Gewaltexzesse unter britischen Jugendlichen:"Bring ihn um, bring ihn um!"

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Eine Welle von Gewalt unter Jugendlichen erschüttert das britische Königreich. Messerstechereien und Morde scheinen an der Tagesordnung zu sein. Die Briten sind schockiert, Politiker und Sozialarbeiter ratlos.

Wolfgang Koydl

Eher lachhaft klingt der Vorschlag, den die britische Regierung vor einiger Zeit gemacht hat: Die Messer-Industrie des Landes sollte - freiwillig oder per Gesetz - dazu gebracht werden, künftig nur noch Messer mit abgestumpften Spitzen zu produzieren.

Nur auf diese Weise, so das kleinlaute Eingeständnis Londons, könne man der Welle von Messerstechereien und Morden im Lande Herr werden. Zusätzlich lief eine - von erfahrenen Polizisten als weltfremd eingestufte - Kampagne, in der Jugendliche aufgefordert wurden, ihre Stichwaffen abzuliefern.

Angesichts der Statistik allerdings erstickt das Lachen im Halse: Allein in der vergangenen Woche wurden zwischen Southhampton und Manchester acht Menschen erstochen - darunter ein Pfarrer auf der Schwelle seines Pfarrhauses sowie eine Behinderte und ihre Pflegerin.

Immer jüngere Opfer und Täter

Inzwischen scheint es kaum mehr eine Stadt im Königreich zu geben, kaum mehr einen Stadtteil, der sicher wäre vor solchen und ähnlichen Gewalttaten. Und Opfer wie Täter werden immer jünger.

Die weitaus meisten Opfer sind schwarze Teenager, die von Gleichaltrigen getötet werden. Das vorläufig jüngste Opfer verblutete vergangenen Samstagabend auf einer Straße im Ost-Londoner Stadtteil Plaistow. Er war im Kino gewesen und auf dem Heimweg, als er von zwei Unbekannten überfallen und niedergestochen wurde.

Die Beschreibung des Jugendlichen könnte auf viele der anderen jungen Männer zutreffen, die Opfer von Messerattacken werden: Er war schwarz, groß für sein Alter, er trug weiße Nike-Sportschuhe - und er war erst fünfzehn.

Damit dürfte er etwa genauso alt gewesen sein wie die mutmaßlichen Täter. Die Jungen beispielsweise, die erst am vergangenen Donnerstag im West-Londoner Stadtteil Hammersmith den 16-jährigen Oberschüler Kodjo Yenga mit Baseball-Schlägern, Hämmern und Messern die Straße entlang jagten, auf ihn eindroschen und ihn dann mit einem Stich ins Herz töteten, waren selbst nur zwischen 13 und 16 Jahre alt.

Guter, christlicher Junge

Angefeuert wurde die Bande von Freundinnen, die "kill him, kill him!", also "bring ihn um, bring ihn um!", schrien. Die mutmaßlichen Täter konnten festgenommen und einem Haftrichter vorgeführt werden, zu ihren Motiven gibt es noch wenig Aussagekräftiges.

Kodjo, dessen Freunde und Schulkameraden am Samstag in London einen Protestmarsch gegen die Gewalt organisierten, wurde als ruhiger, unauffälliger Junge beschrieben. Seine Mutter bezeichnete ihn als "guten christlichen Sohn", sein Klassenlehrer als "freundlich, sanft und friedfertig".

Vor einigen Monaten freilich sprach er im Musiksender MTV über die Messerstechereien: "Ich glaube, es ist schlimmer geworden", sagte er, "aber die Medien machen es größer als es wirklich ist." Seine Mutter hat ausgesagt, dass Kodjo nie einer Bande angehört hat; doch seine Freunde wiedersprechen: "Jeder hier muss einer Bande angehören, anders geht es nicht", erklärte ein Jugendlicher.

Ohne gute Gründe

Politiker und Sozialarbeiter sind ratlos. Stadtrat Pearson Shillingford aus Plaistow meinte, die Teenager könnten "keine guten Gründe" angeben, weshalb sie Messer hätten.

Der Pfarrer William Lamptey, der mit Jugendlichen in der Gegend arbeitete, führte das Phänomen pauschal auf "die generelle Jugendkultur" zurück, und der Sozialarbeiterin Juliette Betton-Green fiel nur ein, dass "wir eine Antwort auf dieses Problem der Gewalt finden müssen".

© SZ vom 19.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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