Grand-Prix-Vorentscheidung:Kein bisschen Frieden

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Deutschland sucht den Schlagerstar - diesmal lässt es die ARD zusammen mit dem Musikkanal Viva poppig angehen. Den alteingessenen Fans wird das nicht passen.

Von Hans Hoff

Sabrina sagt bei Viva, dass sie sehr stolz ist. Sabrina sagt auch, dass ihr aktuelles Album das beste ist, was sie bisher veröffentlicht hat, dass ihr Team ganz toll ist und dass sie sich trotz des ganzen Erfolges unbedingt treu bleiben will. Was man halt so an Leerformeln von sich gibt, wenn man im Popgeschäft Platten verkaufen will.

Nicole mit Ein bisschen Frieden war vorgestern, Sabrina Setlur (Foto) aber ist heute - und vielleicht auch morgen, wenn in Istanbul Europas Beste zu küren sind. (Foto: Foto: AP)

Sabrina Setlur schaut auch ein Video mit Sangeskollegin Nicole und erzählt, dass sie das damals nicht so fett fand, als der Ralph-Siegel-Schützling Ein bisschen Frieden forderte und damit für Deutschland den Grand Prix Eurovision de la Chanson gewann. Aber Nicole war vorgestern, und Sabrina ist heute. Möglicherweise ist Sabrina auch morgen, wenn sie nämlich am 19. März in Berlin die nationale Vorausscheidung für den inzwischen zum Eurovision Song Contest mutierten Schlagerwettbewerb gewinnt und im Namen der Nation zum Finale nach Istanbul darf. Sabrina darf, was Ralph Siegel & Co. verwehrt bleibt - in diesem Jahr steht nicht mehr fast jedem die Tür zum Vorentscheid offen.

Eine Gemeinschaft wählt nach neuen Regeln

Nun befindet über die grundsätzliche Grand-Prix-Chance eine Gemeinschaft aus Plattenkonzernen, dem Musiksender Viva und dem zuständigen ARD-Beauftragten Jürgen Meier-Beer, dessen Verbund dann die Endwettkämpfe zeigen wird. Bei der ganzen Zeremonie wird nicht mehr wie früher Wert darauf gelegt, das Herkunftsland möglichst authentisch und in der Heimatsprache zu repräsentieren, vielmehr zählen die internationalen Chancen. Nur jenen Künstlern, denen das Potenzial zugetraut wird, auch auf europäischer Bühne punkten zu können, wird überhaupt die Gnade beschieden, im Viva-Programm auftauchen zu dürfen - und ohne Viva kommt man auch nicht in die ARD, wo es am 19. März heißt: Germany 12 Points!

Schimpfendes Stammpublikum

Natürlich hat die neue Regel die üblichen Verdächtigen zum Protest genötigt. All jene, die den Grand Prix jahrzehntelang als angestammtes Beuterevier ansahen und die nun außen vor sind. Sie schimpfen. Entsprechend fällt auch die Gegenwehr aus, wobei ARD-Koordinator Meier-Beer den echauffierten Nationalhithüter Dieter Thomas Heck schon des "Vaterlandsverrats" zieh und analysierte, dessen Leitkultur würde unweigerlich in die Niederlage führen. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass es beim Grand Prix nicht in erster Linie um Musik, sondern eher um die Schaumschlägerei am Spielfeldrand geht.

Tummelplatz für Profilneurotiker

"Darf der für Deutschland singen?", lautete die Frage, als Guildo Horn 1998 antrat. Die darauf folgende Debatte erweckte den lange komatösen Wettbewerb aus deutscher Sicht zu neuem Leben. In den Folgejahren wurde der Grand-Prix-Vorentscheid zum Tummelplatz für Profilneurotiker aller Art, von Stefan Raab über Zlatko bis Rudolf Moshammer.

Immerhin bescherte die alljährliche Versammlung von musikalisch bewaffneten Verhaltensauffälligen den Ausrichtern eine derartige Medienresonanz, dass kaum jemandem auffiel, wie sich da lediglich eine Prinzessin über eine Erbse beschwerte. Unterstrichen wurde das noch, als der entsandte Beitrag im vergangenen Jahr wieder mal scheiterte - und parallel Deutschland sucht den Superstar Quote machte. Prompt sahen die öffentlich-rechtlichen Macher das DSDS-Quotenzeichen auch im eigenen Auge glänzen und ersannen das neue Konzept.

In Deutschland top, in Europa hopp

Viva! Europa, wir kommen! Leider hatten sie übersehen, dass nicht alles, was die Teens hierzulande zum Televoting treibt, auch die jungen Menschen in anderen Ländern motiviert, wie die bittere Niederlage von "Superstar" Alexander Klaws beim internationalen Vergleich der DSDS-Sieger aus den einzelnen Ländern belegte. Der Arme, bei RTL noch ein Held, wurde Vorletzter.

Viva macht die Vorarbeit

Aber noch hoffen die ARD-Strategen und lassen Viva die werbliche Vorarbeit erledigen. Jede Woche wird dort in der Sendung Euroclash ein Bewerber vorgestellt. Im Prinzip ähnelt das einem 30-minütigen Werbeclip für den jeweiligen Künstler. Am Montag, zum Auftakt, stellte Sabrina Setlur ihre Ansichten und ihren Wettbewerbstitel Liebe vor, der nach Ansicht ihres Entdeckers Moses Pelham natürlich das beste Stück ist, das Sabrina je geschrieben hat.

Zusätzlich zog Viva-Reporterin Sarah los und entdeckte schwer investigativ jenes italienische Lokal, "wo sich Sabrina die eine oder andere Nudel hinters Ohr hängt". Das sollte ironisch wirken, erweckte aber eher ein wenig Mitleid für eine Jungjournalistin, die über jemanden berichten muss, dem sie in der ganzen Sendung kein einziges Mal begegnet ist.

In den nächsten Wochen stellen sich bei Euroclash die lieben Kollegen von Schwester S. vor, zu denen Scooter, Mia, Westbam, Wonderwall, Laith Al-Deen und die aus der Pro-Sieben-Castingshow Popstars hervorgegangene Formation Overground gehören. Der erhoffte Glamour soll die Herzen der Zuschauer rühren und zum Mitwählen bewegen.

Bis zum 19.März ist zudem noch mit etlichen Skandälchen zu rechnen. Die sollen übertünchen, dass es sich nach wie vor doch nur um einen pieseligen Schlagerwettbewerb handelt, für dessen mediales Beiwerk am besten noch eine im Sabrinas Liebe-Gesang implantierte Forderung gilt: "Ich bitte dich von Herzen, Bruder, stopp den Shit!"

© SZ v. 14.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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