Höchste Alarmstufe auf Insel Java:Die Götter müssen verrückt sein

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Auch wenn der Vulkan Merapi schon Asche spuckt, wollen viele Indonesier ihre Häuser nicht verlassen - sie vertrauen lieber auf Geistheiler.

Manuela Kessler

Die Götter grollen. Der Mount Merapi auf der indonesischen Insel Java spuckt Schutt und Asche. Dicke Gaswolken quellen am Montag aus dem Schlund jenes 2961 Meter hohen Vulkans, der von den Anwohnern angebetet wird als Sitz eines Geisterreichs. Feuerberg nennen sie ihn.

Die indonesischen Behörden hatten am Samstag die höchste Alarmstufe ausgerufen und damit begonnen, 4500 Menschen, die in unmittelbarer Nähe des Kraters wohnen, zu evakuieren.

Nicht alle folgten dem Aufruf, und das liegt an Marijan, dem Hüter des Merapi.

Mag der Vulkan auch Asche auf sein Haus regnen lassen, Geistheiler Marijan harrt im Schatten des Kraters aus. Der 79-Jährige ist davon überzeugt, dass es diesmal beim Grollen bleibt. Er hat am Sonntag eine traditionelle Zeremonie vollzogen, um die Berggeister mit Opfergaben zu beschwichtigen.

Hunderte von Menschen, unter ihnen auch muslimische Geistliche, übergaben unter seiner Anleitung Weihrauch und Reis, Früchte und Gemüse dem Fluss. Marijan besitzt dem Volksglauben zufolge nämlich einen speziellen Draht zu diesem heiligen Berg, den die Bewohner aus Ehrfurcht noch nicht einmal beim Namen "Merapi" nennen.

Die Anwohner räumen die Dörfer nicht

Er bewacht den Eingang zur Götterwelt seit vier Jahrzehnten im Dienste des Sultans von Yogyakarta, der am Fuße des Merapi liegt. Die Überlieferung will es, dass eine unsichtbare Verbindung zwischen dem Vulkan, dem Sultanspalast und dem Indischen Ozean besteht. Der Greis fungiert als eine Art Hohepriester, wenn der Sultan alljährlich in einem prachtvollen Prozessionszug zum Kraterrand hochsteigt, um den Berggöttern Geschenke darzubringen.

Seinem Urteil vertrauen viele Anwohner des Merapi mehr als den Warnungen der Wissenschaftler. Tausende setzten sich über die Aufforderung der Behörden hinweg, die Dörfer, die nur wenige Kilometer vom Krater entfernt liegen, zu räumen.

Sie geben dieser Tage nichts auf die Meinung der Vulkanforscher und nichts auf ihren Vizepräsidenten Yusuf Kalla. Der steht dem Krisenstab vor und schätzt, dass etwa 35000 Anwohner zeitweise umgesiedelt werden müssten, wenn der Vulkan, der seit über einem Monat rumort, mit aller Gewalt ausbräche. Das UN-Flüchtlingshilfswerk rechnet sogar mit bis zu 80000 Vertriebenen. Die Behörden mühten sich, Notunterkünfte in aller Eile einzurichten.

Die bereit stehenden Auffangzentren waren am Montag mit schätzungsweise 12000 Evakuierten bereits völlig überfüllt, als unzählige weitere Menschen nach lauten Explosionen im Erdinnern voller Panik aus der Gefahrenzone flüchteten. Viele Ortschaften wirkten wie ausgestorben. In einigen Gegenden der Evakuierungszone harrten Bewohner dennoch aus und starrten gebannt auf die dunklen Wolken am Gipfel des Merapi. Manche von ihnen vertrauten auf die Prophezeiungen des Geistheilers Marijan. Manche blieben auch zurück, um sich um ihre Nutztiere zu kümmern.

Bei der letzten Eruption 1994 verbrannten 66 Menschen

Ob es zum Schlimmsten kommt, weiß niemand genau. Der Merapi gilt als der am wenigsten berechenbare der 129 indonesischen Vulkane, die sich entlang des Pazifischen Feuerrings reihen. 65 davon gelten als gefährlich. Der Feuerberg auf Java zählt aufgrund seiner vielen Ausbrüche zwar zu den aktivsten Vulkane weltweit, aber diese lösten in der Vergangenheit meist keine großen Lavamassen aus.

Der Merapi ist für Gaslawinen berüchtigt. Bei der letzten Eruption 1994 verbrannten 66 Menschen in einer Wolke aus Gift, Asche und Geröll. Bei dem verheerendsten Ausbruch in der jüngeren Geschichte im Jahr 1930 kamen 1300 Menschen ums Leben.

Die Angst vor Plünderung ihres Hab und Guts spielte mit, dass viele indonesische Bauern trotz aller Warnungen der Behörden auf ihren Höfen blieben. Sie bestellten am Montag die Felder, auf die der Ascheregen niederging, im festen Glauben, dass er Fruchtbarkeit verheißt. Nichts anderes.

© SZ vom 16.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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