Frankreich:Der süße Qualm der Laxheit

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Zwar gelten im Nachbarland die härtesten Drogengesetze Europas, aber angewendet werden sie kaum. Weiche Drogen sind unter jungen Franzosen genauso normal wie Alkohol.

Von Gerd Kröncke

Wenn es dunkel wird bei Stalingrad, kommen die Dealer, aber manchmal gehen sie auch am helllichten Tag ihrem Gewerbe nach. Hier ist, wenn man die Verhaltens-Codes kennt, alles zu haben, von Shit bis Crack und Heroin.

(Foto: Foto: dpa)

Stalingrad heißt eine Pariser Métro-Station, und es ist eine Gegend, die keinen Ruf mehr zu verlieren hat. Seit sich die Anwohner zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, schaut die Polizei öfter vorbei, um den Drogenhandel auf offener Straße einzudämmen.

Aber eigentlich braucht es den Straßenhandel mit Laufkundschaft nicht mehr. Wo jeder Schüler sein Telefon bei sich trägt, geht alles über Handy. Cannabis hat immer Konjunktur.

Beunruhigend ist die zunehmende Banalisierung, die selbstverständliche Verfügbarkeit der weichen Droge. Während auch in Frankreich das gewöhnliche Rauchen allmählich als verpönt gilt, ist es fast normal, sich für die Straffreiheit von Cannabiskonsum stark zu machen.

Zwar raucht inzwischen jeder dritte Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren normale Zigaretten, aber seit 1999, seit den drastischen Preissteigerungen und Anti-Tabak-Kampagnen scheint wenigstens dieser Trend gestoppt zu sein.

"Das beweist die Wichtigkeit von Aufklärung über ein Produkt; es reicht nicht, global über Abhängigkeit zu reden", sagt Marie Choquet, Mitautorin einer aktuellen Studie.

Erinnerung an die Joints

Bei Cannabis ist es noch nicht so weit. Eine gewisse Sorglosigkeit ist nicht zu verkennen, schon gar nicht bei Jugendlichen. Es gab Zeiten, da galt Cannabis als Einstieg in den Abstieg, als Beginn der unaufhaltsamen Drogenkarriere.

Aber die Elterngeneration, die einst im Mai '68 gegen de Gaulle und ihre Eltern auf die Barrikaden gegangen war, gibt nur zögernd ihre Laxheit auf. Inzwischen nähern sich ältere Achtundsechziger dem Rentenalter und erinnern sich gern ihres Joints, den sie nun den Jungen gönnen.

So ergab eine gemeinsame Studie der Institute Observatoire français des drogues et des toxicomanies und Inserm, dass sich in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der 16- und 17-Jährigen, die schon einen Joint geraucht haben, verdoppelt hat. Jeder Zweite hat's schon mal probiert, Mädchen etwas weniger.

Schon mit 16 ist jeder Zehnte regelmäßiger Cannabis-Konsument mit mindestens zehn Joints im Monat. Der Verbrauch steigt, inzwischen hat der schön gedrehte Joint die selbe Bedeutung wie Alkohol.

Wobei der Alkoholkonsum unter Jugendlichen gleichgeblieben ist. Nur wenige bewahren sich ihre Unschuld: 88 Prozent, so haben die Forscher bei 16000 Schülern in 400 französischen Lehranstalten herausgefunden, haben schon geraucht, getrunken oder gekifft - oder alles zusammen.

Verbote nützen wenig, vor allem weil die Staatsautorität kaum darauf beharrt. Harte Drogen interessieren junge Leute weniger, da scheint sich herumgesprochen zu haben, wie gefährlich die sind.

Gefängnis und hohe Geldstrafen

Und die weichen werden als gesellschaftsfähig empfunden. Shit zu rauchen, so hörten die Meinungsforscher, sei doch nichts Böses. Illegal, wieso denn? "Wir haben die härteste Gesetzgebung in Europa", sagt der Soziologe François Beck, "und trotzdem sind wir das Land, in dem am meisten konsumiert wird."

Das geltende Gesetz von 1970 macht keinen Unterschied zwischen harten und weichen Drogen, auch dem Konsumenten drohen Gefängnis und Geldstrafen bis zu 40.000 Euro.

Aber wer je eingesperrt wurde, der muss wirklich größtes Pech gehabt haben. So wie Ahmed, 28 Jahre alt und schon ohne Hoffnung, der auf einer Versammlung des Collectif anti-crack de Stalingrad seine Drogenkarriere schildert.

Sie hat ihn für drei Monate ins Gefängnis gebracht, weil man Shit bei ihm fand. Wie viel, das lässt er offen. Die Initiative versucht, den Süchtigen beizustehen, und hilft sich selbst, die Gegend um Stalingrad sicherer zu machen.

In der Praxis ist die Entkriminalisierung längst vollzogen, aber strafbar soll der Konsum trotzdem bleiben. Darauf sehen schon die alten Herren der französischen Politik. Jean-Pierre Raffarin, der Premierminister, ist gegen jede Liberalisierung.

Die Senatoren sind es in der Mehrheit auch, und in der Nationalversammlung hat die bürgerliche Rechte eine so mächtige Mehrheit, dass jede Lockerung ausgeschlossen bleibt.

Jacques Chirac ist schon immer dagegen gewesen, weil er fürchtet, "dass man im Namen der individuellen Freiheit die Jungen in die Abhängigkeit treibt".

© SZ vom 23.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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