Fünf Mädchen getötet:X the Ripper

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Eine beispiellose Mordserie sucht das britische Ipswich heim. Besorgt fragen sich vor allem die Frauen, ob die Polizei sie überhaupt schützen kann.

Wolfgang Koydl

Man muss schon eine sehr detaillierte Landkarte zu Rate ziehen, wenn man die A 45 finden will. Eine ausgebaute Durchgangsstraße ist sie nicht, aber manchmal eben die schnellste Verbindung zwischen Ipswich in der ostenglischen Grafschaft Suffolk und dem Hafen von Felixstowe, wo die ganzen Jobs sind.

Ein klassischer Schleichweg also, eine Route, die im allgemeinen nur Einheimische kennen und befahren, wenn die große A14 mal wieder verstopft ist.

Die unbekleideten Leichen, die in der beginnenden Abenddämmerung gefunden wurden, lagen nur wenige Meter neben dieser Straße - weggeworfen wie Müll. Man befürchtet, dass es sich um die beiden jungen Prostituierten Paula Clennell und Annette Nichols handelt, die seit Tagen vermisst wurden.

Fünf Mädchen wurden somit in den letzten zehn Tagen getötet, und Kriminalhauptkommissar Stewart Gull von der Suffolk Police übertreibt nicht, wenn er diese Mordserie als beispiellos bezeichnet. Weder Peter Sutcliffe, der berüchtigte Yorkshire Ripper, noch der legendäre Jack the Ripper im viktorianischen London haben so schnell und so häufig hintereinander zugeschlagen.

Vielleicht kannten die Opfer den Täter

Gulls Hände zitterten, als er die Entdeckung der beiden letzten Leichen vor der Presse bekannt gab, aber alle haben Verständnis für ihn. Schließlich steht ganz Ipswich unter Schock: Die verschlafene Kleinstadt nordöstlich von London hat noch nie Schlagzeilen gemacht, außer wenn - wie kürzlich - Königin Elisabeth und Prinzgemahl Philip auf dem Bahnhof der Stadt einen ganz gewöhnlichen Zug besteigen.

Sicher, es gibt Drogenkriminalität, Einbrüche, Diebstähle. Aber einen Serienmörder? Dass die beiden letzten Toten so nahe an der versteckten Nebenstraße entdeckt wurden, verstärkt die Beklemmung. Denn dieser Umstand könnte bedeuten, dass es sich bei dem Täter nicht um einen Fremden handelt, sondern um einen Einheimischen, der die Gegend gut kennt.

Und vielleicht kannten die Opfer ihren Mörder sogar. Dafür spricht die Tatsache, dass die beiden letzten Morde offenkundig zu einem Zeitpunkt begangen wurden, an dem bereits die Existenz eines Mörders bekannt war, der Prostituierten nachstellt. Besorgt fragen sich vor allem die Frauen in Ipswich, ob die Polizei sie überhaupt schützen kann.

Denn die beiden letzten Morde wurden verübt, obwohl seit der Entdeckung der Leichen von Gemma Adams, Tania Nicol und Anneli Alderton Polizisten durch die Stadt patrouillieren. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die Straßen verwaist; kaum jemand mehr traut sich vor die Türe.

Eine Frau, die ihren Namen nur mit Jean angeben wollte, fasste im Gespräch mit der BBC die Ängste zusammen: ,,Jede Frau hier stellt sich dieselbe Frage: Was geschieht, wenn ihm die Prostituierten ausgehen und er anfängt, andere Frauen zu attackieren?''

Der Gerichtspsychologe Ian Stephen hat eine Antwort auf diese Frage, aber sie ist alles andere als beruhigend: ,,Ich befürchte, dass das Frauenbild (des Täters) sich verschiebt und er in jeder Frau, die nachts alleine auf der Straße ist, eine Prostituierte sieht'', sagte er.

© SZ vom 14.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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