Gemütlicheres als Gänsedaunen gibt es kaum. Leichtigkeit bei optimaler Wärmeleistung, verspricht die Bettwaren- und Kleidungsindustrie und wirbt oft auch mit Handarbeit. Die internationale Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" hat nun Belege gesammelt, die den Begriff Handarbeit relativieren: Gänsedaunen werden den Tieren mitunter bei lebendigem Leib ausgerupft, eine schmerzhafte Angelegenheit. Trotzdem haben renommierte deutsche Hersteller und Händler diese Ware wohl eingekauft.
Die Tierschutzorganisation hat den Weg der Daune nach Deutschland dank mehrerer Informanten nachgezeichnet. Ein Video, das Marcus Müller, Projektleiter bei "Vier Pfoten", am Computer vorführt, zeigt einen Arbeitstag auf einer Gänsefarm. Ein eingeschleuster Mitarbeiter hat es mit versteckter Kamera gedreht. Zu sehen ist, wie ein Arbeiter die aufgerissene Haut einer Gans zusammennäht.
Zuvor hat er dem Tier Federn und Daunen vom Leib und vom Hals gerissen, den Kopf der Gans hat er zwischen Stuhl und Oberschenkel fixiert. Die dabei entstandene Wunde wird innerhalb von Sekunden grob geflickt, ohne Betäubung, ohne Desinfektion. Andere Tiere sind zu sehen, die nackt und apathisch auf dem Boden der Halle liegen.
"Lebendrupf" heißt diese Art der Gewinnung von Federn und Daunen. "Das ist eindeutig Tierquälerei und EU-weit verboten", sagt Karl Fikuart, Vorsitzender des Tierschutzausschusses der Deutschen Tierärztekammer. Es sei vergleichbar mit Haaren, die man einem Menschen vom Kopf reiße. Einzig erlaubte Ausnahme ist die Daunenernte während der schwer bestimmbaren Mauser-Zeit.
Im Sommer bot eine ungarische Farm dem Traditionshersteller Böhmerwald - Firmenslogan: "Betten, bayerisch, gut" - Daunen an. Verschiedene Angebote waren verzeichnet: Erster Rupf, Zweiter Rupf, Mutterrupf und Schlachtrupf. Letzteres ist aus tierärztlicher Sicht unbedenklich. "Die ersten drei Kategorien implizieren klar, dass die Daunen und Federn vom lebenden Tier gerupft wurden", sagt Tierarzt Fikuart, dessen Verband schon mehrmals mit "Vier Pfoten" zusammengearbeitet hat.
Dass überhaupt lebende Tiere gerupft werden, liegt an der Gewinnmöglichkeit: Zwischen acht und 20 Euro gibt es fürs Kilo Daunen, eine Gans bringt 150 Gramm. Mehrmaliges Rupfen steigert die Einnahmen. Außerdem ist Schlachtware durch den Einsatz von Maschinen eher beschädigt und mühsamer zu verarbeiten. Die Oberpfälzer bestellten den Tierschützern zufolge Daunen aus den ersten drei Kategorien.
Am 22. September 2010 kam in einem Lastwagen die erste Lieferung. Einige Wochen später kam noch einmal eine Delegation aus Ungarn mit Proben vorbei. Wieder war eine versteckte Kamera dabei. "Ist kein Schlachtrupf", erklärt die Verkäuferin. "Sie müssen aufpassen", erwidert Hubert Fuchs, Geschäftsführer von Böhmerwald. "Wir haben nämlich Riesenprobleme mit Lebendrupf. Das wird bei euch auch noch kommen. Ich kaufe von Ihnen offiziell immer nur Schlachtgänse." Er empfiehlt: "Erzählen Sie nichts von Lebendrupf!" Die Ungarn sollten es so machen wie andere Geschäftspartner: "Die Polen schreiben nur drauf: ,Weiße Gänse Rupf'. Aus. Fertig."
Fuchs räumt auf SZ-Nachfrage ein, dass er Ware aus Ungarn bekommen habe. Aber es sei Schlachtware gewesen, kein Lebendrupf. Er wolle artgerechte Tierhaltung. Die von ihm zur Verfügung gestellten Rechnungen enthalten das Wort Lebendrupf nicht, sondern Fachbegriffe, die Tierarzt Fikuart als verharmlosend einstuft. An den genauen Inhalt des Gesprächs könne er sich nicht erinnern, sagt Fuchs. Man habe über Lebendrupf gesprochen, das sei üblich in der Branche. "Es ist schließlich ein heikles Thema." In Zukunft will er sich die Ware stets von Tierärzten bestätigen lassen.
Ob das eine tiergerechte Daunenernte garantiert, ist fraglich. Auch die Firma Rohdex im bayerischen Unterschleißheim, ein Zwischenhändler, hat Ware von den Ungarn geordert. Auch hier liegen Mitschnitte vor, die nahelegen, dass die Einkäufer wussten, dass die Daunen von lebenden Tieren stammen. Rohdex sicherte sich jedoch ab - ein Tierarzt hat eine Bestätigung unterschrieben, dass die Daunen von ordnungsgemäß gehaltenen Gänsen stammen und während der Mauser gezupft wurden. Darauf verweist auch die Rechtsanwältin von Rohdex.
Die Mauser ist noch so eine begriffliche Besonderheit der Branche: Während Rohdex unter Verweis auf EU-Dokumente angibt, dass die Daunenernte während der Mauser zulässig sei, sagt Tierarzt Fikuart das Gegenteil. Sein Argument: Wer Tausende Gänse rupfe, könne überhaupt nicht Rücksicht nehmen auf die Mauser der Einzeltiere. Weitere vier deutsche Firmen haben nach Angaben von "Vier Pfoten" Interesse bekundet an den ungarischen Daunen, konnten aber nicht mehr bedient werden.
Wie viele und welche Produkte betroffen sind, ist unklar. "Wir gehen davon aus, dass allein in Ungarn im vergangenen Jahr 300.000 Tiere gerupft wurden", sagt Tierschützer Müller. Der Verband der Daunen- und Federindustrie spricht davon, dass zwei Prozent der Federn und Daunen von lebenden Tieren gewonnen würden. Der Verband hat "Vier Pfoten" aufgefordert, das Material zur Verfügung zu stellen, damit man Strafanzeige wegen Tierquälerei stellen könne.