Forschung:Weltraumtechnik am Bein

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Die Sportgeräte der Zukunft denken mit: Chips in Skibindungen und elektronische Laufschuhe sollen mehr Sicherheit bringen.

Von Ingo Arzt

Erst stürzt der Turnschuh ab. Dann bootet der Ski nicht richtig. Und das Fahrrad braucht dringend ein Software-Update: eine zunehmend wahrscheinliche Vision künftiger Sport-Pannen.

Den Sportler besser schützen - mit Anleihen bei der medizinischen Elektrodiagnostik und bei der Weltraumtechnik. (Foto: Foto: dpa)

Denn um Risiken für die Gesundheit von Athleten zu reduzieren, statten Hersteller ihre Sportgeräte mit intelligenten Systemen aus. Sie stecken Sensoren, Prozessoren und Motoren in ihre Produkte.

Vor allem Fahrräder mit automatischer Gangschaltung und Prozessor-kontrollierten Federungen erobern den Markt. Doch auch viele weitere, mit Mikroelektronik aufgerüstete Artikel gelten mittlerweile als Aushängeschilder der Entwicklungsabteilungen.

"Vor allem im Bereich der Sicherheitssysteme und Schutzausrüstungen" entstehe ein Zukunftsmarkt, sagt Veit Senner, Professor im Fachgebiet Sportgeräte und Materialien an der TU München.

Passend zur Wintersportsaison kommt das jüngste Beispiel dafür aus der Ski-Welt: Unterstützt von den Herstellern Salomon und Tyrolia forscht Senner zurzeit an den Grundlagen einer elektronisch auslösbaren Skibindung.

Er möchte das Problem bisheriger Bindungen beheben, die lediglich die Knochen des Sportlers, nicht aber seine Knie schützen. Bei einem Viertel aller Ski-Unfällen sind die Knie betroffen - oft das Innenband oder das vordere Kreuzband. Dies zu verhindern dürfte ohne elektronische Hilfe jedoch kaum möglich sein.

Jacke funkt an Hose

Bei herkömmlichen Bindungen nämlich fungieren Federn als mechanische Sensoren, die sich so stark verformen, dass die Bindung auslöst, wenn Gefahr für den Unterschenkel droht.

Doch Bewegungen, bei denen Rotationskräfte entstehen, können so nicht erfasst werden. Solche Rotationskräfte treten etwa auf, wenn sich die Ski vorn kreuzen und hinten auseinander driften: Das Knie verdreht sich.

Um es zu schützen, will Senner die Belastungen der Bänder anhand von zwei Werten messen: dem Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel sowie der Anspannung der Muskeln. Dazu macht er Anleihen bei der medizinischen Elektrodiagnostik und bei der Weltraumtechnik.

Die Anspannung der Muskeln sollen beim Skifahrer à la Senner künftig Elektroden erfassen: Je stärker ein Muskel kontraktiert ist, desto höhere elektrische Spannungen treten auf, die an der Haut messbar sind.

Der Winkel zwischen Schienbein und Oberschenkel indes wird nach dem Vorbild der Raumfahrer mit Ultraschall bestimmt: Ein Sender sitzt am Oberschenkel, ein Empfänger am Schienbein.

Geht der Sportler in die Knie, rücken beide näher zusammen, wodurch sich der Ultraschall-Weg verkürzt. Solche Komponenten sollen einmal, integriert in die Skibekleidung, ihre Daten an die Skibindung übertragen.

Schon heute verbergen sich unter dem Schlagwort "Weareable Clothing" MP3-Player und Bluetooth-Schnittstellen in Jacken. Der Bekleidungs-Hersteller Rosner überträgt Daten in elektrisch leitfähige Stoffbahnen.

Und der Wintersport-Ausrüster Atomic benutzt in seinem "Electronic Binding System" (EBM) Funkwellen, um Sensoren-Werte an einen Prozessor zu übertragen. In dieser Bindung steckt ein in Kunststoff gehüllter Mikrochip.

Damit haben die Österreicher gezeigt, dass es trotz Kälte und Feuchtigkeit möglich ist, Elektronik auf der Piste einzusetzen. EBM ist allerdings nur ein Überwachungssystem, das beispielsweise anzeigt, ob die Bindung richtig geschlossen ist. Die Auslösung funktioniert nach wie vor mechanisch.

Bis eine elektronisch auslösbare Bindung marktreif ist, werde es noch zehn Jahre dauern, schätzt Senner."Das größte Hindernis ist die Frage, wann sie ausgelöst werden muss."

Grenzwert umstritten

Denn der Prozessor in der Skibindung muss anhand der Sensoren-Messungen entscheiden, wann Gefahr für das Knie besteht - ohne dabei einen Fahrer grundlos in den Schnee zu werfen.

Und auch die Grenzwerte für den gesundheitlichen Nutzen sind umstritten: Zwar können Muskeln nur auf den Körper wirkende Schwingungen bis zu einer bestimmten Frequenz ausgleichen. "Es ist aber wissenschaftlich nicht erforscht, wo genau im Sport diese Frequenz liegt", sagt Ingo Froböse, der das Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln leitet. Bei 50 Hertz? Oder schon bei 25 Hertz?

Der Sportartikel-Hersteller Head hat sich für den niedrigeren Grenzwert entschieden. Er versucht mit dem so genannten "Intelligence Chip System" alle Schwingungen von mehr als 25 Hertz zu dämpfen.

Dabei setzt die Firma auf elektrische Schaltkreise und 0,25 Millimeter dünne Keramik-Fasern, die den so genannten piezoelektrischen Effekt nutzen. Der besagt, dass manche Kristalle unter Druck Spannung abgeben.

Die ebenso reagierenden Keramik-Fasern sind zum Beispiel in die Struktur von Skiern eingearbeitet. Die Alpin-Sportlerin Maria Riesch etwa nutzt in ihren Weltcuprennen ein solches Dämpfungssystem: Die Fasern geben nach dem piezoelektrischen Effekt elektrische Spannungen in genau den Frequenzen ab, in denen ihr Ski schwingt.

Daraus wird Energie in einer Spule gespeichert. Bei Schwingungen von mehr als 25 Hertz gibt ein analoger Schaltkreis, der im Ski integriert ist, aus der Spule wieder Spannung an die Keramik-Fasern ab. Nach dem umgekehrten piezoelektrischen Effekt versteift sich der Ski dadurch und dämpft.

Im Profisport gilt die Technik als regelkonform, weil keine eigene Energiequelle im Gerät steckt.

Froböse dagegen betont, dass erst Schwingungen um die 50 Hertz von den Muskeln nicht ausgeglichen werden können. Dann erst übertrügen sich die Schwingungen auf Bänder, Gelenke und das Bindegewebe - eine Belastung, die allerdings nicht mehr als unbedingt schädlich gilt.

Im Gegenteil: Sie wird genutzt, um betroffene Körperteile zu trainieren. Im Leistungssport etwa setzt man heute hochfrequente Schwingungen beim so genannten Vibrations-Training ein.

Golfball mit Gehirn

Entsprechend haben sich auch die Prämissen bei der Entwicklung von Laufschuhen geändert. Galt früher: je weicher, desto besser, dann gilt heute: "Zu weiche Schuhe sind nicht gut, weil sie das natürliche menschliche Regelungssystem aushebeln." So sagt es Senner.

Untersuchungen an seinem Institut hätten gezeigt, dass sich der Tritt von Läufern dem jeweiligen Untergrund so anpasst, dass der Körper die Dämpfung selbst optimiert. Adidas bezeichnet denn auch den "ersten intelligenten Laufschuh", Adidas One, als ein "Statement-Produkt", das eher dem Image als der Gesundheit des Läufers dienlich sein soll.

Die technische Finesse dieses Schuhs wird ein Chip unter der Sohle ausmachen: Ob man mit ihm über weichen Rasen oder auf Beton läuft - ein Schritt soll sich immer so anfühlen, wie der Läufer es zuvor an zwei Knöpfen an der Schuhsohle eingestellt hat.

Ein Magnetsensor im Fersenbereich misst, wie weit die Schuhsohle beim Auftreten zusammengedrückt wird. Ein Prozessor steuert einen Motor, der die Länge eines elastischen Gummibandes in der Schuhsohle verändert. Schaden könne so eine automatische Federung sicher nicht, sagt Senner. "Aber das natürliche Dämpfungssystem ist eben immer noch der Mensch."

Der Mensch allerdings - er kann auch versagen. Dann verhindern intelligente Systeme schlimme Folgen. Senner führt als Beispiel Kletterseile an, die nach elektronischer Messung automatisch blockiert werden könnten.

Froböse indes sieht die Zukunft der Sport-Hightech eher im wachsenden Komfort: Können Menschen aktiv die Eigenschaften ihrer Geräte verändern, bleibt es jedem Skifahrer selbst überlassen, wie weit er sich Vibrationen aussetzt.

Doch lassen sich beide Intentionen auch verbinden, wie jetzt eine Entwicklung aus den USA zeigt: Einen komfortablen Ausgleich menschlichen Versagens präsentierte die New Yorker Firma Nano Dynamics jüngst mit einem Golfball, der seine Flugbahn mittels Nanotechnologie selbst korrigiert.

© SZ vom 21.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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