Friseure öffnen wieder:"Wir kennen Existenzangst nicht erst seit Corona"

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Für die Berliner Friseurin Lisa Zeitler ist Mindestabstand schwierig. (Foto: Double Studio)

Die Stylistin Lisa Zeitler über neue Regeln und alte Ängste.

Interview: Hannah Beitzer

Pfui! All diese Struwwelpeter! Aber jetzt öffnen ja die Haareschneider wieder. Die Friseurin und Stylistin Lisa Zeitler, 36, die in Berlin das "Double Studio" betreibt, eine Art Coworking Space für Friseure und Stylisten, erklärt, wie die Pandemie ihren Beruf verändert.

SZ: Frau Zeitler, Verzweifelte haben während des Lockdowns womöglich einigen Schaden auf ihren Köpfen angerichtet...

Lisa Zeitler: Ich bin bis Anfang Juni voll ausgebucht. Allerdings hoffe ich, dass nicht allzu viele meiner Kunden sich selbst die Haare geschnitten oder gefärbt haben. Ich habe ihnen jedenfalls immer geraten: Kauft Euch lieber eine neue Brille, einen neuen Lippenstift oder ein scharfes Haarband und wartet ab, anstatt in Eigenregie die Strähnchen aufzufrischen. Das kann schnell schiefgehen.

In Ihrem Beruf gehört Körperkontakt dazu - wie können Sie ihn nun überhaupt ausüben?

Es gibt verständlicherweise sehr viele Auflagen. Grundsätzlich dürfen so wenige Leute wie möglich in einem Raum sein und sie müssen untereinander eineinhalb Meter Abstand halten. Wir haben deswegen mit Klebeband Wege markiert, haben keinen Wartebereich mehr, sondern rufen die Kunden an, sobald sie reinkommen dürfen. Sie müssen sofort die Hände waschen. Wir dürfen keine Getränke mehr servieren, keine Zeitschriften anbieten. Und natürlich müssen wir ebenso einen Mundschutz tragen wie unsere Kunden.

Stichwort Maske: Ein Haarschnitt muss zum Gesicht passen. Ist es nicht schwer, den richtigen zu finden, wenn das halbe Gesicht verdeckt ist?

Die allermeisten meiner Kunden sind Stammkunden, da weiß ich, was zu den Leuten passt. Für mich ist ein anderer Aspekt entscheidender. Meine Arbeit ist ein Handwerk, das Fingerspitzengefühl erfordert. Ich arbeite mit Material, das zu jemand anderem gehört und will damit liebevoll umgehen. 1,50 Meter Abstand sind mit einem Haarschnitt schwierig zu vereinbaren, eine gewisse Nähe gehört dazu. Ebenso Getränke, eine entspannende Kopfmassage, ein Lächeln, nette Gespräche. Wegen Corona ist es schwer, eine angenehme Atmosphäre herzustellen. Ein Beispiel: Wenn ich den ganzen Tag eine Maske aufhabe, dann rede ich automatisch weniger, weil es viel zu anstrengend ist. Ich denke, in meinem Studio wird die Musik deswegen nun eine viel größere Rolle spielen.

Trotz aller Regeln können Sie in Ihrem Beruf nicht auf Körperkontakt verzichten. Haben Sie Angst vor Ansteckung?

Das ist eine schwelende Sorge, klar. Eigentlich rechne ich damit, dass ich mich irgendwann anstecke. Ich sage mir schon jetzt immer wieder: Du gehörst nicht zur Risikogruppe, du wirst es hoffentlich einigermaßen gut überstehen. Ich muss aber in Zukunft noch einen Weg finden, die Angst vor Ansteckung nicht zu sehr an mich heranzulassen. Einige meiner Kollegen haben sich schon vor dem Lockdown gar nicht mehr eingebucht. Die Sache ist aber: Keiner von uns hat so große Rücklagen, dass er es sich leisten kann, nicht zu arbeiten. Unser Beruf ist ja leider nicht gut bezahlt, wir kennen Existenzangst nicht erst seit Corona.

Wie sind Sie denn wirtschaftlich mit dem Lockdown zurechtgekommen?

Zu Beginn dachte ich: Das war's jetzt. Ich war dann sehr überrascht, wie gut das mit den wirtschaftlichen Hilfen funktioniert hat. Da ist mir bewusst geworden, wie privilegiert wir in Deutschland bei allen Schwierigkeiten doch sind - selbst wenn man in einem Handwerk wie meinem arbeitet, das leider keine große gesellschaftliche Wertschätzung erfährt.

© SZ vom 05.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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