Geiseldrama von Münster:Kuchen und Bier für den Kidnapper

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Die Befreiung der 13-jährigen Wai Wai Hu durch die Polizei war eine psychologische Meisterleistung. Nach 40 Stunden Martyrium wurde das Mädchen ohne Blutvergießen befreit. Ein Schusswechsel schien bis zuletzt möglich.

Ein Dutzend Polizisten umringten den schwarzen Wagen, die Pistolen im Anschlag, die Mündungen auf die Scheiben des Autos gerichtet. Immer mehr Streifenwagen kommen herbeigerast, Beamte sprinten über die Straße auf den Parkplatz der Autovermietung an einer Ausfallstraße von Münster: Am späten Montag hatte die Polizei den Geiselnehmer von Wai Wai Hu aus dem niederländischen Grenzort Rekken nach einer wilden Verfolgungsfahrt durchs Münsterland eingekeilt.

Mehr als sechs lange Stunden sollte es dauern, ehe der Kidnapper (37) endlich die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens einsah und das Messer niederlegte. Mit der Waffe hatte er das Mädchen am vergangenen Sonntag in Rekken bedroht und anschließend in seinen Wagen gezerrt. Dann hatte er das Kind sexuell missbraucht.

Äußerlich seien auf den ersten Blick keine Verletzungen bei ihr zu erkennen, sagt ein Polizeisprecher. Das Mädchen wurde am Dienstag psychologisch betreut und in einem Krankenhaus untersucht. Aber: "Das Kind hat schreckliche Bedrohungen und Verletzungen erlebt und leidet nun unter massiven Angstzuständen", meinte der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

"Unsere Taktik ist aufgegangen"

Polizeipsychologen hatten die ganze Nacht hindurch stundenlang beruhigend auf den Geiselnehmer geredet, berichten Augenzeugen. Schokolade, Kuchen, Bier sollen sie ihm gebracht haben, um den Mann weich zu kochen. "Unsere Verhandlungstaktik ist aufgegangen", sagte ein Polizeisprecher. Ziel sei es gewesen, die Geiselnahme ohne Blutvergießen zu beenden.

"Die Psychologen haben ihm aber auch klar gemacht, dass er keine Chance hat, wenn er nicht aufgibt", sagt Dominik Drohmann, ein Nachbar. "Es war wie im Fernsehen, nur besser", sagt er - "eine Meisterleistung". Drohmann hatte zusammen mit einem Kumpel das Szenario per Fernglas verfolgt.

Am Morgen wurde den Beobachtern von Polizisten beschieden, in einen rückwärtigen Raum der Wohnung zu gehen. Ein Schusswechsel schien offenbar möglich. Insgesamt hatte die Polizei in der Nacht zum Dienstag mehrere hundert Beamte aus der gesamten Umgebung zusammengezogen. Darunter waren auch Spezialeinsatzkräfte und Polizisten aus den Niederlanden.

Der Geiselnehmer war vor zehn Jahren nach Polizeiangaben schon einmal als Entführer aufgetreten, damals wohl von einem Freund zur Aufgabe bewegt worden. Diesmal hatte er laut Augenzeugen nach seinen Eltern verlangt.

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