Heimliche Hinrichtungen in Japan:Jeder Morgen kann der letzte sein

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Hinrichtungskandidaten in Japan wissen nie, wann sie exekutiert werden. Sie erfahren es erst am Morgen ihres Todestages. Die Zeit davor: Warten auf den Tod in völliger Isolation.

Nicht die Hinrichtung selbst, so schrieb der Japaner Iwao Hakamada in der Todeszelle, fürchtet der Verurteilte am meisten, sondern die eigene Angst vor dem Tod. Seit mehr als 20 Jahren wartete der für einen Mord zum Tode Verurteilte zu diesem Zeitpunkt auf die Vollstreckung des Urteils - und wurde darüber verrückt.

Hinrichtungskandidaten in Japan wissen niemals, wann sie exekutiert werden. Sie erfahren es, im Gegensatz zu den in den USA zum Tode verurteilten, erst am Morgen des Todestages, dass dieser Tag ihr letzter sein wird. Bereits wenige Stunden später, meist gegen neun Uhr morgens, wird das Urteil in aller Heimlichkeit vollstreckt. Angehörige und Anwälte erfahren erst danach vom Tode des Häftlings - wenn sie aufgefordert werden, die Leiche abzuholen.

Japan und die USA gehören zu den letzten demokratischen Ländern, in denen die Todesstrafe noch immer vollstreckt wird. So sind auf den Inseln im Pazifik seit 1945 mehr als 600 Menschen hingerichtet worden. Zwar ist die Zahl der Hinrichtungen - im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten - stark gesunken.

Doch Menschenrechtsgruppen kritisieren neben den Exekutionen selbst vor allem auch die Vorgehensweise der japanischen Behörden. So wird die Presse lediglich über die Vollstreckung von Urteilen informiert - weder Namen der Getöteten noch die Ort der Hinrichtung werden genannt. Nicht einmal der Absender der Faxe - wahrscheinlich das Justizministerium - ist zu erkennen.

Das Ministerium selbst weist Forderungen, die Öffentlichkeit besser über die Todesstrafen zu informieren, zurück - man müsse die Gefühle der Verurteilten und ihrer Angehörigen berücksichtigen.

Die Europäische Union hat Japan bereits zur Abschaffung der Todesstrafe aufgerufen. Auch hat der Europarat bereits eine internationale Delegation zur Untersuchung der Todesstrafe nach Japan geschickt.

An den Gefängnistoren wurden sie allerdings abgewiesen - unter anderem mit der Begründung, der "Geistesfrieden" der Betroffenen könnte gestört werden.

Kritiker behaupten, die japanische Regierung will auf diese Weise verhindern, dass Informationen über die Haftbedingungen in den Gefängnissen an die Öffentlichkeit kommen.

So leiden die Gefangenen darunter, dass jeder Morgen ihr letzter sein könnte - und das häufig über mehr als zehn Jahre. Mehr als ein Dutzend der Verurteilten, die auf ihre Hinrichtung warten, sind inzwischen älter als 60 Jahre. Einer der Ältesten, über 80 Jahre alt, wurde bereits 1966 verurteilt.

Die Mehrheit ist für die Todesstrafe

Sie leben in völliger Isolation, können nicht arbeiten und müssen häufig eine vorgeschriebenen Sitzhaltung in der Mitte ihrer Zelle einnehmen - nicht einmal hinlegen dürfen sie sich. Unterhaltung und Blickkontakt mit Mitgefangenen während des kurzen Rundgangs im Gefängnishof sind verboten.

Die Regierung rechtfertigt ihren Umgang mit den Verurteilten mit der großen Mehrheit, die die Todesstrafe in Japan befürwortet. Kritiker jedoch meinen, dass die Japaner nicht ausreichend über das Thema informiert werden - auch nicht darüber, dass bereits einige Insassen des Todestraktes nach einer Wiederaufnahme ihrer Verfahren ihre Unschuld beweisen konnten.

Manche Verurteilte werden mit ihrer ständigen Todesangst alt. Mehr als ein Dutzend der 50 Männer und vier Frauen in Japan, die auf ihre Hinrichtung warten, sind älter als 60 Jahre. Der älteste zum Tode Verurteilte, 83 Jahre alt, wartet seit 1966 auf den Galgen.

Andere werden vor lauter Angst verrückt, was sie jedoch selten vor dem Strang rettet. Dazu gehört der Briefschreiber Hakamada. "Er glaubt, alle Menschen senden Radiowellen aus", sagt sein Anwalt.

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