FKK und die Philosophie:Freier Körper, freier Wille

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Lebensstil, Wellness und Ausdruck einer ganzheitlichen geistigen Einstellung: Der Kulturforscher Michael Grisko über Nacktheit als Philosophie.

Interview: Titus Arnu

Michael Grisko, Kulturwissenschaftler aus Lübeck, hat ein Buch zum Thema "Freikörperkultur und Lebenswelt" herausgegeben. Der 37-jährige Autor interessiert sich besonders für den kulturhistorischen Aspekt der Freikörperkultur.

Vorbild für Freikörperkultur-Fans: Griechen und Römer. (Foto: Foto: Istock)

SZ: Was hat es eigentlich mit Kultur zu tun, wenn Menschen nackt Tennis spielen, nackt Fahrradfahren oder nackt am Strand herumlaufen?

Grisko: Ich denke schon, dass es eine Kultur ist. Die Freikörperkultur umfasst ja mehr als das Nacktsein in der Öffentlichkeit, es geht um einen Lebensstil und eine ganzheitliche Einstellung.

SZ: Inwiefern kann FKK Ausdruck einer ganzheitlichen geistigen Einstellung sein?

Grisko: Die Freikörperkultur zielte ursprünglich nicht nur darauf ab, sich nackt in die Sonne zu legen, so wie wir das heute kennen. Das sind ja nur die letzten Überreste der Freikörperkultur, die in Deutschland schon Ende des 19.Jahrhunderts entstanden ist. Letztlich ging es beim Verzicht auf Kleidung in der Öffentlichkeit immer darum, eine bestimmte Haltung zu zeigen. Und zwar eine allumfassende Haltung, die weit über die Haltung eines Punkers oder eines Rockers hinausgeht.

SZ: Wie kann man diese Geisteshaltung beschreiben?

Grisko: Zum einen war es eine Auflehnung gegen das reaktionäre Kaiserreich und eine Gegenbewegung zur Industrialisierung, zum anderen eine Hinwendung zum gesundheitsbewussten Leben.

SZ: Wieso ist FKK vor hundert Jahren gerade in Deutschland entstanden?

Grisko: Kulturhistorisch gesehen hängt das eng zusammen mit den Reformbewegungen in Deutschland am Anfang des 20. Jahrhunderts. Da gab es eine Gesundheitsbewegung, der Breitensport kam auf, es gab philosophische Strömungen, die sich mit Freikörperkultur beschäftigt haben. Nacktsein wurde teilweise als Weg zum besseren Leben gesehen.

SZ: Nacktsein als Philosophie?

Grisko: Zumindest gab es eine intellektuelle Fundierung. Man brauchte gesellschaftliche Legitimation, um die konservativen Geister zu überzeugen. Und der Rückgriff auf die Antike war dazu bestens geeignet. Wenn gar nichts hilft, helfen immer die Klassiker. Die kulturelle Legitimierung der Freikörperkultur hat zum Teil erstaunliche Blüten getrieben.

SZ: Welche?

Grisko: Es gab Freikörperkultur-Abende, bei denen Szenen aus der griechischen Antike nachgestellt wurden - was vor allem deshalb geschah, um einen Vorwand zu haben, in der Öffentlichkeit nackt auftreten zu können. Das war oft eine Strategie, um sich gesetzlich abzusichern. Und natürlich haben die Behörden dann versucht, die FKK-Abende zu beenden, weil so etwas als obszön galt.

SZ: Heute verdient die Tourismusindustrie mit FKK viel Geld. War das am Anfang anders?

Grisko: Wenn man sich die Auflagen der Ratgeber aus dieser Zeit anschaut, stellt man fest, dass es schon damals eine breite Bewegung gab, das war eine richtige Modeerscheinung. Zeitungen haben schon damals mit Lifestyle-Elementen gearbeitet, etwa Reklame für Badeöle und Tipps für den Strand.

SZ: Eine Frühform von Wellness?

Grisko: Ja. Mit der zunehmenden Industrialisierung kam auch der Gedanke auf, dass es so etwas wie Freizeit und Entspannung geben muss - und dass man dem Körper etwas Gutes tun soll. De konsequenteste Form dieser Gegenbewegung war die Freikörperkultur.

SZ:Sie wohnen in Lübeck und sind wahrscheinlich oft am Strand. Was haben Sie als Nacktenexperte beobachtet?

Grisko: Als ich neulich am Strand war, habe ich erlebt, dass es mittlerweile ein sehr lässiges Nebeneinander gibt von Angezogenen und Nackten. Das ist eine friedliche Koexistenz der Kulturen. Ein Kulturkampf wie an der deutsch-polnischen Grenze ist heutzutage eher die Ausnahme, denke ich.

© SZ vom 05.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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