lachte herzlich, aber ich konnte das nicht.

Ich glaube, den Humor einer anderen Kultur zu verstehen, ist Teil von Integration. Ich war schnell integriert, ein Freund nannte mich nach zwei Jahren den Preußen aus dem Libanon.

© SZ vom 6.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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