Flucht ohne Chance:Das kalte Grauen

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Aus Angst vor der Abschiebung flieht Hamidur Rahman aus Deutschland nach Norden. Seine Hoffnung ist Kanada. Die Route: von Grönland aus 200 Kilometer durch das Eis - zu Fuß. Seine Chance: gleich null.

Tina Uebel

Das verheißene Land liegt im Westen. Doch davor wartet die Hölle Grönlands: das Eis. Aufgetürmte Packeisschollen, Presseisrücken. Bläuliche Eisberge ragen aus der gefrorenen See vor Thule in Nordgrönland. Hamidur Rahman glaubt sich auf der letzten Etappe seiner langen Flucht um die halbe Welt, glaubt, der letzten Prüfung ins Auge zu sehen. 200 Kilometer westlich von Thule liegt Kanada. Seine einzig verbliebene Hoffnung.

Hamidur Rahman (Foto: Foto: SZ Magazin)

Bislang hat sich der Weg nach Westen für den Mann aus Bangladesch als Sackgasse erwiesen. Hamidur Rahman, 30, Bauingenieur, Flüchtling, irrt seit Jahren umher auf der Suche nach einem Ort, an dem er in Frieden leben kann.

In seiner Heimat kann er es nicht. Mehrfach sieht sich Rahman, Aktivist der liberalen, säkularen Oppositionspartei Awami League, gezwungen zu flüchten, geht nach Malaysia, kehrt zurück zu seiner Familie und flieht wieder. In Malaysia verliebt er sich in eine chinesischstämmige Malaysierin, deren Familie gegen die Beziehung ist und ihnen mit Gewalt droht.

Zurück in Bangladesch muss er nicht nur wegen seiner politischen Einstellung um sein Leben fürchten, sondern nun auch wegen der religiösen Gesinnung seiner Frau, die als Konvertitin zum Islam von Fundamentalisten bedroht wird. Der Grund: Sie kleide sich "unislamisch".

Rahman fliegt im November 2004 mit seiner Frau und dem einjährigen Sohn nach Deutschland. Er beantragt politisches Asyl, sagt, er wünsche sich "endlich jede Menge Menschenrechte". Sein Asylantrag wird abgelehnt, obwohl Menschenrechtsorganisationen seit Jahren aus Bangladesch über Attentate auf Politiker und Sympathisanten der Awami League berichten, über Bomben-anschläge bei Demonstrationen, Killerkommandos, Massenverhaftungen, Erschießungen und Folter.

Immerhin wird die Familie in Deutschland geduldet. Zwei Jahre wohnt sie in verschiedenen Unterkünften in Rheinland-Pfalz. Hamidur Rahman erstreitet sich eine Arbeitserlaubnis, findet einen Job bei einer Baufirma, besucht heimlich einen Deutschkurs, der ihm nicht zusteht, stottert die Kosten vom Verdienten ab. Er will keine Almosen. Er will ein Leben, eine Existenz.

Als er sich erfolgreich, aber ohne Rücksprache mit den Behörden, um eine besser bezahlte Stelle bewirbt, verliert er seine Arbeitserlaubnis. Zum ersten Mal gibt er auf, er wird mit einer Überdosis Tabletten ins Krankenhaus eingeliefert. Wieder eine Flucht, die ihm nicht gelingt.

Seine Ehe hält der Situation nicht stand. Hamidur Rahmans Frau erklärt im März 2007, sie wolle mit dem Sohn zurück nach Malaysia, damit wird auch Rahmans Duldung hinfällig. Beide bekommen Flugtickets in ihre Heimat, Rahman spielt mit, tut so, als füge er sich in das Unvermeidliche. In Wirklichkeit hat er sich längst ein anderes Ziel ausgesucht: Kanada. Das Land, von dem man ihm erzählt, dass es 95 Prozent aller Asylbewerber annimmt. Das Land, das dringend Baufachleute sucht, so steht es in den regelmäßigen Rundmails eines kanadischen Anwalts.

Als der deutsche Sozialarbeiter ihm auf dem Frankfurter Flughafen kurz den Rücken zudreht, verschwindet Rahman.

Das Ziel ist klar, nur der Weg noch das Problem. Eine legale Einreise nach Kanada wurde Hamidur Rahman bereits verweigert, aber er meint, einen Weg gefunden zu haben: von Grönland aus über eine meist gefrorene Meerenge, den Smith-Sund, zu der kanadischen Insel Ellesmere, eine Strecke von rund 200 Kilometern.

Zwanzig Tage hat er dafür einkalkuliert, zehn Kilometer Fußmarsch am Tag. Das muss zu schaffen sein. Rahman hat etwas Geld gespart, auch seine Verwandten aus der ganzen Welt haben ihm etwas geschickt. Er hat ein paar tausend Euro, das müsste reichen, um sich bis Grönland durchzuschlagen.

Am 20. März 2007 fährt er mit dem Zug über die dänische Grenze, von dort fliegt er weiter, über kleine Flughäfen, auf denen kaum kontrolliert wird, auf die Färöer-Inseln, nach Island, nach Grönland, dort tastet er sich von Ort zu Ort weiter vor in den Norden, fast einen Monat dauert seine Reise. Am 18. April landet Hamidur Rahman mittags in einer roten Propellermaschine vom Typ "Dash 7" in Thule, 650 Einwohner, elf Grad nördlich des Polarkreises. Thule liegt am Rand der Welt.

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