Harald Juhnke wird 75:My way

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Paul Sahner erinnert sich an einen großen Entertainer und Schauspieler.

Wenn besorgte Freunde oder Kollegen wissen wollen, wie es Harald Juhnke wirklich geht, muss man an eine Begebenheit aus dem Januar 2003 erinnern. Jürgen Wölffer, Direktor des Berliner Theaters am Kurfürstendamm, sagte damals: "Je schlimmer die Gerüchte um seinen Geisteszustand wurden, umso mehr plagte mich mein Gewissen. Vor einigen Jahren hatten Harald und ich uns richtig verkracht, auch weil ich seine ständigen Alkohol-Abstürze satt hatte, mit denen er sich und seine Familie unaufhaltsam ruinierte. Aber jetzt muss ich mich um den alten Freund kümmern, von dem es heißt, er sieche dahin und erkenne keine Menschenseele mehr."

Zusammen mit seiner Frau Christine Schild und Susanne Juhnke besuchte er Juhnke im Katharinenhof, einem Pflegeheim für Demenzkranke in Fredersdorf bei Berlin. Harald Juhnke lebt dort seit Dezember 2001.

Wölffer erinnert sich: "Harald war an diesem Sonntag locker, entspannt und charmant wie in seinen besten Tagen. Er sah schnieke aus, adrett, wie aus dem Ei gepellt. Flanellhose, blauer Blazer, schwarzes Polohemd. Dabei wusste er ja nicht, dass wir kommen. Na ja, eitel war der Junge immer."

Es war ein Tag, an dem der große Mime noch einmal alle Register zog. Er deutete auf einen Tisch, an dem überwiegend Frauen saßen, demenzkrank wie er. Er sagte: "Das sind lauter Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gerade ein Stück probe. Sehr bemüht sind die, aber ein wenig provinziell."

Dann wandte er sich an Christine Schild und fragte die Kollegin, ob man nicht mal wieder Theaterspielen solle, aber leider sehe er in seinem Terminplan für die nächsten Monate keine Lücke. Harald Juhnke war in seinem Element. Er schwärmte den Besuchern vor, dass er gerade mit Victor de Kowa, der Theaterlegende, auf der Bühne stehe. Victor de Kowa starb am 8. April 1973.

Harald Juhnke, der zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre nicht mehr als Schauspieler gearbeitet hatte, glaubte fest daran, nach wie vor ein ausgebuchter und gefragter Star zu sein. Er lebt in einer Welt, die sich Außenstehenden nur schwer erschließt.

An diesem Sonntag des Januars 2003 prahlte er damit, dass er ein zwar anstrengendes, aber höchst erfolgreiches Jahr hinter sich habe. Elf Filme habe er gedreht, selbstverständlich alles Hauptrollen. Plötzlich blickte er auf seine Uhr, um den Besuchern mitzuteilen: "Tut mir leid, aber ich muss jetzt los. Das Taxi wartet schon. Ich hab' Proben mit dem großen Fritz Kortner." - Fritz Kortner ist seit dem 22. Juli 1970 tot. Einmal König Lear sein...

Als Susanne Juhnke auf seinem Zimmer den Kaviar auspackte - vorher gab es Erdbeertorte - und er beides mit viel Appetit verdrückte, war von de Kowa und Kortner keine Rede mehr.

Susanne Juhnke sagt, es sei ein bittersüßes Erlebnis für sie gewesen, sie habe sich beim Abschied fürs Lachen entschieden, obwohl ihr gleichzeitig zum Weinen gewesen sei. Sie hatte ihn in die Arme genommen, als sie ihn verließ.

Er ging, leicht tänzelnd, zurück auf sein Zimmer, hüllte sich in seinen alten Lieblingssessel in seine Patchworkdecke. Dann betrachtete er, wie fast jeden Abend, die Bilder seiner großartigen Karriere. Den Fernseher ließ er wie üblich kalt. Er ist sein eigener Programmdirektor, stellt sich seine Rollen selber im Kopf zusammen. Zum Abschied sagte er: "Es gibt noch viele Rollen, die ich zu spielen habe."

Ich kenne Harald Juhnke seit 35 Jahren. Unser letztes Gespräch hatten wir im Oktober 2000. Er sah unendlich alt aus, seine Haut war welk wie das Herbstlaub im Park des Grünwalder Schlosshotels Vier Jahreszeiten. Er hatte sich bei mir eingehakt. Es schien, als ahne er, wie ausweglos seine Situation war.

Trotzig sagte er: "Zu Tode saufen - was soll's. Dean Martin, Richard Burton, Romy Schneider und Frank Sinatra haben das perfekt hingekriegt. Es gibt Schlimmeres. Das Schlimmste ist, dass diese Sucht zum Schwachsinn führen kann. Schwachsinn bedeutet das Ende. Kein Juhnke mehr im Kino, keiner mehr im Fernsehen, keiner mehr auf der Bühne. Du bist verloren, wenn der Kopf nicht mehr mitmacht. Kaputt. Aus. Ende der Fahnenstange. So will ich nicht enden."

Harald war ein Vollblutkünstler. Sein Leben war die Schauspielerei. Politik? Geschichte? Sport? Ferne Kulturen? Philosophie? "Interessiert mich nicht", knurrte er, wenn man ihn darauf ansprach.

Dafür hängte er sich selbst in Werbespots für Milch oder Wasser so rein, als wär's sein Hollywood-Debüt. Er träumte von Shakespeare-Rollen. War es die Ernüchterung, statt dessen fast immer in Komödianten-Rollen gedrängt zu werden, dieser verzweifelte Versuch, ein zweiter O.E. Hasse zu werden, der ihn, das verkannte Genie, in den Alkohol-Wahnsinn trieb?

1998 hatte er im Wiener Burgtheater aus seiner Biografie Meine sieben Leben gelesen. Er rief mich an, weinte fast vor Glück: "Claus Peymann war ganz hingerissen. Der kommt ja nach Berlin. Vielleicht klappt es dann mit König Lear, meiner absoluten Traumrolle. Der stirbt auf der Bühne, und die Leute klatschen und trampeln minutenlang. Und dann tritt der Regisseur vor die Bühne und sagt: ,Meine Damen und Herren, der Juhnke ist gerade gestorben.'" Meinen Einwand, das sei ein makaberes Ende, wischte er weg: "Ich will einfach mal wissen, wie die Menschen reagieren, wenn sie glauben, ihr Harald sei tot."

Ihr Harald! Juhnke fühlte sich Zeit seines Lebens als Sieger, als Held, der unverwundbar alle Schlachten übersteht. Wenn sein Arzt, der Baseler Professor Franz Müller-Spahn, ihm nach jedem Alkohol-Absturz eintrichterte: "Und wieder haben wir eine Schlacht verloren, den Krieg können nur Sie alleine gewinnen", dann returnierte Juhnke: "Der Juhnke gewinnt den Krieg, sonst wäre er ja nicht der Juhnke. Ich bin ja gar nicht mehr angreifbar. Keiner kann mir was, Keine hämischen Zeitungsleute, keine Alk-Randale, keine Affären. Das Volk liebt mich, weil es sich in meinen Problemen wiedererkennt."

Freunde hatte er keine. Dazu gab es keinen Platz in seinem Ich-Leben. Einmal, in einer längeren Trinkpause, schlug ich ihm vor, er solle den Berliner Barkeepern verbieten, ihn abzufüllen, wenn er mal wieder nach einer Rolle in ein Loch stürzte.

Die Idee fand er gut, aber die meisten Barkeeper mochten sie nicht. Sie füllten ihn weiter ab - geil auf den Schwachsinn des Lebens. "Freunde", sagte er darauf, "kannst Du vergessen. Sie kleben an Dir, wenn Du oben bist, doch fällst Du, rennen sie weg."

Gern sprach er von berühmten Saufkumpanen: "Der Franz Josef Strauß war barock, der hatte viel Verständnis für mich. Trafen wir uns, sagte er: ,Jetzt trink ma a ordentliche Flasche Wein. Und dann trink ma no a paar Schnäpse.'" Und auch F.K. Flick sei "ein Genießer, selbst wenn das manchmal in Kampftrinken ausartete".

Je mehr Juhnke trank, umso larmoyanter wurde er. Er erzählte dann von seinem Vater, einem Berliner Polizisten: "Vater hat gesoffen und seinen Sohn Harald verführt. Der war richtig sauer auf mich, wie ich so zehn war und nicht probieren wollte. Ich solle doch endlich ein ordentliches Bier trinken, dazu ein Schnäpsken. Ich sei doch Papas Großer."

Vor fünf Jahren, zu seinem 70. Geburtstag, hatte Harald seiner Frau Susanne versprochen, dass er mit 75 aufhören wolle mit der Schauspielerei. Doch die sagte ungerührt: "Du spinnst. Dann langweilst Du Dich zu Hause rum und ärgerst Dich, wenn in der Glotze Kollegen Deine Rollen spielen, obwohl Du überzeugt bist, das besser zu können."

Die Tragik des großen Komödianten war möglicherweise, dass er sich bis zuletzt seiner seichten Filmchen in den fünfziger Jahren schämte: "Das war stupide Leinwand." Als er die großen Rollen bekam (Schtonk, Der Papagei, Der Trinker), war er schon so verstrickt in den Teufelskreis Alkohol, dass er sich nach jedem Triumph die Kante gab, später kaum noch seine Texte behalten konnte. Er war der manisch Depressive, der zerschlug, was er liebte.

Je größer seine Rollen wurden, umso panischer wuchs die Angst, zu versagen. Immer häufiger sprach er, wenn er bei Sinnen war, von Selbstmord: "Diese Sauforgien waren fast immer durchtränkt von dem Verlangen, mir das Leben zu nehmen. So wie Hemingway. Ein großartiges Ende."

Ein- bis zweimal in der Woche besucht Susanne Juhnke ihren Mann. Sein physischer Zustand sei stabil, sagt sie. Der geistige Verfall ist erschütternd. Sie fasst zusammen: "Seine Krankheit schreitet in raschen Schüben voran, man kann sie nicht aufhalten.

Stürzt er, kann er nur ,Aua!' sagen. Besuche ich ihn, erkennt er meine Stimme, meine Gestik, meine Augen. Das ist die Macht der Gewohnheit, die Regelmäßigkeit und die Vertrautheit. Er lächelt dann. Sekunden später ist er wieder ganz weit weg, in seiner eigenen Welt. Für mich zählt aber nur der flüchtige Moment, wenn er ganz nah bei mir ist, das sind kostbare Sekunden. Ich liebe ihn, vielleicht mehr denn je."

Juhnke-Biograf Harald Wieser ließ bei einer Juhnke-Hommage für den SWR die Legende am Schluss hochleben: "Heben wir unser Wasserglas auf Harald Juhnke, den großen Verlierer. Betonung auf Verlierer, aber auch auf groß. Denn viele von uns sind kleine Verlierer."

Ich musste an unser letztes Gespräch denken, ein paar Monate, bevor er für immer das Fach wechselte. Er schwärmte von Frank Sinatra, seinem großen Idol, der trotz seines exzessiven Lebens 82 Jahre alt wurde: "Er war mein Seelenbruder. Auch seine Affären, Auswüchse und Alkoholorgien waren Legende. Im Diesseits haben wir uns leider nie kennen gelernt, vielleicht klappt's im Jenseits. Frankie und Harry auf Wolke 7 - für alle da oben My way singend - das wär's!"

Paul Sahner, 59, ist Autor und Mitglied der Chefredaktion von Bunte.

© SZ vom 9.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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