Gesellschaft:Ich will nicht aussehen wie meine Mutter

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Schönheitschirurgen werden in den kommenden Jahren viel zu tun haben: Geliftet sein gehört schon zum guten Ton.

Von Cathrin Kahlweit

Ein Unterhosenhersteller präsentierte in den vergangenen Wochen auf Plakatwänden quer durch Deutschland drei Grazien in Stringtangas, gegen die Aphrodite, Athene und Hera nur Hutzelweibchen gewesen wären: hüftlanges Haar, makellose Haut, schmale Taille, perfekt gerundeter Po, überlange Beine.

Da kann man schon mal neidisch sein. Neu ist der Trend zur OP. (Foto: N/A)

Keine Frau der Welt sieht so aus, und noch viel weniger würden sich gleich drei Göttinnen finden lassen, die jedes Idealmaß übersteigen - und doch oder gerade deshalb blieb wohl jede Frau auf dem Weg zur U-Bahn, jedes Mädchen auf dem Weg zur Schule vor dem Plakat stehen und dachte: "Mein Gott, warum sehe ich nicht so aus?"

Nicht von ungefähr lautete der Werbeslogan zum Bild "It's paradise", und tatsächlich sind Grazien wie diese natürlich am Computer gestreckt und geschönt.

Jeder Blick in ein Freibad im Sommer, jeder Blick in eine öffentliche Sauna beweist, dass kein Mensch, keine Frau so geboren ist, wie die Schönheitsindustrie sie zeichnet.

Alles geht - alles wird gemacht

Aber weil mittlerweile alles geht, wird auch alles gemacht - denn nicht nur die Computertechnik, sondern auch die Schönheitschirurgie hat sich rasant entwickelt: Da wird abgesaugt und geraspelt, unterspritzt und geliftet, was das Zeug hält, da werden Beine gebrochen und verlängert (China), da werden Augen gerundet und europäisiert (Japan), da werden Popos gepolstert (Brasilien) und Zentner Fett abgesaugt (USA), da werden Polöcher gebleicht (Homosexuelle), Schamlippen angehoben (Prostituierte), Stimmbänder geliftet (Radiosprecher), Augenlider gestrafft (Berlusconi), Ganzkörperinstallationen zusammengebaut (Schauspielerinnen).

In amerikanischen Großstädten fahren mittlerweile Busse durch die Straßen, aus denen Ärzte mit Flyern und Fotos herausklettern und Passanten ansprechen, ob sie nicht Lust hätten auf ein bisschen Botox, eine kleine Lippenauspritzung?

Geht schnell und kostet wenig. Eine ganze Industrie hat sich etabliert, die pro anno etwa 10 Millionen Kunden bedient; die Zahl der Schönheitsoperationen ist dort in den vergangenen fünf Jahren um 228 Prozent gestiegen.

Individualität ist out, Hollywood in. Immer häufiger hören die Ärzte: "Machen Sie mir eine Nase wie Nicole Kidman." Oder "Ich will einen Mund wie Angelica Jolie." Vor einer Weile litt das ganze Land mit, weil sich ein Zwillingsbrüderpaar vor laufender Kamera in zwei Brad Pitts umoperieren ließen.

Das gelang nicht, aber immerhin: Postoperativ sahen die beiden weniger unansehnlich aus als vor der OP.

"Mein Gott, warum seh ich nicht so aus?" (Foto: Foto: Reuters)

Auch in Deutschland hat sich die Zahl der Schönheitsoperationen in den letzten zehn Jahren verdreifacht, nach Schätzungen liegt sie bei knapp einer Million Eingriffe im Jahr.

Live-Operation

Nun schließen sich der Boulevard und die Landesmedienanstalten in Empörung zusammen, um die Live-Operationen in Sendungen wie "I want a famous face", "Alles ist möglich" oder "The Swan", die sich in unterschiedlich aufklärerischer Absicht mit Brustvergrößerungen und Lidstraffungen befassen wollen, zu verdammen.

Bild über eine Brust-OP auf RTL: "Schwere Vorwürfe und wichtige Fragen - wurde Michaela ein schiefer Busen operiert?"

Dabei ist es für jede Empörung längst zu spät. Kenntnisreiche Zweifler warnen zwar immer noch vor Misserfolgen, vor Narbenbildung und explodierenden Implantaten.

Ethiker rufen zur Wahrung der menschlichen Würde auf und zum Erhalt der Individualität. Praktiker merken an, ähnliche Erfolge wie mit den Eingriffen seien oft mit ein paar Sit-Ups und ein bisschen Joggen zu erreichen.

Deutsche Mediziner warnen vor der Reise ins Ungewisse, nach Tschechien oder Ungarn. Renommierte plastische Chirurgen warnen vor der Deformation junger Körper - aber das alles verhallt ungehört.

Machen Sie das weg!

Tatsächlich sind weit mehr Frauen - und mittlerweile auch weit mehr Männer - in unser aller Umfeld geliftet und "harmonisiert", wie moderne plastische Chirurgen ihr Handwerk nennen, als man ahnt.

Man sieht es nur nicht, denn in der Regel sind die OPs gut gemacht. Freaks wie Farah Fawcett, die mit schmaler Nase, dicken Lippen und aufgerissenen Augen herumläuft, oder Goldie Hawn, die wegen ihrer aufgespritzten Lippen kaum noch sprechen kann, sind die Ausnahme.

Ach was, geliftet sein gehört zum guten Ton, selbst im politischen Berlin ist es nicht mehr tabu, wie man hört. Und wo es nicht zum guten Ton gehört, da ist die billige Variante, sind die dicken Busen und die kleinen Bauchnabel Teil der Jugendkultur der Vorstädte und der Disco-Queens.

Fast ein Fünftel aller befragten Schüler in Nordrhein-Westfalen gab in einer Umfrage an, sie würden sich später mal in einer Schönheits-OP Fett absaugen lassen.

Ein Viertel aller Patientinnen deutscher plastischer Chirurgen ist mittlerweile weniger als 25 Jahre alt: Dieses Viertel erschreckt nicht mehr, wenn im Fernsehen ein Chirurg seine Finger in eine blutige Wunde am Busen steckt, um die Silikonpolster zurechtzurücken; dieses Viertel hat das am eigenen Leib erlebt.

Es ist eine Lebenslüge, behaupten zu wollen, die deutsche Frau denke in ihrer Mehrheit nicht an Schönheitsoperationen. Die große Mehrheit denkt nicht nur, sie plant schon, wie sie unauffällig ein paar Tage frei nehmen kann, um zumindest Augenlider und Tränensäcke machen zu lassen.

Muss ja keiner wissen. Der Münchner Schönheitschirurg Hans-Leo Nathrath erzählt, die meisten Patientinnen kämen, zeigten auf ihre Labialfalten oder ihr Hängekinn und riefen verzweifelt: "Machen Sie das weg. Ich will nicht aussehen wie meine Mutter!"

Mit Blick auf die wachsende Lebenserwartung der Mütter werden plastische Chirurgen in den nächsten Jahrzehnten viel zu tun haben.

© SZ vom 21.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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