Holland:Die Kiffer-Krise

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Holland lockt nach wie vor Drogentouristen an - nun kritisieren Nachbarländer, die Regierung unternehme zu wenig dagegen.

Siggi Weidemann

"Einmal Afghan oder Spoetnik und einmal Super Skunk, Hollands Hoop oder Power Haze", wünscht sich der junge Mann aus Düsseldorf am Verkaufsthresen im Coffeeshop "Easy Going" in der Hoenderstraat.

Auf Schemeln sitzend und mit Blick auf das kunterbunte Aquarienbild mit den Schildkröten rauchen drei junge Belgier einen Joint und trinken in aller Ruhe ihren Cappuccino. Regelmäßig, so der 32 Jahre alte Stephan, komme er nach Maastricht, um einige Gramm Marihuana zu kaufen. Die lockere Atmosphäre gefalle ihm und natürlich der Umstand, dass er sich hier nicht wie daheim ins kriminelle Milieu begeben müsse, um einen Joint zu rauchen.

Ansturm der Kiffer

Stephan ist einer von schätzungsweise 1,4 Millionen Drogentouristen, die regelmäßig nach Maastricht pilgern. Fast jeder Fünfte von ihnen ist Deutscher.

Wir verlassen den zur Mittagszeit voll besetzten Coffeeshop im Schatten des Rathauses von Maastricht und laufen die wenigen Schritte zum neu angelegten Maasboulevard. Dort liegt die "Smoky" in der strahlenden Frühlingssonne. Ein Mann schrubbt das Deck, wie das auf Flussschiffen so üblich ist. Aber die "Smoky" und die daneben liegende "Mississippi" sind keine normalen Binnenschiffe, sondern zwei schwimmende Coffeeshops, wie man in den Niederlanden die Drogencafés nennt.

Ein Coffeeshop ist kein Kaffeehaus, sondern ein Ort, an dem man ein Plastiktütchen Haschisch oder Marihuana mit einem Gramm zwischen sechs und zehn Euro, je nach Qualität, ganz legal kaufen kann. Der Handel hingegen ist strikt untersagt. Fast jedenfalls; kleine Mengen weicher Drogen fallen unter das Toleranzprinzip. Es gibt dafür das Wort gedogen, was so viel heißt wie "strafbar, aber nicht strafwürdig".

Zunehmend ein Imageproblem

Unter Deck, im Salon der "Smoky", riecht es wie in den Amsterdamer Altstadtgassen, wo Marihuana von Touristen so selbstverständlich konsumiert wird wie Zigaretten und Bier. Acht von zehn seiner Kunden, erzählt Verkäufer Jereon, kommen aus dem Ausland - aus Frankreich, Belgien, Italien, Deutschland. Ein blühender Wirtschaftszweig, von dem auch der Einzelhandel, die Restaurants, Kneipen und Boutiquen profitieren. Andererseits beschert dieser Ansturm dem Land zunehmend ein Imageproblem. Nach Anbruch der Dunkelheit übernehmen Dealer und Goldkettchenträger das Geschäft in Maastricht. Und das findet in den sogenannten "Kilo-Häusern" rund um die Grote Gracht statt. Kilogrammweise werden dort nicht nur Marihuana, sondern auch Kokain, Heroin und Ecstasy-Pillen verkauft. An diesem Stoff sind überwiegend Franzosen interessiert.

Ideale Infrastruktur für Kriminelle

Der christlich-demokratische Bürgermeister Gerd Leers, Verfechter einer Legalisierung weicher Drogen, sieht sich angesichts dieses ganz besonderen Touristenstroms gezwungen, "Maßnahmen zu ergreifen". Er sagt: "Softdrugs ziehen Harddrugs an. Wir grenzen an Deutschland und an Belgien, die Infrastruktur ist für Kriminelle ideal." Leers will deshalb als ersten Schritt sieben Coffeeshops aus der Innenstadt an die Stadtgrenze und damit in die Nähe Belgiens verlegen lassen. Der Nachbar, wen wunderst's, findet diese pragmatische Vorgangsweise unsäglich. Weil man noch mehr Kriminalität in den Grenzgemeinden befürchtet.

Der belgische Premier Guy Verhofstadt hat seinem niederländischen Kollegen Peter Balkenende in der vergangenen Woche einen "bitterbösen Brief" geschrieben, indem er die Haager Regierung auf ihre Verpflichtung hinweist, gegen grenzüberschreitenden Drogenschmuggel vorzugehen. Mit den Plänen für Maastricht sei dies nicht länger garantiert. Die Angelegenheit werde beim nächsten Gipfel der EU-Innen- und Justizminister zur Sprache kommen.

Empörung der Nachbarländer

Auch andere Länder sind mit dem Laisser-faire der niederländischen Drogenpolitik nicht einverstanden. So haben die Schweden schon vor Jahren mit Wirtschaftsboykott gedroht, wenn Den Haag nicht endlich durchgreife. Paris führte Kontrollen an der belgisch-französischen Grenze ein. Auch Deutschland, Irland und Italien gehören zu den Kritikern. Die Empörung ist verständlich. Denn der weitaus größte Teil der Drogen, der in diesen Ländern beschlagnahmt wird, kommt über die Niederlande.

Coffeeshops zählen zu den touristischen Top-Attraktionen Hollands. Genau 737 dieser Shops sind legal. Dazu kommen noch mehr als 1200 illegale Verkaufsplätze - eine wichtige Einnahmequelle vor allem für die Grenzstädte Groningen, Enschede, Terneuzen, Heerlen oder Venlo.

Was in Maastricht nun "Operation Coffee-Corner" genannt wird, hieß in der Stadt Venlo "Operation Hektor". Das Justizministerium hatte rund fünf Millionen Euro staatlicher Zuschüsse für das Pilotprojekt bewilligt. Damit ist Venlo die erste Gemeinde, die mit der gezielten Vertreibung ausländischer Drogensüchtiger aus einer Stadt begonnen hat. Deutsche Kunden kaufen ihre Softdrugs seitdem in zwei Drive-In-Coffeeshops, den sogenannten McDrops, am ehemaligen deutsch-niederländischen Grenzübergang.

Die aus den 60er-Jahren stammende holländische Drogenpolitik ist inzwischen nicht nur für Ausländer schwer begreifbar, sondern auch für die Niederländer. Auf Unverständnis stößt vor allem der tolerierte Anbau von Cannabis. Weil hohe Gewinnmargen locken, ist das Züchten der Droge auf Dachböden, in Garagen oder in Maisfeldern lukrativ.

Durch Zuchterfolge ist Cannabis heute wesentlich stärker

In Holland angebautes Cannabis ist die in Europa am häufigsten konsumierte weiche Droge. Sie kann aber nicht mehr als harmlos betrachtet werden, denn ihre Wirksamkeit hat in den letzten Jahren dank der guten Zuchterfolge stark zugenommen. So polemisiert denn auch das Magazin Elsevier, das Drogenproblem sei "die größte massive Aushöhlung unseres Rechtsstaates in Friedenszeiten".

Diese Überlegungen kennen die Besucher an Bord der sich sanft auf und ab hebenden "Smoky" in Maastricht nicht. Hier wirft der Tischnachbar die Frage auf: "Kommt die Schaukelei nun durch die Maaswellen oder durch das Rauchen von Joints?"

© SZ vom 2.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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