Griechenland:Feuer, das auch das Vertrauen verbrennt

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Und was kommt nach dem Feuer? Auf der griechischen Halbinsel Peloponnes wächst zwischen Schutt und Asche die Sorge, wie es weitergehen soll.

Juan Moreno

Auf seinem rosafarbenen Shirt steht "Vip respect", er hat blonde, zum Zopf gebundene Haare, die Jeans waren vermutlich nicht billig, und sein Musik-Club an der Hauptstraße heißt "Konfusio". Vermutlich war er schon mal zum Surfen in Australien. Kostopoulos Athanasios ist 37, stellvertretender Bürgermeister von Andritsaina. Seit acht Monaten.

Mehr als 160.000 Menschen sollen in Griechenland durch die Waldbrände obdachlos geworden sein. (Foto: Foto: dpa)

In den Zeitungen stand, dass die Präfektur Ilia, in der Andritsaina liegt, die am schlimmsten betroffene Region in Griechenland ist. 38 der 64 Menschen, die während der Feuer gestorben sind, haben die Rettungskräfte hier gefunden. Athanasios' Chef, der Bürgermeister, läuft irgendwo in den Bergen herum. Er will es mit eigenen Augen sehen.

Vor sechs Tagen war dies noch das wunderschöne Hinterland der Halbinsel Peloponnes. Es gibt schöne Ferienwohnungen. Man kann über Hügel schauen, zum Baden ans Ionische Meer fahren, oder sich vorstellen, wie nicht weit von hier, in Olympia, die Olympischen Spiele erfunden wurden.

Reiche Athener verbringen hier gern den Sommer. Athen ist nur vier Stunden weg, aber es sieht aus, als sei es nicht der selbe Planet. Verkohlte Straßenschilder, verbrannte Autos, schwarzes, verbranntes Gestrüpp, das mal ein Baum war. Besucher, die über die Aschefelder laufen, fangen irgendwann an wegen der schlechten Luft zu husten. Menschen, die hier ihre Kindheit verbracht haben, fangen vermutlich an zu weinen. Wahrscheinlich reicht es, Zeitung zu lesen.

Es gibt nur Schätzungen, keine offiziellen Zahlen. 160.00 Menschen obdachlos, 4500 Häuser, 60.000 Schafe und Ziegen, 4,5Millionen Olivenbäume, alles verbrannt.

Kostopoulos Athanasios sagt, dass darüber er nicht nachdenken will. Vier Fünftel der Gemeindefläche sind verbrannt, da gibt es nicht viel nachzudenken. Er steht da, der Stellvertreter, der ehemalige Musikclub-Besitzer, in dem winzigen Büro im Rathaus, und wird gefragt, was aus dem Orangensaft wird, den das Rote Kreuz geliefert hat.

Athanasios antwortet nicht gleich. Viehfutter wäre nicht schlecht. Seine Wähler leben von Viehzucht und von den Touristen. Jetzt sind die Berge verbrannt. Man mag sie weder anschauen, noch Schafe raufschicken, gibt nichts mehr zu fressen. Aber von den vielen Griechen, die den Leuten hier helfen wollen, Viehfutter verlangen, geht doch nicht. Aber vielleicht geht es doch. Eigentlich hat er keine Antworten. Nicht für sein Dorf. Nicht für den verfluchten O-Saft.

Premierminister Kostas Karamanlis hat vor einigen Tagen den nationalen Notstand ausgerufen. Der Minister für Öffentliche Ordnung, dem die Feuerwehr untersteht, hatte ihm von immer neuen Feuerherden berichtet, von 30 Feuerfronten, manche 20 Kilometer breit, Flammen, die mehr als 100 Meter hoch standen und sich durch den starken Wind schneller als Autos durch die Landschaft fraßen. Griechenland brannte. Der nationale Notstand war das Mindeste.

"Bin zu müde zum Schimpfen"

Was Feuer vermag. Es kann eine Windschutzscheibe schmelzen als sei sie Fonduekäse, es kann Leute verbrennen, die Meter entfernt stehen, es kann vor allem so tun, als sei es erloschen. Es kann warten. Lange war das das größte Problem. Etwas Wind, und die Glut erinnert sich, dass sie mal ein Feuer war. Man kann in einigen Tagen so viel Wasser versprühen, wie man will. Die Brände kann man löschen, jede einzelne Glut nicht. Manchmal muss man dem Feuer etwas geben.

Von Michalis Trochlias nahm es die Felder, seine Tiere, das Auto. Aber nicht das Haus. Trochlias ist gerade beim jungen Bürgermeister. 3000 Euro Hilfe bekommt jeder Betroffene von der Regierung. 10.000, wer sein Haus verloren hat. Trochlias sagt, es sei ein Anfang.

"Bin zu müde zum Schimpfen." Es klingt wie ein Entschuldigung. Er ist Bauer in Sekoula, einer kleinen Ortschaft, die von Flammen umzingelt war. Er sieht nicht besonders gut, genau genommen ist er fast blind. Darum mussten vor allem sein Sohn und seine Frau ihr Haus verteidigen. Er tat, was er konnte. Der Junge ist 16. Drei Tage hat es gedauert. "Immer wieder ist mein Sohn aufs Haus geklettert und hat das Dach nass gemacht, dann die Außenwände. An sieben Stellen zur gleichen Zeit kam das Feuer. Aber der Junge hat durchgehalten."

Er hat ihn jetzt nach Athen geschickt. Er soll sich erholen. Wer Probleme mit der Atmung hat, soll nach Athen, hat der Arzt gesagt. 3,8 Millionen Einwohner, ständiger Smogalarm, wegen der guten Luft nach Athen, klingt wie ein Witz. Aber es ist ein gutes Zeichen. Es wird besser.

Und die Politiker streiten

Seit Mittwoch melden die Feuerwehrleute, dass sie langsam die Sache im Griff haben. Menschen seien keine mehr in Gefahr. Wenn die Feuer aus sind, wird ungefähr Land in der Größe Luxemburgs verbrannt sein. Zweimal Berlin. Im griechischen Fernsehen reden sie seit Tagen von nichts anderem.

Irgendjemand muss den Fernsehmachern gesagt haben, dass es sehr investigativ wirkt, wenn man mehrere Gesprächspartner gleichzeitig zeigt. Also wird das Fernsehbild in kleine Kästen unterteilt, man sieht die Köpfe von sechs Gesprächspartner. Drei oben, drei unten. Journalisten, Politiker, Feuerwehrsprecher. Manchmal wird noch jemand per Telefon zugeschaltet.

Dann reden sieben Leute gleichzeitig. Im Hintergrund Live-Bilder der Brände, Feuerwalzen, die sich Häuser nähern. Ein Großbrand ist immer im Bild, auch wenn es um etwas anderes geht. Die Journalisten streiten. Die Konservativeren stützen die Regierung. Das Problem sei einfach zu groß, um es schnell zu lösen, zu viele Brände.

Opposition hält die Regierung für inkompetent

Jemand sabotiere das Land. An einen Angriff "von außen" glauben dennoch die Wenigsten. Der Minister für Öffentliche Ordnung hatte das zu verstehen gegeben. Die anderen Minister sind anderer Meinung, glauben aber auch, dass es kein Zufall sein kann und man alles tue, was möglich sei.

Die Opposition hält die Regierung für inkompetent, das Frühwarnsystem für einen schlechten Scherz und die Einsatzkoordination für miserabel. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit dazwischen. In gut zwei Wochen sind Wahlen.

Am Mittwoch haben in Athen 10.000 Menschen gegen die Tatenlosigkeit der Regierung demonstriert. Die Regierungspartei Nea Dimokratia liegt in Umfragen knapp vor der sozialistischen Pasok. Die Griechen werden entscheiden, wem sie mehr glauben.

Gerade haben die meisten aber andere Sorgen. Viele, sehr, sehr viel wollen helfen, nicht nur fernsehen. Wenn es jemanden in Griechenland gibt, der ein Symbol für Hilfe ist, dann Yannopoulos Costas. Die meisten Griechen kennen ihn, die meisten vertrauen ihm mehr als Politikern.

Costas ist ein kleiner, runder Mann, mit kleinen Augen, die er auch zusammenkneift, wenn er nicht in der Sonne steht. Die letzten Stunden hat er im Generalhospital "Andreas Papandreou" in Pirgos verbracht. Pirgos ist die Hauptstadt der Präfektur Ilia.

Viele Verletzte vom Peleponnes sind hierher gekommen. Costas hat die Hilfsorganisation "To Hamogelo tou Pediou" gegründet, "Das Lächeln des Kindes". Sein eigenes Kind ist vor einigen Jahren gestorben, und kurz ehe es starb, musste Costas ihm versprechen, sich in Zukunft um andere Kinder zu kümmern.

"Ich frage mich, was aus den Kindern wird"

Costas hat nie wieder etwas anderes gemacht. Er hat gerade mit Leuten vom Roten Kreuz und dem Klinikchef Hilfsmaßnahmen koordiniert. "Auch wenn das hart klingt, was wir jetzt brauchen, sind keine milden Gaben, kein Essen, keine Kleidung. Die Menschen hier sind keine Bettler, die kommen schon klar die nächsten Tage." Es gehe nicht um heute. Heute braucht Costas keine Hilfe. Auch nicht morgen, das Problem sei immer dasselbe, das Problem komme übermorgen.

Die Menschen bräuchten Hilfe, ihr Haus aufzubauen, die Olivenbäume zu retten, Vieh anzuschaffen, Hilfe, das aufzubauen, was sie ernährt hat. "Gerade bin ich mit einem Psychologen-Team aus Artemida gekommen. Und ich frage mich, was aus den Kindern wird, wenn die groß sind."

Artimida ist ein Synonym für das Feuer in Griechenland geworden, so wie Eschede eines für Zugunglücke. 23 Menschen sind in Artimida gestorben. Sie alle holte das Feuer auf der Flucht ein. Schnell wie der Wind, exakt das war die Geschwindigkeit des Feuers. Sie hatten eine Wagenkolonne gebildet, als sie merkten, dass sie möglichst schnell weg mussten. Gemeinsam, dachten sie, wäre es einfacher.

Sie versperrten den einzigen Rettungsweg

Rasend hatte sich das Feuer um das Dorf gefressen, nur die asphaltierte Hauptstraße war frei. Leider nur in eine Richtung. Sie fuhren los. Der Rauch machte es fast unmöglich, zu sehen. Darum sah man im ersten Auto nicht den Feuerwehrwagen. Er sollte sie retten. Der Lkw und das Auto knallten zusammen, und blockierten den einzigen freien Weg. Einige versuchten, zu Fuß weiter zu kommen. Einige blieben im Auto. Nur zwei überlebten.

"Ich frage mich, was aus den Kindern von Artimida wird", sagt Costas. Er hat den Morgen mit einigen verbracht. Erst wollten sie nicht reden, dann hörten sie nicht mehr auf. "Ich muss da noch häufiger hin." Vielleicht gelingt es ihm ja, zu erklären, dass nur Häuser, Felder und Bäume verbrannt sind, aber nicht die Zukunft, nicht die Hilfsbereitschaft der Griechen.

Costas ist ein sehr engagierter Mann, einer, dem man gerne zuhört, weil er so etwas wie Zweifel nicht akzeptiert. Vielleicht glauben ihm die Menschen ja.

© SZ vom 31.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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