Geburt nach Hirntod:Ein Leben nach dem Tod

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Am Wochenende kam in Italien ein Baby per Kaiserschnitt zur Welt, dessen Mutter bereits seit zweieinhalb Monaten tot war. Doch der Fall ist nicht unumstritten.

Stefan Ulrich

Cristina Nicole ist erst drei Tage alt, sie wiegt nur 650 Gramm, doch sie kämpft schon mit großer Kraft um ihr Leben: "Wenn alle Frühgeburten so reagieren würden, könnten wir Ärzte ruhiger schlafen", sagte ein Mediziner der Niguarda-Klinik in Mailand. "Es wirkt fast, als wolle das Mädchen all die Mühen rechtfertigen, die unternommen wurden, damit es zur Welt kommen konnte."

Der Arzt sprach von Mühen - die italienischen Zeitungen schreiben von einem "Wunder". Denn als das Baby am Wochenende per Kaiserschnitt geboren wurde, war seine Mutter bereits seit zweieinhalb Monaten tot. Das Mädchen wuchs in einer Leiche heran, die künstlich ernährt und beatmet wurde.

Es ist der erste derartige Fall in Italien und der elfte weltweit. Der Vater, ein 30-jähriger Techniker, sagte nach der Geburt: "Meine Tochter verdanke ich meiner Frau, Gott und den Ärzten. Das Mädchen ist nun mein Leben."

Das Wunder um Cristina Nicoles Geburt begann am 24. März. An jenem Morgen machte sich die Mutter, eine 38 Jahre alte Kosmetikerin, fertig zur Arbeit. Sie wollte noch schnell einen Espresso trinken, als sie plötzlich zu Boden fiel. Ihr Lebensgefährte Toni rief sofort ein Rettungsteam, doch als Cristina, wie die Frau hieß, ins Krankenhaus eingeliefert wurde, waren bereits keine Gehirnströme mehr zu messen. Sie war an einer plötzlichen Gehirnblutung gestorben. Das 17 Wochen alte Kind in ihrem Leib aber sollte unbedingt weiterleben, beschlossen ihr Partner Toni und ihre Eltern. Also beauftragten sie die Ärzte, alles zu tun, um das Mädchen zu retten.

Streicheleinheiten für den leblosen Bauch

Die Mediziner taten alles. Sie legten Cristinas Körper in einen abgedunkelten Raum der Intensivstation und versorgten ihn mit allem, was notwendig war, damit sich das Kind entwickeln konnte. 78 Tage lang kümmerten sich Gynäkologen, Reanimationsspezialisten, Ernährungsexperten und Physiotherapeuten um die schwangere Tote.

Und 78 Tage lang bemühten sich deren Angehörige darum, so etwas wie eine normale Schwangerschaftsatmosphäre zu schaffen. Sie hielten am Krankenbett Wache, streichelten den Bauch Cristinas und sprachen mit ihr, damit das Baby die Stimmen hörte.

Eigentlich sollte es so noch mindestens bis zur 32. Schwangerschaftswoche weitergehen. Am Wochenende aber fiel der Blutdruck der Mutter stark ab. Das Baby geriet in Gefahr. Da entschlossen sich die Ärzte zu einer Notgeburt, die auch gelang. Und während Cristina Nicole die ersten Atemzüge tat, wurden die Geräte an ihrer Mutter abgestellt.

Der Vater war zwischen Tod und Leben hin- und hergerissen. "Ich gehe in die Aufbahrungshalle und weine", sagte er den Reportern vor dem Krankenhaus. "Und dann komme ich hierher zu meiner Tochter und bin plötzlich voller Freude."

Das Kind bleibt in Gefahr

In Italien ist der Fall nicht unumstritten. Während die einen von einem "Sieg des Lebens" sprechen, kritisieren andere, die Mutter sei wie ein "natürlicher Brutkasten" oder ein bloßer "Behälter" benutzt worden. Ein Mediziner wandte zudem ein, wenn eine Schwangere lebensgefährlich verletzt würde, erleide dadurch oft auch der Fötus schwere Schäden.

Tatsächlich gibt es aber nur wenige Vergleichsfälle, in denen eine seit Monaten tote Frau ein Kind gebar. So kam vergangenen August im amerikanischen Arlington das Baby einer gehirntoten US-Bürgerin zur Welt. Obwohl es sich in den ersten Tagen gut entwickelte, starb es bereits nach ein paar Wochen.

Auch die Ärzte in der Mailänder Niguarda-Klinik räumen ein, Cristina Nicole sei noch nicht außer Gefahr. Am Montag gaben sie sich dennoch optimistisch. Das Mädchen sei lebhaft und brauche keine Medikamente. Sein Herz schlage regelmäßig, die Atemhilfen seien bereits entfernt worden. Ob das Kind überlebt, werde man aber erst in etwa vier Wochen sicher sagen können. Die Mutter der toten Frau und Großmutter des Babys meinte: "Der Herr hat uns einen Menschen entrissen. Nun hoffen wir, dass er uns den anderen lässt."

© SZ vom 13.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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