Größter britischer Geldraub:Spieltrieb oder Geldgier?

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Ein schillernder Millionär, genannt "der Flexible" steht im Prozess um einen Geldraub von 78 Millionen Euro in London vor Gericht.

Es war Reality-TV vom Feinsten. Kamerahubschrauber kreisten über Polizeiautos, Geldverstecken und Gangsterunterkünften.

Noch ist nur ein Bruchteil der Beute des größten britischen Geldraubs aufgedacht. (Foto: Foto: dpa)

Mit dem "Securitas Robbery" stellten britische Gangster sogar den legendären Postzugraub von 1963 in den Schatten. Damals hatten Ronnie Biggs und seine Kumpane Geldsäcke im Wert von heute etwa 50 Millionen Euro erbeutet.

Beim Überfall auf das Lager der Sicherheitsfirma Securitas im südenglischen Tonbridge waren es umgerechnet 78 Millionen Euro - der größte Raub der britischen Kriminalgeschichte. Jetzt begann im Londoner Strafgerichtshof Old Bailey der Prozess.

Angefangen hatte alles im Dämmerlicht des 21. Februar 2006. Colin Dixon, Direktor des Depots, war auf dem Heimweg, als vermeintliche Polizisten ihn stoppten. Kurz darauf erschienen mehrere "Polizisten" bei Dixons Frau, die gerade das Abendbrot vorbereitete: "Ihr Mann hatte einen Unfall. Bitte kommen sie mit ins Krankenhaus."

Im Auto der vermeintlichen Sicherheitsbeamten schauten Lynn Dixon und ihr acht Jahre alter Sohn plötzlich in Läufe von Pistolen. Ein Mann sagte: "Wenn ihr artig seid, überlebt ihr das hier."

Um seine Familie zu retten, schaltete Dixon die Alarmanlage des Wertdepots aus, eines der größten in Europa, und öffnete den Räubern Tür und Tor. Die Gangster im Depot trugen hautenge Gesichtsmasken.

"Fake Face Gang"

Die Presse taufte sie deshalb "Fake Face Gang" - die Bande mit den falschen Gesichtern. Mit vorgehaltenen Waffen fesselten sie 14 Wächter und andere Mitarbeiter: "Wer sich bewegt, wird erschossen!"

Dann schoben sie ganze Paletten mit Pfund-Noten auf einen Kleinlaster. "Das war organisierte Kriminalität auf höchstem Niveau", sagte Fahndungsleiter Adrian Leppard, der damals täglich im britischen TV zu sehen war. Wegen seiner Glatze nannten ihn viele Kojak - nach dem haarlosen Detektiv, den Telly Savalas in "Einsatz in Manhattan" mimte.

Anfangs sah es aus, als seien die Gangster mit der Millionenbeute auf und davon. "Durch den Kanaltunnel nach Europa", hieß es in Zeitungen. Immer wieder erwiesen sich Polizeiaktionen nur als Teilerfolge. Wie der Fund eines Kleinlasters, von dem es hieß, er enthalte womöglich die gesamte Beute. Tatsächlich waren es nur 1,3 Millionen Pfund.

Doch dann passierten die Fehler, auf die Leppard gehofft hatte. Eine Frau in der Uniform der Heilsarmee wollte 6000 Pfund auf ein Konto einzahlen - das Geld trug noch die Securitas-Banderole. Ein mutmaßlicher Täter nach dem anderen ging der Polizei ins Netz.

Am 1. März 2006 bestätigten Ermittler schließlich, dass mit dem Autohändler John Fowler der mutmaßliche Kopf der Bande wegen Verschwörung zum schweren Raub, Entführung von drei Menschen und unerlaubten Waffenbesitz angeklagt werde.

Wo ist die ganze Beute?

Der 58-jährige mit dem Spitznamen "der Flexible" aus der südenglischen Stadt Maidstone wurde als schillernde Figur beschrieben. Ob er den Raub, wenn er denn dafür verurteilt werden sollte, aus Geldgier oder eher aus Spieltrieb plante, fragen sich viele. Dem Millionär gehören etliche Eigentumswohnungen, Autos deutscher und britischer Nobelmarken und ein auf drei Millionen Euro geschätztes Landhaus.

Dort fanden Fahnder einen großen Teil der Beute. Die Betonung liegt auf "Teil". Dass sie bis heute nur etwa die Hälfte des geraubten Geldes entdeckt hat, wurmt die Polizei. Und auch, dass es einigen Tätern gelang, sich ins Ausland abzusetzen.

Der Prozess gegen Fowler, sechs andere Männer und eine Frau, ist wohl nicht das letzte Kapitel des "Securitas Robbery". Auch das weckt Erinnerungen an den Postzugraub. Erst nach 35 Jahren Flucht, davon 30 in Brasilien, war Posträuber Biggs krank nach Großbritannien zurückgekehrt. Den größten Teil der Beute hatten er und andere flüchtige Täter ausgegeben.

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