Fußballfieber in Asien:Spielsüchtig nach Baros, Koller & Co

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Wenn es dunkel wird, verwetten Fußballfans in Asien mehrere Monatsgehälter darauf, dass Tschechien Europameister wird.

Von Manuela Kessler

Singapur - An der East Coast Road mitten in Singapur läuft die Europameisterschaft auf Hochtouren. Allerdings ein wenig anders als in Portugal: Die Füße der Stammspieler stecken in Gummischlappen, Nylonhemden spannen sich über ihre Bäuche.

Fußballfans jubeln in Bangkok über ein Tor der - inzwischen ausgeschiedenen - englischen Nationalmannschaft. (Foto: Foto: AP)

Die Männer, die sich in einer Garküche treffen, die ausschließlich Gemüsebrühe mit Tofu, Fischklößchen und Nudeln anbietet, haben alle schon bessere Tage gesehen.

Ihre auf den Fernseher gehefteten Augen sind verschwollen, die Gesten fahrig, die Stimmen rau. Kein Wunder, schließlich ist es tiefe Nacht, so gegen vier Uhr.

10.000 Dollar verwettet

Die für Singapur unmöglichen Anpfiffzeiten der EM und die enorme Spannung während der Spiele forderten und fordern ihren Preis: Viele Spieler sitzen vor leeren Bierflaschen und vollen Aschenbechern.

Der Fußball, um den sich in Portugal derzeit alles dreht, wirft eine halbe Welt entfernt große Schatten. Der Glatzkopf mit dem Goldzahn, vor dem sich Kürbiskernschalen türmen, hat während der EM bereits 10.000 Singapur-Dollar verloren, umgerechnet gut 4800 Euro.

Das ist so viel, wie er als Besitzer einer Autowerkstatt bestenfalls in zwei Monaten verdient. Seiner Frau hat er den Wettverlust noch nicht gestanden.

Das Glücksspiel ist in Fernost eine derart verbreitete Leidenschaft wie wohl nirgends sonst auf der Welt. Die Chinesen, die das Wirtschaftsleben in weiten Teilen des asiatischen Kontinents dominieren, sind die unbestrittenen Wettkönige.

Ferien im Casino

Das hat kulturelle Wurzeln: Der chinesische Konfuzianismus lehrt, dass der Himmel die Erdenbürger für Wohlverhalten belohnt. Alle tun sie mit.

Großmutter Teo trifft sich mit ihren Freundinnen einmal wöchentlich zum Mahjong, dem chinesischen Steinspiel um Geld. Elektriker Goh setzt im Lotto regelmäßig auf die Geburtstage seiner Kinder, Banker Lim gibt sich mit Kollegen am Wochenende im Turfclub ein Stelldichein, und Ärztin Chan verbringt die Ferien in den Kasinos von Las Vegas.

Die verbissensten Glücksritter von allen aber investieren derzeit alles in Fußballwetten.

Astronomische Wetteinsätze

Die Leidenschaft für das schönste Spiel der Welt ist neu und passiv. Das Satellitenfernsehen macht es möglich: Vier von fünf Fernsehern mit Kabelanschluss - insgesamt 150 Millionen Geräte - sind laut dem Sportkanal ESPN in Fernost eingeschaltet, wenn die englischen Meisterschaftsspiele über die Bildschirme flimmern.

Das Interesse für die Europameisterschaften in Portugal ist weit größer; man geht von astronomischen Wetteinsätzen aus. Den 4,2 Millionen Einwohnern von Singapur, die während der letzten Fußballweltmeisterschaft in Japan und Südkorea 60 Euro pro Kopf gesetzt haben - Kinder eingeschlossen -, stehen im Stadtstaat mehr als 300 Schalter offen, um legal Wetten zu platzieren.

Tschechien gilt dort mit einer Quote von 2,3:1 als wahrscheinlichster Sieger, gefolgt von Portugal mit 3,4:1 und den Niederlanden mit 3,85:1. Griechenland liegt mit 6,6:1 abgeschlagen am Schluss.

Das ganz große Geschäft läuft jedoch nach wie vor am Staat vorbei, dafür sorgen gut organisierte Syndikate, die keine Einsatzgrenze kennen und bessere Quoten offerieren.

Polizei im Sondereinsatz

Die Banden operieren über SMS, Internet und Laufburschen, die auf Motorrollern die Wetten einsammeln und die Gewinne steuerfrei überbringen.

Auf jeden Euro, der auf legalem Weg gesetzt wird, schätzt ein Brancheninsider, kommen in Fernost 1000 Euro, die durch verbotene Wettkanäle fließen.

Die Polizei steht während der Europameisterschaft in ganz Südostasien drei Wochen lang im Sondereinsatz. Thailand, wo fast alle Formen des Glücksspiels verboten sind, tut sich im Kampf gegen das organisierte Verbrechen hervor, so hat es Premierminister Thaksin Shinawatra befohlen.

Einer Erhebung der thailändischen Bauernbank zufolge dürften die 63 Millionen Einwohner des Königreichs nichtsdestotrotz 675 Millionen Euro verwetten, das sind 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Kapitale der Spieler

Die Spielsucht kennt buchstäblich keine Grenzen. Poipet, die wichtigste kambodschanische Grenzstadt zu Thailand, darf sich heute Kapitale der südostasiatischen Spieler nennen.

Der Reiseführer warnt, die Stadt sei ein einziger Sumpf, wo alle nur erdenklichen krummen Geschäfte abgewickelt werden: "Nur wer masochistische Züge besitzt, hält sich freiwillig in Poipet auf."

Vergeblich: Die Autos stauen sich am Grenzübergang. Der Fußball und die Roulettekugel lassen das Geld in den Kasinos klimpern.

© SZ vom 29.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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