Großbritannien:Tradition und Tierquälerei

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Kaum ein Accessoire symbolisiert das britische Nationalgefühl besser und kaum eines ist umstrittener: Nun wollen konservative Politiker die Bärenfellmützen der königlichen Garde abschaffen.

Wolfgang Koydl

Im Sommer sind sie erdrückend heiß, im Winter halten sie noch nicht einmal die Ohren warm, und bei Wind fliegen sie weg. Wer sich tarnen und verstecken will, der wird von ihnen schnell verraten, und ein schneller Lauf im Sturmschritt scheidet ebenfalls aus: Die mächtigen Bärenfellmützen, die von insgesamt fünf noblen Wachregimentern der britischen Armee getragen werden, haben offensichtlich weder praktischen noch militärischen Nutzen. "Wir werden nie wieder den Tag sehen, an dem die Garde ihre Bärenfellmützen im aktiven Dienst trägt, es sei denn, sie würden an den Nordpol befohlen", schrieb die New York Times - in einem Artikel, der bereits 1888 erschien.

In fünf Wachregimentern - darunter bei den Scots Guards - gehört sie seit der Schlacht von Waterloo zur Ausstattung: die fast ein Kilogramm schwere Bärenfellmütze. (Foto: Foto: AP)

Seitdem sind 120 Jahre vergangen, doch noch immer hält das britische Verteidigungsministerium an der Tracht fest, die erstmals nach der Schlacht von Waterloo 1815 eingeführt wurde. Denn modisch sind die Mützen schwer zu toppen - und Millionen London-Touristen dürften sich dem Urteil anschließen: Die knapp einen halben Meter hohen und fast ein Kilogramm schweren Kopfbedeckungen sind weltweit auf Abermillionen Schnappschüssen und Videoclips verewigt - sei es von der Wachablösung vor dem Buckingham-Palast oder von steinern dreinblickenden Posten in Windsor Castle. Auch patriotischen Briten geht das Herz über, wenn sie die bemützten Elitesoldaten bei einer Parade marschieren sehen.

Ebenfalls seit vielen Jahren aber gibt es auch Proteste. Denn für die Mützen werden echte Felle des amerikanischen Schwarzbären ( Ursus americanus) verwendet. Ob Baywatch-Star Pamela Anderson oder die radikalen Mitglieder der internationalen Tierschutzorganisation Peta - sie alle haben sich schon zu Wort gemeldet, doch bisher ohne Ergebnis. Nun aber hat eine Frau in den Chor der Kritiker eingestimmt, die nichts weniger ist als eine Stütze der britischen Gesellschaft: Die Unterhausabgeordnete Anne Widdecombe ist konservativ, patriotisch und königstreu. Am besten lässt sie sich mit dem Adjektiv formidabel umschreiben. Von Auftreten, Selbstbewusstsein und Sprachduktus her wäre sie die Idealbesetzung für eine Neuverfilmung der Abenteuer von Miss Marple.

Kunstfaser überzeugt nicht

Die ebenfalls unverheiratete Miss Widdecombe appelliert nun an das Verteidigungsministerium, das Parlament und die Königin, das Abschlachten der Bären zu stoppen und den Soldaten Mützen aus Kunstpelz auf den Kopf zu drücken. Ihren Abgeordnetenkollegen wollte sie ein Video zeigen, in dem nach ihren Worten dargestellt wird, "wie vollständig gewissenlos und grausam" die Tiere von kanadischen Fallenstellern getötet würden. Die BBC weigerte sich, den Film auszustrahlen, weil die darin gezeigten Szenen zu grausam seien. Den Bären, von denen es in Kanada und in den USA knapp eine Million gibt, wird allerdings vor allem wegen ihrer Gallenblasen und Tatzen nachgestellt, die in Asien hohe Preise erzielen.

Insgesamt 50 Bärenfelle seien 2007 für neue Mützen benötigt worden, so kritisierte die Abgeordnete. Und in den vergangenen sechs Jahren wurden knapp 500 Felle mit einem Gesamtwert von umgerechnet mehr als 400.000 Euro verarbeitet. Eine Mütze, die bei guter Pflege nach Angaben des Militärs angeblich jahrzehntelang getragen werden kann, kostet umgerechnet 850 Euro.

Doch Tests mit Kunstfasern haben Britanniens Militärs bislang nicht überzeugt. Bei Regen, so ein Sprecher, absorbiere der Stoff so viel Wasser, dass die Mütze für den Träger zu schwer "und ein substantielles Gesundheitsrisiko" werden könne. Zudem gehe eine nasse Kunstfellbärenmütze leicht aus der Fasson. Da sie aber bei feierlichen Paraden getragen werde, wären formlos auf den Häuptern hängende Pelzhüte "vollkommen unakzeptabel". Vielleicht sollten sich die Briten einmal mit ihren belgischen Kollegen in Verbindung setzen. Deren königliche Leibwache wird seit Jahren schon von Kunstfell behütet. Und in Belgien regnet es nicht weniger als in Großbritannien.

Tierschützerin Anita Singh von Peta konnte ihren Sarkasmus daher kaum verbergen, als sie sich zu dem Thema äußerte: "Im 21. Jahrhundert, wenn das Verteidigungsministerium die beste militärische Ausrüstung der Welt produziert, wird es doch imstande sein, ein synthetisches Material herzustellen, aus dem man zeremonielle Kopfbedeckungen machen kann."

© SZ vom 11.03.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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